Washington

Die einsamen Lebensschützer der US-Demokraten

Eisern halten die „Democrats for Life“ die Fahne des Lebenschutzes innerhalb der US-Demokraten hoch – eine Partei, deren Position immer extremer wird. Doch die parteipolitische Spaltung in der Abtreibungsfrage war noch nicht immer so deutlich.
Die Demokraten und der Lebensschutz
Foto: David J. Phillip (AP) | Obwohl sie zur gleichen Partei gehören: DFLA-Vorsitzende Kristen Day sieht in Joe Biden (l.) und Kamala Harris (r.) „das abtreibungsfreundlichste Wahlkampfduo in der Geschichte unseres Landes“.

Als der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden vor einigen Wochen seine Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin vorstellte, waren die „Democrats for Life of America“ (DFLA) eine der ersten Gruppen, die ausgesprochen kritisch reagierten: Kamala Harris, die 55-jährige Senatorin aus dem Westküstenstaat Kalifornien, sei überhaupt nicht zu Zugeständnissen an die Abtreibungsgegner innerhalb der demokratischen Partei bereit, hieß es in einer Stellungnahme. Die Organisation forderte das demokratische Wahlkampfduo auf, auf Pro-Life-Demokraten zuzugehen und das Programm der Partei bezüglich Abtreibung neu zu justieren.

Manche wollen für Trump stimmen

Eigentlich stünden die Demokraten dafür, all diejenigen zu schützen, die auf Hilfe angewiesen seien, erzählt Kristen Day, die Vorsitzende der DFLA, gegenüber der Tagespost. Die Partei schütze das Leben mit ihrem Einsatz für Arme und Verletzliche, für Einwanderer, Alte. Was Progressive zusätzlich verstehen müssten: „Menschenrechte beginnen im Mutterleib und gelten fort bis zum natürlichen Tod“, so Day. Anstatt Abtreibungen zu begrüßen und durch gelockerte Gesundheitsvorschriften unsicherer zu machen, müsse man sich darauf konzentrieren, die Zahl der Eingriffe zu reduzieren.

Die Democrats for Life, 1999 gegründet, gelten mit ihren Positionen innerhalb der demokratischen Partei als Randgruppe. Eisern halten sie im gespaltenen Amerika die Fahne der Lebensschützer hoch. Staatliche Gelder für Abtreibungen wollen sie streichen. Um dies politisch zu forcieren, so Day, unterstütze man demokratische Kandidaten, die ausdrücklich gegen Abtreibung eintreten. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl dieser Politiker in gewählten Ämtern jedoch geschrumpft. Das hat auch mit einer Kontroverse um den ehemaligen demokratischen Kongressabgeordneten Bart Stupak zu tun: Als Barack Obama im Jahr 2009 den „Patient Protection and Affordable Care Act“, besser bekannt als „Obamacare“ auf den Weg brachte, handelte Stupak eine Art Deal aus. Er stimme für das Gesetz, wenn Obama im Gegenzug per Präsidialerlass staatliche Gelder zur Finanzierung von Abtreibungen streiche. Teile der US-Lebensrechtszene, die bis zu diesem Zeitpunkt hinter Stupak standen, kritisierten den Deal als fadenscheinig und in der Praxis nicht wirkungsvoll. Daraufhin verloren viele Pro-Life-Demokraten an Rückhalt – und schließlich auch ihre Mandate. Die DFLA-Vorsitzende Day betont aber, dass es weiterhin Hunderte gewählter Demokraten gebe, die sich mit der Pro-Life-Position identifizierten – darunter Gouverneure, Kongressabgeordnete und Lokalpolitiker.

Einen Grund, weiter für ihre Anliegen zu kämpfen, dürften die Pro-Life-Demokraten darin finden, wie die Amerikaner grundsätzlich zu Abtreibung stehen. Die DFLA betont: Die US-Gesellschaft sei in Fragen des Lebensschutzes gar nicht derart gespalten, wie es die politische Landschaft und die mediale Berichterstattung vermuten lassen. Für einen Großteil der Bevölkerung sei eine Abtreibung „moralisch falsch“ und ein „tragischer“ Eingriff. „30 Prozent der demokratischen Wähler sind pro-life“, hebt Day hervor. Dieses Klima müsse man nutzen, um für einen gesetzlichen Wandel zu sorgen.

Enttäuscht von Biden und Harris

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Dass dieser unter einem potenziellen Präsidenten Joe Biden erfolgt, glaubt die Vorsitzende der DFLA nicht. Pro-Life-Demokraten seien sehr enttäuscht vom Wahlkampfduo Biden-Harris, so Day. Sie geht sogar so weit, die beiden als „das abtreibungsfreundlichste in der Geschichte unseres Landes“ zu bezeichnen. Dass viele demokratische Lebensschützer am Wahltag daher zu Hause bleiben würden, wie sie erzählt, dürfte für Biden dabei noch das geringere Übel sein. „Manche ziehen sogar in Erwägung, für Donald Trump zu stimmen.“ Zwar würden auch Abtreibungsgegner unter den Demokraten gerne ihre Stimme für Biden abgeben – die extreme Haltung der Partei in der Abtreibungsfrage schrecke sie jedoch ab. Die Antwort darauf könne nur sein, weiter für die Ziele in Sachen Lebensschutz zu kämpfen, so Day. „Wir müssen uns gegen die Abtreibungslobby und ihren Klammergriff wehren.“ Schweige man, so werde der „Abtreibungsextremismus“ fortdauern. Days Wunsch: Alle abtreibungskritischen Anhänger der Demokraten in einer Graswurzelbewegung zu vereinen, um so einen „Wandel von unten“ herbeizuführen,

Die DFLA verfolgt beim Lebensschutz einen ganzheitlichen Ansatz. Das Thema Abtreibung ist zwar der wichtigste, jedoch nicht der einzige Aspekt, für den sich die Mitglieder engagieren. Auch der Einsatz gegen assistierten Suizid, die Todesstrafe sowie für eine umfassende Gesundheitsversorgung aller Amerikaner zählen zu den Hauptanliegen der Gruppe.

Hierin unterscheidet die DFLA sich wohl am deutlichsten von gleichgesinnten Republikanern, die das Thema Lebensschutz meist ausschließlich mit dem Einsatz gegen Abtreibung verbinden. Die DFLA betont aber ausdrücklich, die Bemühungen aller anderen Gruppen für den Lebensschutz zu unterstützen. Auch beim alljährlichen „March for Life“ sind immer wieder Fahnen der DFLA zu sehen.

Wende setzte in den 70er Jahren ein

Zu sagen, die Demokraten und die Lebensschützer wären einander in den letzten Jahrzehnten fremd geworden, wäre noch untertrieben. Dabei war es bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein noch durchaus üblich, auch als Anhänger der Partei Roosevelts, Clintons und Obamas Abtreibungen kritisch zu sehen. Ob Demokrat oder Republikaner – Vertreter beider Parteien stimmten sowohl für wie auch gegen liberale Abtreibungsgesetze. Die Veränderung lässt sich zwar nicht auf ein konkretes Ereignis festklopfen. Experten sehen die zunehmende Polarisierung des US-Lebensschutzes jedoch unter anderem mit dem Wahlkampf Richard Nixons im Jahr 1972 verknüpft. Der Republikaner, der später im Weißen Haus krachend über die Watergate-Affäre stolpern sollte, hatte zusammen mit seinen Wahlkampfstrategen die Taktik entwickelt, katholische und sozialkonservative Wähler anzusprechen – und präsentierte sich daher als abtreibungskritischer Kandidat. Die Strategie sollte aufgehen: Nixon gewann die Wahl – und die Mehrheit der katholischen Stimmen. Von nun an begannen republikanische Kongressabgeordnete, mit einer ähnlichen Taktik in ihre Wahlkämpfe zu ziehen.

Das hatte zur Folge, dass immer mehr christliche und konservative Wählergruppen von den Republikanern angezogen wurden. Evangelikale, die heute unter allen christlichen Gruppen in den USA wohl am stärksten mit den Republikanern verbunden sind, fanden dadurch ihren Weg zur Partei. Allmählich bildete sich eine Koalition, die bis heute geschlossen den Republikanern die Treue hält.

Roe vs. Wade tat ein Übriges

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Zudem gilt es unter Historikern als belegt, dass auch das Grundsatzurteil des Obersten US-Gerichtshofs „Roe vs. Wade“, erlassen zwei Monate nach Nixons Wahlsieg im Jahr 1973, ein Übriges zur Polarisierung in der Abtreibungsfrage beitrug. Als US-Gerichte im Nachgang zu Roe immer mehr Pro-Life-Gesetze blockierten, sahen sich Lebensschützer quasi gezwungen, sich hinter der Partei zusammenzuschließen, die gerade begonnen hatte, sich den Einsatz gegen straffreie Abtreibungen auf die Fahnen zu schreiben – damals eben Richard Nixons Republikaner.

Bei den Wählern dauerte es dennoch noch eine gewisse Zeit, bis die Veränderung messbaren Einzug in die Statistik hielt. Erst seit 1988 stellte das US-Meinungsforschungsinstitut Gallup fest, dass mehr Demokraten als Republikaner einen freien Zugang zu Abtreibungen befürworteten. Im Parteiprogramm der Republikaner war der Lebensschutz zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer festen Größe avanciert.

Abweichende Ansichten waren jedoch im Rahmen einer Meinungspluralität innerhalb der Partei noch akzeptiert. Heute scheint das unvorstellbar – man denke nur an den Nominierungsparteitag der Republikaner vor wenigen Wochen. Der bedingungslose Schutz menschlichen Lebens wurde dort so sehr wie kaum zuvor ins Rampenlicht gerückt.

Democrats für Life haben einen schweren Stand

Dass die parteipolitische Polarisierung in der Abtreibungsfrage in Zukunft abnimmt, ist kaum zu erwarten. Wie schwer der Stand der Democrats for Life ist, zeigt beispielsweise der Blick auf eine Petition, die die Vorsitzende Day auf der Plattform „change.org“ vor einiger Zeit gestartet hat. Darin fordert sie, eben jenen „Abtreibungsextremismus“ innerhalb der Demokraten zu beenden – beklagt aber auch, wie schwer sie es in ihrer eigenen Partei habe, als vollwertiges Mitglied anerkannt zu werden. So habe sich der ehemalige Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur Pete Buttigieg geweigert, sie in der Partei willkommen zu heißen. Stand heute, mehr als drei Monate nach ihrer Veröffentlichung, hat die Petition 5 400 Unterstützer gefunden.

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Maximilian Lutz Demokratische Partei (USA)

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