Eigentlich war die Einführung der „Ehe für alle“ in der Schweiz bereits beschlossene Sache. Doch ein Referendum des überparteilichen Komitees gegen die „Ehe für alle“ hat das Blatt nun gewendet. Das Komitee mit überwiegend Vertretern aus der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) reichte vergangenen Montag das Referendum gegen den Beschluss des Parlaments zur Einführung der „Ehe für alle" im Bundeskanzleramt ein. Nun liegt die Entscheidung darüber beim Volk. Für die Neuabstimmung hatte das Komitee 59 176 beglaubigte und 7 334 unbeglaubigte Unterschriften gesammelt.
Banken verweigerten Komitee Kontoeröffnung
Dass das Vorhaben gelingen würde, wurde teils stark angezweifelt: Für das Zustandekommen des Referendums sind 50 000 gültige Unterschriften innerhalb von hundert Tagen nötig. Da beim Referendumskomitee Ende Februar „weniger als die Hälfte der benötigten Unterschriften“ eingetroffen waren, sah es sich zu einem „dringenden Aufruf“ an die Unterstützer gezwungen.
Zusätzlich sollen diverse Banken dem Trägerverein des Komitees eine Eröffnung eines Kontos ohne Angabe von Gründen verweigert haben, wie es auf der offiziellen Seite des Referendumskomitees heißt. Die Raiffeisenbank Zug begründete die Verweigerung schlicht mit dem Stichwort „Reputationsschaden“. Gegenüber der „Tagespost“ meinte der Mediensprecher der Bank, Jan Söntgerath: „Raiffeisen berücksichtigt bei der Kontoeröffnung sämtliche geltende gesetzliche und regulatorische Bestimmungen. Im Einzelfall liegt der Entscheid über die Eröffnung eines Kontos im Rahmen der Vertragsfreiheit bei den eigenständigen Raiffeisenbanken.“
Zahlreiche Gesprächsversuche und Anfragen seitens des Trägervereins seien unbeantwortet geblieben. Der Trägerverein sieht darin eine klare Diskriminierung und erstattet nun Strafanzeige gegen die Banken, um die Gründe für die Kontoverweigerung aufzuklären. „Die Strafanzeige drängt sich umso mehr auf, als die gleichen Banken gleichzeitig Konten für diverse LGBT-Vereine unterhalten, diese direkt unterstützen oder gemeinsame Veranstaltungen durchführen“, heißt es in der Mitteilung.
Ursprünglich sollte die Verfassung geändert werden
Kritisiert wird am Beschluss des Parlaments vor allem, dass die „Ehe für alle" ohne Verfassungsänderung eingeführt werden sollte. Die Geschäftsführerin der Stiftung „Zukunft CH“, Beatrice Gall, weist darauf hin, dass der Beschluss von der grünliberalen Nationalrätin Kathrin Bertschy ursprünglich als „Antrag auf Verfassungsänderung" eingereicht worden sei. Die Vorlage dann auf Gesetzesebene zu regeln, sei nach Auffassung der Stiftung verfassungswidrig. „Die Bundesverfassung der Schweiz definiert die Ehe als ,auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau‘, weshalb laut einem Rechtsgutachten der Rechtswissenschafterin Isabelle Häner vor einer allfälligen Öffnung der Ehe für andere Lebensgemeinschaften der Ehebegriff in der Verfassung geändert werden müsste. Dadurch, dass nur eine Gesetzesänderung statt einer Verfassungsänderung durchgeführt wurde, musste nicht die Mehrheit der Kantone zustimmen, sondern es zählte nur das absolute Stimmenmehr, was deutlich leichter zu erreichen ist.“ Der Nationalrat hatte am 18. Dezember 2020 mit 136 zu 48 Stimmen bei 9 Enthaltungen der „Ehe für alle“ zugestimmt, der Ständerat mit 24 gegen 11 Stimmen bei 7 Enthaltungen.
Die Grünen haben derweil auf ihrer Internetseite angekündigt, dass sie das Referendum „engagiert bekämpfen“ wollen. Der liberale Flügel der Partei hatte die „Ehe für alle“ vor sieben Jahren angestoßen. In dem Antrag heißt es, dass der Begriff „Ehe“ in Artikel 14 Absatz 1 durch den „umfassenderen Begriff Lebensgemeinschaft" ersetzt werden solle. „Dies ist notwendig, weil andere Lebensgemeinschaften wie die eingetragene Partnerschaft und das Konkubinat den gleichen Grundrechtsschutz verdienen wie die Ehe.“
Weiter werden die Gründe für eine Eheschließung aufgeführt: Die Lebensgemeinschaft auf eine dauerhafte Basis zu stellen und sich gegenseitig finanziell abzusichern. „Einem Teil der Gesellschaft in der Schweiz werden diese Rechte jedoch verweigert, ihnen steht eine Ehe zweiter Klasse in Form der eingetragenen Partnerschaft zur Verfügung“, heißt es dort weiter. Diese „Deklassierung aufgrund biologischer Unterschiede“ sei mit einem liberalen Gesellschaftsbild und einem modernen Rechtsstaat aber unvereinbar.
Samenspenden für lesbische Paare
„Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der gleichgeschlechtliche Paare die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle Paare. Die sexuelle Orientierung hat nichts mit dem Recht eine Ehe einzugehen zu tun“, so Michael Töngi, Mitglied des Nationalrates. Für die Grünen gehe es um eine Frage der Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung. Daher begrüße die Partei, dass mit dem neuen Gesetz zugleich gleichgeschlechtliche weibliche Paare das Recht auf Samenspenden erhalten sollen.
Gall hingegen sieht darin das Kindswohl gefährdet. „Obwohl wir aus der Bindungsforschung sowie aus dem Adoptiv- und Pflegekindbereich wissen, wie fundamental sich leibliche Herkunft und Bindung auf die gesunde Identitätsbildung von Kindern auswirken, sollen diese den Kindern mit Absicht vorenthalten werden.“
Zudem sei von verschiedenen Aktivisten bereits die Forderung angekündigt worden, nach dem Zugang zur Samenspende für lesbische Paare auch die Leihmutterschaft zu legalisieren. „Auf ,Ehe für alle‘ folgt – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche – die Forderung ,Kinder für alle‘. Die Definition des Kindeswohls wird den Wünschen Erwachsener entsprechend ,zurechtgestutzt‘.“ Gall betont : „Ein Recht auf Kinder kann und darf es aber nicht geben."
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