Der Konflikt zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethikern ist ein alter deutscher Streit. Insofern ist die Ampelregierung ein typisch deutsches Polit-Bündnis. Wenn hier über Flüchtlings- und Migrationspolitik diskutiert wird, dann stehen nie nur Sachfragen im Vordergrund. Es geht immer auch Symbolpolitik, die auf die jeweilige ideologische Kernklientel abgezielt ist. Es ist zwar noch nicht zu einem Riss gekommen, dass aber die Nähte zwischen den Koalitionspartnern in dieser zentralen Frage durchaus dünn genäht sind, zeigte sich in Folge des Migrationsgipfels, zu dem der Bundeskanzler in der vergangenen Woche die Ministerpräsidenten eingeladen hatte. Es solle zu einem "Paradigmenwechsel" in der Migrationspolitik kommen, hatte es noch vollmundig - und hier auch ganz im Sinne der Grünen - im Ampel-Vertrag zu Beginn der Legislaturperiode geheißen. Mit der alten "Abschottungspolitik" à la Horst Seehofer sollte es Schluss sein. Nun klingen die Töne anders.
Die Beschlüsse sind kein Befreiungsschlag
Das kann auch nicht wirklich verwundern. Die Kommunen stöhnen schon so lange laut über ihre Belastungen, dass diese Klage fast schon zu einer Art selbstverständlichem Grundrauschen in der öffentlichen Debatte zu werden drohte: Alle hören es, aber keiner reagiert. Nun hat sich der Bundeskanzler als Wortführer für einen pragmatischeren Weg profiliert und mal wieder herausgestellt, dass er, der hanseatisch Kühle, sich als der Verantwortungsethiker in der Ampel versteht. Die Ministerpräsidenten sind dabei die Taktgeber. Von grüner Seite gab es aber denn auch gleich wieder Protest aus gesinnungsethischem Geist.
Dabei waren die Beschlüsse des Gipfels bei weitem kein Befreiungsschlag, weder in die eine noch in die andere Richtung. Insgesamt hat der Bund eine Milliarde Euro für die Unterstützung bei den Flüchtlingskosten zugesagt. Die Länder sollen damit die Kommunen weiter entlasten. Geld soll etwa in die Digitalisierung der Ausländerbehörden fließen. Über die genaue Aufschlüsselung der Flüchtlingskosten soll aber erst einmal eine Arbeitsgruppe beraten. Ein Ergebnis wird erst im November, also in etwa fünf Monaten erwartet. Damit sind die Kommunen kurzzeitig ruhig gestellt. Aber die Zeit, die jetzt dadurch gewonnen wird, müsste eigentlich genutzt werden, um in der Einwanderungspolitik noch weiter nachzuschärfen. Es stehen auch einige Vorschläge im Raum, aber hier deutet sich eben Widerstand von den Grünen an.
Ein Beispiel: Georgien und Moldau könnten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Sogleich gab es Widerspruch von Filiz Polat, Parlamentarischer Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag. Die beiden Länder seien unmittelbar vom russischen Angriffskrieg betroffen. Man lehne aber auch grundsätzlich das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab, so Polat gegenüber der "Welt". Denn es sei immer mit einer Einschränkung des Rechtsschutzes der Betroffenen verbunden.
Symptomatisch für die Regierungsweise der Ampel
Die Planer des Gipfels hatten diesen ganz offensichtlich so gelegt, dass er noch deutlich vor der heißen Wahlkampfphase in Hessen und Bayern liegt. Ob nun diese Ergebnisse dazu führen werden, dass diejenigen keinen Aufwind bekommen, denen man mit dieser Strategie das Wasser abgraben wollte, ist zu bezweifeln. "Wichtige Entscheidungen werden in den Herbst verschoben, von einer vollumfänglichen Grenzkontrolle ist keine Rede mehr. Darüber hinaus blieb es bei Absichtserklärungen. Einmal mehr zeigt sich, dass nur die AfD gewillt ist, eine echte Migrationswende herbeizuführen", erklärte Mariana Harder-Kühnel, stellvertretende Bundessprecherin der AfD.
In gewisser Weise ist der ganze Ablauf symptomatisch für die Regierungsweise der Ampel unter Olaf Scholz: Der Kanzler gibt sich pragmatisch, bekundet seinen Willen zur Führung, legt die Hände ans Steuer, drückt aber mit dem Fuß nicht aufs Gaspedal. Politik als eine große Vertröstung.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.