Berlin

Dieser Ampel wohnt kein Zauber inne

Olaf Scholz ist zum neuen Bundeskanzler gewählt. Nun steht die neue Bundesregierung vor den Mühen der Ebene.
Bundespräsident ernennt neue Bundesregierung
Foto: Bernd Von Jutrczenka (dpa) | Olaf Scholz erhält von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde.

Willy-Brandt-Feeling will nicht so recht aufkommen. Olaf Scholz ist vom Bundestag zum neuen Bundeskanzler gewählt worden. Nachdem Bundestagspräsidentin Bärbel Baas das Ergebnis verkündet hat, erhebt sich seine Fraktion und applaudiert. So ist das immer, so gehört sich das. Doch wirkliche Euphorie will nicht aufkommen. Das liegt weniger daran, dass es nur 395 Stimmen sind, die Scholz bekommen hat. 21 Stimmen weniger als die Ampel-Parteien insgesamt hätten aufbringen können. Hier verweisen die Koalitionäre darauf, dass Parlamentarier erkrankt sind und deswegen nicht an der Sitzung teilnehmen konnten.

Die Zeit der Selfies ist vorbei

Die mäßige Stimmung hängt eher damit zusammen, dass die neue Bundesregierung nun vor den Mühen der politischen Ebene steht. Da ist einmal die große Herausforderung, die Corona-Pandemie zu managen. Aber überhaupt scheinen die Tage des Anfangszaubers verflogen als die Koalitionsverhandler von ihren Sitzungen Selfies versendeten, die in den Sozialen Medien für Furore sorgten. Jetzt muss gearbeitet werden,lautet nun die Parole. Dabei halten die Protagonisten der neuen Regierung freilich an ihrem Narrativ von der "Fortschrittsregierung" fest und beschwören es bei jeder Gelegenheit. Scholz sprach gar vor einigen Tagen von dem Aufbruch in einen neuen Morgen. Aber der nüchterne Hanseat ist eben nicht Willy Brandt. Schon jetzt verbreitet sich eine eher geschäftsmäßige Grundstimmung.

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Und das ist auch nötig. Denn wenn die Ampel-Regierung ihr "Mehr Fortschritt wagen"-Programm tatsächlich umsetzen will, dann ist weniger Pathos, sondern vor allem politisches Handwerk gefragt. Die Königsdisziplin der politischen Handwerker ist das Personalmanagement. Der Blick auf die Kabinettsliste zeigt, dass die verschiedenen Rücksichten, die auf Parteiflügel, landsmannschaftliche Zugehörigkeit, vor allem aber auf die Geschlechterparität genommen werden mussten, mindestens genauso wichtig waren wie die tatsächliche Kompetenz der neuen Ressort-Verantwortlichen. Freilich kennt man auch das von anderen Bundesregierungen. Nur zeigt sich hier eben auch: Die Ampel kann mit dem politischen Status quo leben.

Eine neue Troika in der SPD

Die zentralen Positionen der Koalition sind aber auch nicht im Kabinett zu finden. Die entscheidende Rolle bei der Koordination der neuen Regierung kommt den Partei- und Fraktionsführungen zu. In der SPD hat sich eine Art neue Troika gebildet: Olaf Scholz als Kanzler, dann der für SPD-Verhältnisse immer noch sehr junge Lars Klingbeil als Parteivorsitzender. Spannender bleibt die Frage, wer der Dritte im Bunde wird: Der neue Generalsekretär und ehemalige Juso-Chef Kevin Kühnert, oder wird doch der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich die Troika vervollständigen? Im Moment scheint bei den Sozis alles auf Harmonie gestimmt. Aber das könnte sich schnell verflüchtigen. Kühnert verfügt mit den Jusos über eine Hausmacht, die dank vieler Abgeordneten aus den eigenen Reihen so stark ist wie nie und er hat programmatischen Ehrgeiz. Es ist auch gut möglich, dass Mützenich, der ebenfalls dem linken Flügel seiner Partei zuzurechnen ist, Kühnert hier den Vortritt lässt und sich selbst auf das Alltagsgeschäft und Fraktionsmanagement beschränkt.

Bei den Grünen könnte noch für Unruhe sorgen, dass Anton Hofreiter es nicht ins Kabinett geschafft hat. Er hatte gegenüber Cem Özdemir, der nun Landwirtschaftsminister ist, den Kürzeren ziehen müssen. Irgendwie wird er kompensiert werden müssen. In der FDP scheint Christian Lindner auch weiterhin der zentrale Strippenzieher zu sein. Freilich wird er der liberalen Wählerklientel auch schnell zeigen müssen, dass er als Bundesfinanzminister sich nicht von seinen linken Partnern unterbuttern lässt. Und dann ist da noch die Opposition: Die Ampel kann die Union, die in zehn Bundesländern mitregiert, nicht ignorieren. Den politischen Handwerkern wird also in den kommenden vier Jahren nicht langweilig werden.

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