Im vergangenen Jahrzehnt gab es einen regelrechten Boom in der Selbstzuordnung von jungen Leuten als „LGBT“, vor allem in den USA, aber auch in Europa. Immer mehr junge Amerikaner unter 30 Jahre sortierten sich selbst in diese Kategorie ein. In verschiedenen Umfragen hat sich der Anteil der selbst erklärten „LGBT“ innerhalb etwa eines halben Jahrzehnts auf rund 20 Prozent verdoppelt. Allerdings deuten andere Statistiken darauf hin, dass diese Ergebnisse übertrieben sind.
Ein bisschen Bi
Der Politwissenschaftler Eric Kaufmann vom Birkbeck College der University of London hat in einer neuen empirischen Studie das Phänomen untersucht. Sind wirklich bis zu ein Fünftel der jungen Leute heute „lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell“? Einer der Treiber der Zunahme dürfte eine höhere Häufigkeit der selbsterklärten Bisexualität sein, besonders bei jungen Frauen, weniger bei Männern. Bemerkenswert ist, dass die Mehrheit dieser vermeintlich Bisexuellen laut eigener Umfrageauskunft in den vergangenen fünf Jahren real gar keine gleichgeschlechtlichen Sexualpartner hatte.
Der Politikwissenschaftler geht nach dem Studium der Daten davon aus, dass ein erheblicher Treiber der Zunahme von LGBT an ideologisch-psychologischen Faktoren liegt. Nur vier Prozentpunkte der LGBT-Zunahme lägen an tatsächlicher Zunahme gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens.Überwiegend ist es ein politisch-psychologisches Phänomen. Auffällig ist nämlich, dass es ein gewaltiges Übergewicht der LGBT-Personen im linken (laut amerikanischem Sprachgebrauch „liberalen“) politischen Spektrum gibt. Von den selbst erklärt „sehr“ Linksliberalen unter 30 Jahre bezeichnen sich in verschiedenen Umfragen 34 bis 49 Prozent als LGBT. Unter den jungen Erwachsenen in der politischen Mitte sind es 10 bis 19 Prozent. Unter jungen Konservativen sind es nur 5 bis 14 Prozent.
Linksliberal Einstellung
Eine sehr linksliberale Einstellung korreliert also mit der Selbstidentifikation als LGBT auch unter jenen mit rein heterosexuellem Verhalten, vor allem Frauen, schreibt Kaufmann, dessen Studie vergangene Woche vom amerikanischen Center for the Study of Partisanship and Ideology (CSPI) veröffentlicht wurde. Es scheine eine psychologische Disposition unter heterosexuellen Linken zu geben, sich als LGBT zu bezeichnen. Kaufmann spricht von einer „sexuell liberalen und modernistischen transgressiven Jugendkultur“.
Im Klartext könnte man sagen, dass eine ideologische Mode jungen Linke dazu bringt, sich dem LGBT-Lager zuzuordnen, auch wenn es nicht ihrem tatsächlichen Sexualverhalten entspricht. Entsprechend steigen die Umfragewerte. Interessanterweise gibt es etwa zehn Prozentpunkte mehr LGBT unter Universitätsabsolventen der Sozial- und Geisteswissenschaften (die bekanntlich überwiegend links orientiert sind) als unter Absolventen der MINT-Fächer, also Naturwissenschaftlern und Technikern. Auch die Religion spielt eine wichtige Rolle. Konservative, christliche Studenten bezeichneten sich sehr viel seltener als LGBT als die nichtchristlichen Studenten, zeigte eine große Umfrage mit 57 000 Teilnehmern an 150 US-Universitäten.
Zudem zeigen Umfragedaten, dass eine stark linksliberale ideologische Einstellung und LGBT-Identifikation bei vielen jungen Leuten mit psychischen Problemen wie Angstzuständen und Depressionen einhergehen. „Sehr liberale junge Amerikaner haben eine zweimal so große Wahrscheinlichkeit, diese Probleme zu erleben, wie andere“, erklärt der Politikwissenschaftler Kaufmann. 27 Prozent der jungen Amerikaner mit Angststörungen und Depressionen waren LGBT. Der Anteil der jungen Menschen, die sich als „nicht allzu glücklich“ bezeichneten, stieg unter LGBT auf deutlich über 40 Prozent.
Erstaunliche Zunahmen
Eine weitere interessante Erkenntnis enthält die Studie: Es könnte sein, dass die Welle der „Transgender“ und „nichtbinären“ Menschen inzwischen ihren Höhepunkt überschritten hat. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der „trans und nicht-binären“ Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor allem in Nordamerika und Großbritannien, aber auch in Kontinentaleuropa erstaunlich gestiegen. In den USA gab es eine mehr als 1 000-prozentige Zunahme. Allerdings scheint die Welle nicht weiter zu steigen und könnte sogar wieder abnehmen. Die von Kaufmann zitierte Umfrage unter Zehntausenden Studenten in den USA zeigt von 2020 auf 2021 eine Abnahme der selbsterklärten „Transgender und Nichtbinären“ von 1,5 auf 0,85 Prozent. Kaufmann selbst warnt allerdings, ein Jahresergebnis dürfe noch nicht überbewertet und daraus gleich ein Trend konstruiert werden.
Scheitelpunkt überschritten
Aber es gibt weitere Statistiken, die eine ähnliche Entwicklung zeigen. Etwa die von der britischen Transgender-Jugendklinik Tavistock in London. Die Zahl der jugendlichen Patienten, die an die Tavistock-Transklinik überwiesen wurden, stieg seit 2010/11 von damals 136 auf jeweils mehr als 2 700 in den Jahren 2018/19 und 2019/20 – eine Zunahme um rund 2 000 Prozent. Im Jahr 2020/21 sank sie aber auf 2383. Ein kanadischer Zensus zeigte eine Abnahme des Trans- und Nichtbinären-Anteils unter 20- bis 24-jährigen von 0,85 Prozent auf 0,73 Prozent bei den 15- bis 19-Jährigen. Es könnte also durchaus sein, dass beim Transgendertrend ein Scheitelpunkt erreicht und überschritten ist.
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