Die Debatte über die bereits zweimal gescheiterte rechtliche Regelung der Beihilfe zum Suizid wird immer bizarrer. Das liegt auch, wenn auch keineswegs nur, an dem unerträglichen Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, mit dem die tollkühnen Karlsruher Richter kurzerhand ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ erfanden.
Zum anderen liegt es aber an der fortgesetzten Weigerung weiter Teile in Politik, Medien und Gesellschaft, unbestreitbare Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Zu ihnen gehört die aus unzähligen Studien gewonnene Erkenntnis, dass die überwiegende Mehrzahl der Suizide mit psychischen Erkrankungen einhergeht, welche die Möglichkeit des Suizidenten, sich selbst zu bestimmen, massiv einschränken oder gar verunmöglichen. Der Bilanzsuizid ist, sofern es ihn überhaupt gibt, die absolute Ausnahme.
Psychische Krisen fallen nicht vom Himmel
Mehr noch: Weil Selbstbestimmung schon rein logisch ein Selbst voraussetzt, das es zu bestimmen gilt, glorifiziert den Suizid, wer meint, ausgerechnet in der Vernichtung dieses Selbst einen Akt erblicken zu dürfen, mit dem dieses sich bestimme. In Wirklichkeit ist jede Selbsttötung das genaue Gegenteil, nämlich die Weigerung eines Selbst, sich länger zu bestimmen.
So oder so ist jede Selbsttötung ein Drama. Und wer meint, Dramen ließen sich rechtlich zur allgemeinen Zufriedenheit regeln, der könnte genauso gut behaupten, mit Bade- und Strandverordnungen ließe sich Tsunamis Einhalt gebieten. Während deren Ursachen dem Zugriff des Menschen entzogen sind, trifft dies auf Suizidalität nicht zu. Psychische Krisen fallen nicht vom Himmel. Suizidalität ist heilbar, psychische Erkrankungen sind therapierbar.
Statt Palliativmedizin und Suizidhilfe immer weiter miteinander zu verzahnen und als zwei Seiten einer Medaille auszugeben, täten Medizinethiker gut daran, ihre Expertise in ambitioniertere Projekte einzubringen. Wie lässt sich der vielen Menschen drohenden Vereinsamung im Alter entgegenwirken? Was muss eine menschenwürdige Pflege leisten? Denn wenn es stimmt, dass Selbstbestimmung immer relational ist, also gebunden in Beziehungen und Bedingungen, dann zeigt letztlich jeder Suizid der Gesellschaft an, wie verbesserungswürdig sie sind.
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