Es wird zunehmend einsam um Donald Trump. Jetzt hat er auch noch sein größtes Sprachrohr verloren: Der Kurzmitteilungsdienst „Twitter“, den der US-Präsident während seiner Amtszeit so rege nutzte, sperrte seinen privaten Account nach den gewaltsamen Ausschreitungen am Kapitol. Wer „@realdonaldtrump“ aufrufen möchte, findet nur noch den Hinweis, der Account sei gesperrt, da er gegen die Twitter-Regeln verstoße. Aus dem Weißen Haus wird Trump jedoch nicht so leicht zu verbannen sein, auch wenn die Demokraten dies zumindest versuchen. Angeführt von Nancy Pelosi, der Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, leiteten die Demokraten am Mittwoch mit der Unterstützung von zehn republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten in die Wege. Die Begründung: Trump habe abermals seinen Amtseid verletzt und seine Anhänger zum Aufruhr angestiftet, wie es in der Anklageschrift heißt.
„Wir lieben euch, aber geht nach Hause“
US-Präsident Trump über die Demonstranten, die in das Kapitol eindrangen
Der Vorwurf stützt sich auf die Tatsache, dass Trump in einer Rede unmittelbar vor den Ausschreitungen, bei denen mindestens fünf Menschen starben und zahlreiche weitere verletzt wurden, seinen Vorwurf vom großflächigen Wahlbetrug wiederholt und seine Unterstützer aufgefordert hatte, zum Kapitol zu marschieren. Zudem werfen ihm die Demokraten vor, die Gewalt nur halbherzig verurteilt zu haben. In einem Video, das Trump noch am Abend der Ausschreitungen auf Twitter veröffentlichte, nannte er die Randalierer „Patrioten“ und „sehr besondere Menschen“. Seine Botschaft: „Wir lieben euch, aber geht nach Hause.“
Während nun kontrovers diskutiert wird, ob die radikale Maßnahme eines zweiten Impeachments die richtige Vorgehensweise ist, herrscht über die Grenzen der politischen Lager in den USA eine ungewohnte Einigkeit, dass Trump in den letzten Tagen und Wochen eine rote Linie überschritten und somit womöglich selbst das finale düstere Kapitel seiner Zeit im Weißen Haus eingeläutet hat.
Auch "Fox News" kritisiert die Ausschreitungen
So verurteilten zahlreiche Konservative, unter ihnen auch solche, die Trump bislang durchaus wohlwollend begegnet waren, die Ausschreitungen und das Verhalten des Präsidenten mit deutlichen Worten. Nur wenige Trump-freundliche Medien, wie etwa das Portal „Lifesitenews“, blieben bei dem Narrativ, der Wahlsieg sei Trump durch massiven Betrug gestohlen worden. Zudem wurde dort die falsche Theorie verbreitet, hinter dem Sturm auf das Kapitol würden keine Trump-Unterstützer stecken. Vielmehr seien die Demonstranten von Antifa-Anhängern „infiltriert“ worden und hätten die Proteste dann unter falscher Flagge eskalieren lassen.
Mit solchen Positionen steht man aber auch unter Konservativen ziemlich alleine da. Nicht einmal Trumps einstiger Lieblingssender „Fox News“ konnte den Ausschreitungen etwas Positives abgewinnen: Eine Moderatorin des Senders erklärte, sie hätte nie gedacht, dass einige Trump-Anhänger, die sie für Patrioten hielt, sich einmal genauso wie die „Schläger und Anarchisten“ verhalten würden, die man das ganze letzte Jahr verurteilt habe. Und auch Raymond Arroyo, Nachrichtenchef des katholischen Mediennetzwerks EWTN, der Trump gegenüber in der Vergangenheit zumindest aufgeschlossen war, verurteilte die Gewalt am Kapitol als „beschämend“ – allerdings mit dem Hinweis, dass Gewalt von Unruhestiftern egal welcher politischen Gesinnung verurteilt werden müsse.
Führende Kirchenvertreter fordern Trumps Rücktritt
Für Aufmerksamkeit sorgten jüngst auch führende amerikanische Kirchenvertreter, die Trump in einem offenen Brief an den Vizepräsidenten, Mike Pence, zum Rücktritt aufforderten. Trump habe mit seinen „Handlungen und Worten“ die Sicherheit der USA und der Regierungsinstitutionen gefährdet, indem er einen „gewalttätigen, tödlichen, aufrührerischen Mob-Angriff“ auf das Kapitol angestiftet habe. Unterzeichnet wurde der Aufruf vom Präsidenten des Nationalen Ökumenischen Kirchenrates, den Leitern der evangelisch-lutherischen und der anglikanischen Episkopalkirche sowie dem Vorsitzenden der Konferenz nationaler schwarzer Kirchen. Katholische Amtsträger finden sich nicht darunter – allerdings hatten auch mehrere katholische Bischöfe die Ausschreitungen noch am selben Tag verurteilt. Und zuletzt äußerte sich auch der New Yorker Kardinal Timothy Dolan, der in der Vergangenheit eher als Freund denn als Kritiker des Präsidenten galt, und machte Trump für die Ausschreitungen verantwortlich.
Innerhalb der republikanischen Partei zeichneten sich in den letzten Tagen durchaus Absetzbewegungen gegenüber Trump ab: Nicht zuletzt Mike Pence zog den Zorn des Präsidenten auf sich, indem er nicht dabei mitspielte, die Zertifizierung der Wahlmännerstimmen für Joe Biden im Kongress zu verhindern. Ein weiteres Beispiel ist Lindsey Graham: Lange hatte der Senator aus South Carolina als enger Trump-Vertrauter gegolten – nach den Ausschreitungen vergangene Woche sprang jedoch auch er mit den Worten ab: „Ohne mich! Genug ist genug!“ Manch ein Kabinettsmitglied, wie etwa die Bildungsministerin Betsy DeVos, reichte gar seinen Rücktritt ein. Colin Powell, Außenminister unter George W. Bush, trat sogar aus der republikanischen Partei aus.
Weigel: Trump war ein schwacher Präsident
Wie geht es nun weiter für die Republikaner? Deutlich wurde der amerikanische Publizist und Theologe George Weigel. Gegenüber der „Tagespost“ erklärte er, die Republikaner müssten Trump nun die Gefolgschaft aufkündigen und „so viel Distanz zwischen ihn und die Partei bringen wie möglich“. Auch wenn er zumindest mit seinen Richterernennungen Hoffnung auf eine gewisse Erneuerung der öffentlichen Moralkultur gegeben habe, sei Trump in den meisten Belangen „ein schwacher Präsident“ gewesen. „Sein Gebaren, nicht zuletzt rund um die Wahl 2020, sollte ihn für immer in die unterste Schublade der amerikanischen Präsidenten verbannen“, so George Weigel.
Implizit riet er den Republikanern sogar zur Spaltung, um zukunftsfähig zu bleiben. „Eine Spaltung könnte notwendig sein“, so Weigel, einer der führenden konservativen katholischen Denker im Land. „Man kann keine glaubwürdige politische Partei wieder aufbauen auf der Basis von Unwirklichkeiten, Fantasien und Verschwörungstheorien.“ Die Leute, die das Kapitol gestürmt haben, hätten in der Partei nichts zu suchen.
Wie es indes mit dem Impeachment weitergeht, bleibt abzuwarten. In zweiter Instanz muss nun der Senat über eine mögliche Amtsenthebung Donald Trumps abstimmen. Nötig wäre eine Zweidrittelmehrheit, um Trump zu verurteilen. Doch die Senatoren werden wohl nicht mehr vor der Amtseinführung Joe Bidens am 20. Januar zusammenkommen. Möglich scheint allenfalls eine nachträgliche Verurteilung. Die Machtübergabe an Biden indes wird genau an jener Stelle vor dem Kapitol stattfinden, die in der vergangenen Woche den Schauplatz der gewaltsamen Ausschreitungen stellte. Man kann nur hoffen, dass das Prozedere – in Abwesenheit Trumps – dann reibungslos über die Bühne gebracht werden kann. Aber in diesen Tagen muss man in den USA mit allem rechnen.
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