Berlin

Die Agenda der Ampel

Was Christen über den Koalitionsvertrag wissen müssen. Eine Themen-Analyse.
Ampel: Symbolbild für eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen
Foto: Oliver Boehmer (460999122) | Ampel Rot, Gelb, Grün. Symbolbild für eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen.

Wirtschaft/Finanzen: Ehrgeizige Pläne 

Die Soziale Marktwirtschaft ökologie- und digitalaffiner machen, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr schaffen, die Mobilitätswende voranbringen sowie dies alles finanziell und sozial ausgewogen zu bewerkstelligen: Die Quadratur des Kreises wäre vermutlich einfacher zu bewerkstelligen als das, was sich die Ampelkoalition in puncto Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik im Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben hat. Auf Robert Habeck (Wirtschaft und Klima), Christian Lindner (Finanzen), Hubertus Heil (Arbeit und Soziales), Volker Wissing (Verkehr und Digitales) sowie einen noch zu nennenden SPD-Minister für Bauen und Wohnen kommt so oder so viel Arbeit zu: Aufgrund der Verbindung von Wirtschafts- und Klimapolitik sollen zwar Investitionen in Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, Cybersicherheit, Blockchain und Robotik gestärkt werden - allerdings stets unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit.

Die Verwaltung umfangreich digitalisieren

Die Koalitionspartner wollen zudem die Verwaltung umfangreich digitalisieren, in neue Software investieren und die Schriftform möglichst abschaffen. Hinzu kommen Pläne zur Senkung der Strompreise, der Auszahlung eines Heizkostenzuschusses für Bedürftige und der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro im Jahr 2022 sowie der Minijobgrenze auf 520 Euro. Außerdem will die künftige Regierung in die Aktienrente einsteigen und so die Rentenkasse aufbessern. Eine Kindergrundsicherung soll alle bisherigen Leistungen für Minderjährige bündeln und so unkomplizierter einkommensunabhängige Garantieleistungen verfügbar machen, die mit Zusatzbeiträgen aufgestockt werden können.

Zudem wird Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzt und auch pflegende Angehörige sollen unter anderem durch die Einführung einer Lohnersatzleistung profitieren. Die Löhne in der Kranken- und Altenpflege sollen angeglichen werden, Zuschläge sollen steuerfrei und Auszubildende besser vergütet werden. Wie die Ampel-Koalition diese ökonomischen und sozialen Vorhaben finanzieren möchte, bleibt im Koalitionsvertrag ungeklärt. Die anvisierte Rückkehr zur Schuldenbremse Anfang 2023 dürfte Christian Lindner dazu verleiten, dieses durch massiven Subventionsabbau und Schattenhaushalte zu bewerkstelligen. Stefan Ahrens

 

 

Ein paradoxer Familienbegriff: 
Die Ampel definiert die Familie neu

"Familie ist vielfältig und überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen." Mit diesem von der natürlichen Familie stark abweichenden Familienbild operiert der Koalitionsvertrag. Zur Förderung der Vielfalt soll die rechtliche Form der "Verantwortungsgemeinschaft" eingeführt werden, die es zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglicht, "rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen". Ein Kind, das in die "Ehe" zweier Frauen geboren wird, soll automatisch beide Frauen als "rechtliche Mütter" haben. Bis zu vier "soziale" Elternteile sollen in Zukunft mit dem "kleinen Sorgerecht" auch "rechtliche" Elternteile eines Kindes sein können. Die Ehe soll kein ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder mehr sein.

Nicht Liebe, sondern "Verantwortung"

Ein Blick in die Wahlprogramme von SPD, Grünen und FDP überzeugt, dass alle drei Koalitionspartner bei den vorgestellten Maßnahmen voll auf ihre Kosten kommen. Gemäß der Parole "love is love" waren die Befürworter der "Ehe für alle" noch mit dem Anspruch angetreten, dass die Liebe zwischen zwei Partnern gleichen Geschlechts der Liebe zwischen Mann und Frau gleichgestellt werden müsse. Das Band, das die Mitglieder einer "Verantwortungsgemeinschaft", die "jenseits von Liebesbeziehungen" geschlossen werden kann, eint, ist aber nicht Liebe, sondern "Verantwortung". Die Vertragspartner eines solchen Konstrukts haben gegenseitige Rechte und Pflichten, die unter Umständen auch gerichtlich eingeklagt werden können.

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Nur folgerichtig ist es, wenn die Koalition "Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz verankern" möchte - wird doch das Kind in diesem neuen Familienbegriff zum Gegenstand der Verhandlung Erwachsener oder wahlweise zu einem schwächeren Verhandlungspartner. Daher sollen dem Kind Möglichkeiten der "Beschwerde" eröffnet werden, um seine Rechte gegenüber seinen "sozialen" und/oder "rechtlichen" Eltern - von biologischen Eltern wird im Papier nicht gesprochen - einfordern zu können.Unter dem Punkt "Queeres Leben" fordert der Text, dass zur Akzeptanz und zum Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt eine entsprechende Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit gehört.

Ehe- und Familienbild der Vielfalt

Auch auf EU-Ebene tritt die Koalition künftig für eine Anerkennung des Ehe- und Familienbilds der Vielfalt in allen Mitgliedsstaaten ein. Laut dem Familienreport 2020 des Bundesfamilienministeriums gibt es in Deutschland über 6,5 Millionen Familien mit einem Vater und einer Mutter (die Mehrzahl davon verheiratet), dagegen aber nur 10.000 "Regenbogenfamilien". Die ideologische Konzentration auf diese 0,15 Prozent der Familien gefährdet nicht nur das im Grundgesetz festgehaltene natürliche Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder, sondern ignoriert auch die tagtäglichen Bedürfnisse vieler Familien. Zwar finden sich im Koalitionsvertrag auch punktuelle Erleichterungen wie die Erhöhung der Kinderkrankentage für erwerbstätige Eltern. Wer aber langfristige, allen Familien zugutekommende Maßnahmen sucht, wird enttäuscht. Franziska Harter

 

 

Bildung: Gleichheit wird betont

Das Bildungsprogramm der neuen Bundesregierung ist aus einem linken Guss. Ganztägige frühkindliche Bildung, die Anerkennung ausländischer Qualifikationen im Lehramt soll beschleunigt und Kinderrechte sollen per Gesetz festgeschrieben werden. Das Programm wirkt stark von den Grünen beeinflusst, denn die SPD stellt in ihrem Regierungsprogramm die "Entwicklungs des deutschen Wissenschaftssystems" sowie die Hochschulforschung und -lehre in den Vordergrund und von den Plänen der FDP zur Schulautonomie, den Schulfreiheitsgesetzen, gesundem Wettbewerb auch unter Schulen und Hochschulen sowie besonderer Begabtenförderung ist in den Bildungsplänen der Ampel fast nichts übrig geblieben. 

Große sozialistische Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse

Stattdessen sollen jetzt Bildung und Chancen für alle dadurch erreicht werden, dass Bund und Länder "gemeinsam gleichwertige Lebensverhältnisse" schaffen sollen, notfalls mit einer Grundgesetzänderung; das lässt eine große sozialistische Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse erahnen. Hierzu hätte allerdings die designierte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, verheiratet und Mutter von zwei Kindern sowie Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion, ein wichtiges Wörtchen mitzureden. Zwar ist ihr Ziel die "weltbesten Bildung", anders als im Koalitionsvertrag will das Stark-Watzinger gemäß den Plänen der FDP mit einem viel stärkeren Einfluss des Bundes erreichen. Denn ihr Menschenbild entspricht eher der Freiheit gegenüber dem der Gleichheit aus dem Vertrag.  Alexander Riebel         

 

 

Jugend: Kein großer Wurf

Es gibt Koalitionsthemen, die junge Leute mehr "sexy" finden als andere. Ein Thema mit hohem "Sexy-Faktor" ist die geplante Legalisierung von Cannabis. Eines, dass hingegen eher ein Mauerblümchendasein fristet, ist die Generationengerechtigkeit. Dabei betrifft die gewichtige Frage, wie Altersversorgung in Zukunft aussehen soll, gerade die Jungen. Wir sind soeben in die letzte Legislaturperiode eingetreten, bevor der geburtenstärkste Jahrgang, den die Bundesrepublik je hatte   den der "Baby-Boomer" - in Rente geht. Wenn somit 30 Prozent der deutschen Bevölkerung als Steuerzahler wegbrechen und man den zusätzlichen Demografiewandel bedenkt, steht das umlagefinanzierte Rentensystem in wenigen Jahrzehnten auf wackeligen Beinen. 

An den kleinen Schrauben drehen

Große Umwälzungen bei der Rentensicherung finden sich im Koalitionspapier nicht. Es sind eher kleine Schrauben, an denen gedreht werden soll. Die Ampelparteien versprechen, dass es keine Kürzungen geben wird und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Das Mindestrentenniveau von 48 Prozent soll dauerhaft gesichert werden. Der Beitragssatz soll von den derzeitigen 18,6 Prozent in der Legislaturperiode bis 2025 nicht über 20 Prozent steigen. Neu ist, dass die Koalition die bisher umlagefinanzierte Rente, nach Vorbild des Schwedischen Modells, auf eine weitere Säule stellen möchte: auf die der Kapitaldeckung. Das war vor allem eine Forderung der FDP. Ihr Vorschlag ist, dass künftig zwei Prozent des Bruttoeinkommens in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge angelegt werden.  Emanuela Sutter

 

 

Was von Böckenförde bleibt

Ob die Sozialdemokarten ihren Parteifreund Ernst-Wolfgang Böckenförde richtig verstanden haben? Von dem Staatsrechtslehrer und Katholiken stammt jene Formel, die seit Jahrzehnten das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen prägt: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Böckenförde hatte erkannt, dass die Kirchen aber auch andere weltanschauliche Gruppen ein soziales Kapital in den säkularen Staat einbringen. Der säkulare Staat benötigt Staatsbürger mit Wertehaltungen, die diese auf der Basis ihrer weltanschaulichen Überzeugungen heranbilden.

Spielraum könnte kleiner werden

Denn diese Werte sind so etwas wie ein Motor für ihren Einsatz für das Gemeinwohl. Im Gegenzug gewährt der Staat diesen weltanschaulichen Gruppen genügend Freiraum, damit diese gemäß ihrer Wertevorstellungen wirken können. Und da sind nun im Koalitionsvertrag Bruchstellen zu erkennen. Zwar steht auch dort: "Kirchen und Religionsgemeinschaften sind ein wichtiger Teil unseres Gemeinwesens und leisten einen wertvollen Beitrag für das Zusammenleben und die Wertevermittlung in der Gesellschaft. Wir schätzen und achten ihr Wirken."

Vorstellung Koalitionsvertrag

Aber wieviel Freiraum ist man noch bereit, dafür einzuräumen? Gesellschaftlich wirken kann man nur mit geeignetem Personal. Im Vertrag heißt es nun, man wolle gemeinsam mit den Kirchen prüfen, inwieweit das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen angepasst werden könne. Verkündigungsnahe Aufgaben sollen zwar davon ausgeschlossen sein. Gleichwohl: der Spielraum könnte kleiner werden. Ein anderer Passus muss aber wirklich alarmieren: Die Beteiligung und Repräsentanz muslimischer Gemeinden solle verbessert werden. Dabei sollten neuere, progressive, in Deutschland beheimatete Gemeinschaften eingebunden werden. Das klingt mit Blick auf die Gefahren, die von einem politischen Islamismus drohen, sinnvoll.

Aber wie will der Staat definieren, was in einer Religion als progressiv gilt und wieso kann er solche Gruppen bevorzugen? Könnte nicht einmal das, was jetzt für Muslime gelten soll, dann auch auf Katholiken angewendet werden können? Schließlich kündigt sich das Ende einer unendlichen Debatte an: das Ende der Staatsleistungen. Hier soll mit einem Grundsätzegesetz ein fairerer Rahmen für die Ablösung geschaffen werden.  Sebastian Sasse  

 


"Brown Devil": Rot, gelb und grün
ergeben ein toxisches Gebräu für die Bioethik

"Reproduktive Selbstbestimmung" lautet die Überschrift des Kapitels des Koalitionsvertrags, in dem SPD, Grüne und FDP ihre soziokulturellen Vorstellungen rücksichtslos addieren. Herausgekommen ist ein toxischer Cocktail, der derart viele Zutaten hat, dass leicht der Eindruck entsteht, eine Legislaturperiode sei viel zu kurz, um das giftige Gebräu zu mixen und dem Volk zu kredenzen. Wetten sollte man darauf allerdings nicht. Denn einige der avisierten Gesetzesvorhaben sind längst vorbereitet und ausformuliert. Sie benötigen, wie etwa der Gesetzentwurf, mit dem demnächst der § 219a (Werbeverbot für Abtreibungen) ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden dürfte, nur noch eine frische Drucksachennummer. Ähnliches gilt für das angekündigte Gesetz, das Lebensrechtlern die im Vertrag als "Gehsteigbelästigungen" bezeichneten, friedlichen Gebets- und Mahnwachen in unmittelbarer Nähe von Abtreibungseinrichtungen verbieten soll und für das es Blaupausen aus den Ländern gibt.

Bagatellisierung vorgeburtlicher Kindstötungen

Die Bagatellisierung vorgeburtlicher Kindstötungen und ihre Umetikettierung als Teil der "Gesundheitsversorgung" von Frauen, die heute mitunter auch unter dem Begriff "Menschen mit Uterus" subsumiert werden, ist ursprünglich ein Projekt aus den Denkfabriken der internationalen Abtreibungslobby. Eines, das vor allem bei den Jungsozialisten, der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen und den Grünen dankbare Abnehmer gefunden hat. Es darf als abgeschlossen betrachtet werden, wenn es der Ampel gelingen sollte, vorgeburtliche Kindstötung nicht mehr im Strafgesetzbuch zu regeln und Verstöße gegen die dann nötige gesetzliche Neuregelung im Ordnungswidrigkeitenrecht zu ahnden. Der Koalitionsvertrag sieht dafür die Einsetzung einer Kommission vor, auf deren Zusammensetzung man schon jetzt gespannt sein darf.

Nicht nur für Juristen dürfte es dann auch interessant werden, zu erfahren, wie die Ampelkoalition dabei dem sogenannten Untermaßverbot zu begegnen gedenkt, welches den Staat verpflichtet, ausreichende Maßnahmen für einen wirksamen Schutz der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter zu ergreifen, zu denen das "Recht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit" (Artikel 2 Absatz 2 GG) zweifellos zählt.

Vorstellung Koalitionsvertrag
Foto: Kay Nietfeld (dpa) | Diese Koalition will nicht bloß eine pragmatisch gestimmte Arbeitsgemeinschaft sein, sie hat einen geistigen Überbau, eine Vision von der Entwicklung der Gesellschaft.

Die FDP, die in der vergangenen Legislaturperiode für eine Reform des   219a StGB eingetreten war, den   218 aber unangetastet lassen wollte, hat dafür auf dem Feld der Reproduktionsmedizin fast alle ihre Forderungen in den Koalitionsvertrag gerettet. Derzeit übernehmen die Krankenkassen für die ersten drei Versuche einer künstlichen Befruchtung 50 Prozent der Kosten in aller Regel nur dann, wenn die Paare verheiratet sind, die Frau nicht älter als 40 Jahre und der Mann nicht älter als 50 Jahre alt ist und sich keiner von beiden vorher sterilisieren ließ. Mit all dem soll bald Schluss sein. Schwarz auf weiß heißt es im Koalitionsvertrag hierzu: "Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen. Künstliche Befruchtung wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig sein. Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen."

 Ampel beerdigt Embryonenschutzgesetz

Übersetzt heißt das: Ähnlich wie in Frankreich sollen demnächst auch in Deutschland Lesben und alleinstehenden Frauen per Fremdsamenspende (heterologe Insemination) und künstlicher Befruchtung zu Kindern verholfen werden. Auf Kosten der Steuerzahler sowie der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten. Denn zusätzlich zu dem Kostenanteil der Krankenkassen (50 Prozent) soll der Bund nach den Vereinbarungen der Ampelparteien weitere 25 Prozent der Kosten tragen. Und das unabhängig davon, ob sich die Länder an den Kosten beteiligen. Auch jetzt fördert der Bund bereits künstliche Befruchtungen mit den Steuergeldern seiner Bürger. Wenn auch in deutlich geringerem Umfang.

Zurück geht dies auf eine Initiative der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Die hatte den Ländern angeboten, Kooperationsvereinbarungen mit dem Bund zu schließen. Seitdem erhalten Paare, die ihren Hauptwohnsitz in Ländern haben, die künstliche Befruchtungen mit Ländermitteln bezuschussen, die gleiche Summe, maximal jedoch 12,5 Prozent noch einmal vom Bund. Dadurch sank der Eigenanteil der Paare im günstigsten Fall auf 25 Prozent. Nun soll er zumindest nicht höher aus- und womöglich ganz entfallen. Denn, wie die Ampelparteien im Koalitionsvertrag weiter schreiben: "planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren.". Übernommen werden sollen auch die "Kosten für eine Präimplantationsdiagnostik".

Die vereinbarte Legalisierung von "Embryonenspenden im Vorkernstadium" zu Forschungszwecken und des "elektiven Single Embryo Transfers" zeigen an, dass das Embryonenschutzgesetz von der Ampel beerdigt und durch ein Fortpflanzungsmedizingesetz abgelöst werden soll. Entwürfe dafür schlummern längst in den Schubladen von Ministerien und Wissenschaftsakademien. Dazu passt dann auch, dass die geplante Kommission auch gleich "Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen" soll.

Wer die Farben rot, gelb und grün mischt, erhält einen Braunton. Wer nun noch einen Namen für die Giftmischung sucht, die sich aus der Addition der Ingredienzien dieses Kapitels des Ampelvertrags ergibt, läge mit "Brown Devil" wohl nicht völlig daneben.  Stefan Rehder

 

 

Mehr Joschka wagen

Die Stärkung der EU, der transatlantischen Beziehungen und der Vereinten Nationen, von Frauen und marginalisierten Gruppen sowie des Multilateralismus insgesamt einerseits   die Beschaffung von Drohnen, die Stärkung der Bündnisfähigkeit der Bundeswehr sowie die erstmalige Benennung Chinas als Systemrivalen andererseits: Die designierte Ampelkoalition setzt zumindest laut Koalitionsvertrag innerhalb der Außen- und Sicherheitspolitik neben Kontinuität auch auf dezidierte Abgrenzung zur Vorgängerregierung.

Globaleres Denken als Vorgängerregierung

Vor allem mit Blick auf die mit Händen zu greifende Ambitions- und Trostlosigkeit der deutschen Außenpolitik unter dem nur noch geschäftsführenden Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) mutet das von SPD, Grünen und FDP formulierte Programm, das im kommenden Jahr sogar durch eine neue Sicherheitsstrategie präzise ausformuliert werden soll, regelrecht progressiv an. Positiv gilt es zu vermerken: Die neue deutsche Regierung denkt augenscheinlich globaler als ihre Vorgängerin und will ein wertegeleitetes internationales System durch eine ebenso werte- wie interessengeleitete deutsche Außenpolitik stärken. 

Umgesetzt werden soll dieses zwischen Realismus und Idealismus hin und her navigierende außenpolitische Programm erstmals in der Geschichte Deutschlands durch eine Frau: Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock gilt als designierte Bundesaußenministerin und machte bereits im Wahlkampf keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber Autokraten wie Chinas Xi Jinping und Russlands Wladimir Putin - die umstrittene Gas-Pipeline Nord-Stream 2 würde sie am liebsten gleich komplett stilllegen.

Dies ist ein klarer Bruch mit der seit den Bundesaußenministern von Frank-Walter Steinmeier (SPD), Guido Westerwelle (FDP) bis hin zu Heiko Maas praktizierten außenpolitischen Linie des Partout-nicht-anecken-Wollens auch im Hinblick auf zwielichtige Regime und Autokraten, der durchaus zu begrüßen wäre. Doch gleichzeitig muss Baerbock als Ministerin des Äußeren auch ihre Diplomatiefähigkeit unter Beweis stellen und aus Gründen der Staatsraison lernen, sich in entscheidenden Momenten persönlich zurücknehmen zu können. 

Ehemaliger grüner Spitzenpolitiker als Vorbild

Vorbild hierfür könnte ausgerechnet ein ehemaliger grüner Spitzenpolitiker sein: Joschka Fischer, der als Außenminister während der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder nicht nur erstaunlich souverän von idealistischer auf interessengeleitete Außenpolitik umschalten konnte, sondern auch beinahe während der gesamten Regierungszeit von Rot-Grün Deutschlands beliebtester Politiker blieb.

Es wird sich zeigen, ob Annalena Baerbock dieser Spagat gelingen wird. Aber sie weiß: trotz peinlicher Copy&Paste-Affären kann eine erfolgreiche Dienstherrin im Auswärtigen Amt zu sein, sowohl das Kanzler- als auch das Bundespräsidialamt in Reichweite rücken lassen. Willy Brandt, Walter Scheel und Frank-Walter Steinmeier konnten ein Lied davon singen   und es sollte Baerbocks eigener Anspruch sein, als eine angeblich "aus dem Völkerrecht" stammende Politikerin es einem früheren Taxifahrer gleichtun zu können.  Stefan Ahrens

 

 

Religionsfreiheit:
Kein Top-Thema mehr

Das Thema weltweite Religionsfreiheit war für die C-Parteien wichtig. Vor allem die Abgeordneten Volker Kauder und Heribert Hirte - beide nicht mehr im Bundestag  , wurden mit dem Thema identifiziert. Hirte leitete den Stephanuskreis (für Religionsfreiheit). Kauder äußerte sich vernehmbar zu Christenverfolgung, später auch zur Religionsfreiheit, warb für regelmäßige Berichte zur Religionsfreiheit weltweit und einen Beauftragten für Religionsfreiheit weltweit. Das Amt wurde 2018 im Unionsgeführten BMZ etabliert und nicht im SPD-geführten Auswärtigen Amt. Die SPD hat das Amt abgelehnt: Religionsfreiheit sei ein Menschenrecht und der/die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte decke auch das Thema Religionsfreiheit ab. 

Verhältnis zu Religionsgemeinschaften neu justieren

Die CDU/CSU-Fraktion kümmert sich auch weiterhin um Religionsfreiheit und verfolgte Christen - der Stephanuskreis wurde bestätigt. Und die Ampel-Koalition? Sorgenvoll wird berichtet, im Koalitionsvertrag komme das Wort Religion nur acht Mal vor - im Koalitionsvertrag der Großen Koalition kam es allerdings auch nur elf Mal vor. Die Ampel will das Verhältnis zu den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften neu justieren, das betrifft die Qualität der Religionsfreiheit in Deutschland. Einen plakativen Einsatz für Religionsfreiheit weltweit   wie von der Union betrieben   wird es allerdings nicht geben. Aber auch SPD, FDP und Grüne setzen sich für Menschenrechte ein. Einige Abgeordnete auch explizit für Religionsfreiheit. Sie zu unterstützen, bleibt die Herausforderung.  Otmar Oehring

 

 

Mit demütiger Dominanz für Europa

In der EU soll sich Deutschlands Dominanz künftig als Bescheidenheit tarnen: "Als größter Mitgliedstaat werden wir unsere besondere Verantwortung in einem dienenden Verständnis für die EU als Ganzes wahrnehmen." Gleich zweimal steht das ident im Koalitionsvertrag. Ja, die übrigen 26 EU-Mitglieder werden genau beobachten, wie es Scholz & Co. angelegen, etwa bei der versprochenen Weiterentwicklung der EU "zu einem föderalen europäischen Bundesstaat". Wird man in Berlin auch dann noch dafür eintreten, "die Einstimmigkeitsregel im EU-Ministerrat in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit zu ersetzen", wenn Deutschland überstimmt werden könnte?

Denkt man an Parteiverbote und Zensurbehörden

Wird die Bundesregierung auch dann noch dafür kämpfen, "die Anwendung der bestehenden Rechtsstaatsinstrumente konsequenter durchzusetzen", wenn es nicht gegen Viktor Orbàn, sondern um Emmanuel Macron geht? Und hat jemand juristisch durchdekliniert, welche Tragweite es hat, wenn "die Rechte aus der EU-Grundrechtecharta vor dem EuGH künftig auch dann eingeklagt werden können, wenn ein Mitgliedstaat im Anwendungsbereich seines nationalen Rechts handelt"? Wie genau passt das mit den "Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit" zusammen, zu denen man sich gleichzeitig bekennt?

Naheliegend ist angesichts russischer Trollfabriken und chinesischer Propaganda die Forderung, "Desinformation, Fake-News, Propaganda sowie Manipulationen" aus dem Ausland abzuwehren. Wie aber soll man sich deren Abwehr "aus dem Inland" vorstellen? Denkt man in Berlin an Parteiverbote und Zensurbehörden? Hoffentlich nicht, sonst müsste ja der Rechtsstaatsmechanismus greifen. Andernfalls würde sich Europas demokratisches Niveau der Türkei anpassen, die von der neuen Bundesregierung nicht länger zu den EU-Kandidaten gerechnet wird. Im Koalitionsvertrag werden unter dem Stichwort "EU-Beitrittsprozess" nur "sechs Staaten der Westbalkanregion" thematisiert. Die Türkei, für die SPD-Kanzler Gerhard Schröder einst den Weg freischoss, wird gar nicht erwähnt.   Stephan Baier

 

 

Klima/Umwelt:
Die Energiepolitik steht im Zentrum

Der Klimaschutz hat für die Ampel-Koalition oberste Priorität. Die Energiepolitik steht dabei im Zentrum. Erneuerbare Energien sollen schneller ausgebaut, der Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen werden (bisher war 2038 geplant). Bis dann soll Deutschland seinen Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien bekommen, die Merkel-Regierung hatte 65 Prozent als Zielgröße ausgegeben. Derzeit kommt hierzulande 45 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien.
Die bestehende Lücke soll durch einen verstärkten Ausbau von Wind- und Solarenergie geschlossen werden.

Für Neubauten wird das Solardach zur Pflicht

Das heißt konkret: Für Neubauten wird das Solardach zur Pflicht (Gewerbeimmobilien) bzw. zur Regel (Privathäuser). Und: Zwei Prozent der Landfläche soll für die Windenergie zur Verfügung stehen. Die Leistung der Windenergie auf See soll bis 2030 auf 30 Gigawatt gebracht werden, um bis 2035 bzw. 2045 auf 40 bzw. 70 Gigawatt zu steigen (zum Vergleich: insgesamt leisten alle stromerzeugenden Kraftwerke Deutschlands   egal welchen Typs   derzeit etwa 220 Gigawatt).

Die Ampel will verkehrspolitisch weg vom Verbrenner. Dazu unterstützt sie Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge, deren Förderung jedoch von der Reichweite abhängt, die allein auf Strombasis erzielt werden kann. Ist diese zu gering, werden die Hybrid-Autos steuerlich wie Verbrenner behandelt. Die Ampel will damit letztlich hin zur E-Mobilität   langsam, aber sicher.

Klima- und Umweltpolitik läuft immer auch über den Geldbeutel. Die Ampel-Koalition will in iher Finanzpolitik entsprechend einerseits "überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben abbauen", andererseits finanzielle Anreize für umwelt- und klimafreundliche Maßnahmen bieten. So locken bei Investitionen in den Klimaschutz günstige steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. Gestiegenen (und noch steigenden) Energiekosten tritt die Ampel mit Entlastung für die Verbraucher entgegen: die EEG-Umlage, die bisher mit jeder Stromrechnung gezahlt wurde, wird zum 1. Januar 2023 abgeschafft (die Mittel kommen dann aus dem Bundeshaushalt, also: vom Steuerzahler), zudem wird ein Heizkostenzuschuss gewährt.
Insgesamt zeigt sich das Bild eines ambitionierten Projekts   mit Fragezeichen im Hinblick auf die energiepolitischen Ziele.  Josef Bordat

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