Ein bisschen sehen sie aus wie bunte Legosteine: Container in den verschiedensten Farben lagern übereinandergestapelt auf der Logistikplattform der ruandischen Hauptstadt Kigali. Ein dunkelblauer Container der Logistikfirma „seaco“, die einer chinesischen Multi-Industrie-Firma gehört, lagert in der Mitte des Geländes. Oben drauf ein dunkelgrüner Container des amerikanischen Finanzdienstleistungsunternehmens „Capital Group“ und dahinter halb versteckt ein roter Container des Transportunternehmens „Hamburg Süd“.
Nicht nur hieran ist erkennbar: Die großen Industrienationen haben Afrika als Investitions- und Handelspartner für sich entdeckt. Insbesondere China hat seinen Einfluss auf dem Kontinent in den vergangenen Jahrzehnten strategisch ausgebaut.
Am Anfang war China
Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen China und Afrika sind eng: Das chinesisch-afrikanische Handelsvolumen umfasste 2021 rund 250 Milliarden US-Dollar – und ist damit rund viermal so hoch wie der deutsche Außenhandel mit Afrika im vergangenen Jahr. Die meisten aus China importierten Güter waren elektronische Geräte, Maschinen und Fahrzeuge – Produkte, mit denen Deutschland lange marktführend gewesen ist. Zudem sind inzwischen bereits 44 Länder der Subsahara-Region Teil der chinesischen „Belt and Road“-Initiative, auch bekannt als „Neue Seidenstraße“, mit der China neue See- und Landhandelswege nach Europa aber auch Afrika etablieren möchte.
Dabei fährt China auf dem afrikanischen Kontinent eine mehrgleisige Strategie: Es setzt nicht nur auf einen starken wirtschaftlichen Handel, sondern investiert auch Milliarden in den Bau von Infrastruktur. Straßen, Brücken, Eisenbahnverbindungen, Flughäfen sowie Schulen und Krankenhäuser, von chinesischer Hand gebaut, breiten sich auf dem ganzen Kontinent aus. Das treibt nicht nur die Entwicklung der Länder selbst voran, sondern schafft auch Aufträge für chinesische Firmen und die Vergabe von billigen Krediten systematische Abhängigkeit von China. Durch den Bau von Infrastruktur schafft China sich außerdem die nötige Grundlage für den Export von Öl, seltenen Metallen und Erzen wie Lithium, Kobalt und Coltan, die es im Gegenzug für die Entwicklungsleistungen bekommt. Diese Metalle und Erze werden in China weiterverarbeitet zu Batterien, insbesondere für Elektroautos, und zu elektronischen Geräten wie Handys und Laptops.
Elektrizität und Internet:
Das ist die Infrastruktur, die das Reich der Mitte auf dem Kontinent als nächstes ausbauen möchte. Laut der Afrikanischen Entwicklungsbank verfügen bisher nur 30 Prozent der Afrikaner über Elektrizität. In dem Bereich hat China auch schon den Fuß in der Tür: Mit der „Erklärung für die chinesisch-afrikanische Kooperation zum Kampf gegen Klimaschutz“ hat sich das Land bereits den Markt für die Stromgewinnung durch Gas und für grüne Energien erschlossen.
Um den Kontinent noch stärker an sich zu binden, möchte China den Wert der aus Afrika importierten Waren in den nächsten drei Jahren auf 300 Milliarden US-Dollar steigern. Um das zu erreichen, möchte China künftig auch verstärkt Agrarprodukte aus Afrika importieren, dafür sollen sogenannte „Green Lanes“ eingerichtet werden. „Green Lanes“ sind schnelle Transportwege, bei denen Waren ohne langwierige Grenzkontrollen in ein Land eingeführt werden können. Außerdem bot China an, den zollfreien Import von Waren auszudehnen: So sollen auf 98 Prozent der Waren aus den am wenigsten entwickelten afrikanischen Ländern bei der Einfuhr nach China keine Steuern erhoben werden.
Praktische Handelsplattform
Um den Handel generell zu erleichtern, hat China mit dem „eWTP Yiwu Global Innovation Center“ eine Möglichkeit geschaffen, kleine und mittlere chinesische Unternehmen über ein einheitliches elektronisches Betriebssystem in den grenzüberschreitenden Handel einzubinden. Daran angegliedert ist der „Digital Trade Hub“ – eine Online-Handelsplattform, auf der afrikanische Geschäftsleute aus einer Auswahl chinesischer Produkte wählen, die ausgestellt sind, bevor sie die Produkte im Zolllager abholen. Sie können auch Geschäftsverhandlungen mit chinesischen Verkäufern über Telefonkonferenzen im Hub führen.
Die Kombination aus praktischen Erleichterungen für den wirtschaftlichen Handel, Entwicklungshilfe durch den Bau von Infrastruktur und damit auch Schaffung von Arbeitsplätzen und die Vergabe von Krediten, sowie großzügige Investitionen auf dem Kontinent haben Afrika in eine systematische Abhängigkeit von China geführt – und der Westen hat lange nur zugeschaut.
Die „Zeitenwende“ verleiht Afrika Flügel
Doch nun scheinen auch die USA und Europa aufzuwachen. Bisher konzentrierten sich die westlichen Länder vor allem auf Entwicklungshilfen für den afrikanischen Kontinent. Die Europäische Kommission gab 2019 noch bekannt, weltweit größter Geber öffentlicher Entwicklungshilfen zu sein, allein für Afrika waren im Rahmen der „Europäischen Investitionsoffensive für Drittländer“ 47 Milliarden Euro eingeplant. Jetzt zeigt auch der Westen zunehmend Interesse an wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Kontinent:
Während seines bereits zweiten Afrika-Besuchs als Bundeskanzler sprach Olaf Scholz (SPD) sich dafür aus, die Afrikanische Union in die G-20 Staatengruppe führender Wirtschaftsmächte aufzunehmen – wie vor ihm bereits der französische Präsident Emmanuel Macron und US-Präsident Joe Biden, der seinen Vorschlag mit den schmeichelnden Worten garnierte: „Afrika gehört an jeden Tisch im Raum – in jeden Raum, in dem globale Herausforderungen diskutiert werden und in jede Institution, in der Diskussionen stattfinden.“ Ein eindeutiges Signal Richtung Afrika: Ihr seid für uns Partner auf Augenhöhe.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) ermutigte zudem beim deutsch-afrikanischen Wirtschaftsgipfel im Dezember letzten Jahres deutsche Unternehmen dazu, mehr in Afrika zu investieren. Und die Bereitschaft der deutschen Unternehmen dazu scheint auch vorhanden zu sein: Rund jede zweite deutsche Firma möchte mehr auf dem Kontinent investieren, wie eine Umfrage des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft ergibt. Um die Geschäftsführer dabei an die Hand zu nehmen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auch gleich das „Wirtschaftsnetzwerk Afrika“ ins Leben gerufen, das Unternehmen dabei helfen soll, erstmals in Afrika Fuß zu fassen.
Enge Partnerschaften
Auch die USA geben sich nun alle Mühe, Chinas Vorsprung im Eiltempo aufzuholen und umwerben Afrika mit großzügigen Versprechen: So kündigte Biden auf dem US-afrikanischen Führungsgipfel 2022 an, in den nächsten drei Jahren mindestens 55 Milliarden US-Dollar in das Entwicklungsprogramm der Afrikanischen Union, „Agenda 2063“, investieren zu wollen – zusätzlich kündigte er ein Pilotprogramm des amerikanischen Verteidigungsministeriums an, das im Umfang von 100 Milliarden US-Dollar die Sicherheitskapazitäten der Staaten der Afrikanischen Union erweitern soll, sowie ein kleineres Paket, das Wahlen in Afrika und „gute Regierungsführung“ unterstützen soll. Versprechungen, denen allerdings der US-Kongress zustimmen muss.
Um den wirtschaftlichen Handel zu erleichtern, unterzeichneten die USA und die afrikanische kontinentale Freihandelszone außerdem ein Handels- und Investitionsabkommen. Bei all seinen Versprechen legte Biden Wert darauf, immer wieder die „enge Partnerschaft“ der USA mit den afrikanischen Staaten zu betonen. Doch von afrikanischer Seite schlägt dem Westen noch viel Misstrauen entgegen.
Eine neue Studie des kenianischen Think Tanks „Inter Region Economic Network“ zeigt, warum China in Afrika der dem Westen bevorzugte Handelspartner ist: China sei besser darin, schnelle Entscheidungen zu treffen, Projekte schnell und effizient durchzuführen und mische sich nicht in die Innenpolitik afrikanischer Staaten ein. Zwar schneidet die EU in den Bereichen „Menschenrechte“, „Ernährungssicherheit“ und „Bewahrung der lokalen Kulturen“ besser ab als China, aber „China schneidet in den für Afrika wesentlichen Bereichen sehr viel besser ab als die EU.“
Schneller Zugang zum Markt
Um den Anschluss zu China nicht zu verlieren, raten die Autoren der Studie der EU, den afrikanischen Staaten Sicherheit im digitalen Raum zu gewährleisten, zu einer schnelleren Entscheidungsfindung und -umsetzung und vor allem, afrikanischen Unternehmen einen größeren Markt in Europa zu ermöglichen und Afrika einen größeren Anteil an der Wertschöpfungskette bei der Verarbeitung seiner Produkte zu garantieren.
Denn auch wenn China als der „freundlichere Zeitgenosse“ gesehen werde: Afrika möchte sich alle Handelspartner warmhalten, wie der Präsident des Senegal, Macky Sall, auf dem US-afrikanischen Führungsgipfel offen zugibt: „Lasst euch von niemandem sagen, dass ihr nicht mit uns arbeiten sollt, sondern arbeitet einfach mit uns. Wir wollen mit allen zusammenarbeiten und Handel treiben.“
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