Nein, ein „Aufbruch“ war dieser turbulente Abbruch-Parteitag für die AfD wahrlich nicht, wie es der knapp wiedergewählte Tino Chrupalla erhofft hatte. Die Streitigkeiten flammten heftiger denn je auf. Mangelnde Geschlossenheit und Radikalisierung sind unübersehbar. Die andere Seite: Hardliner Björn Höcke, ein Gernegroß, ist ein Scheinriese, dem es trotz aller Umtriebigkeit an Mehrheitsfähigkeit innerhalb der Partei fehlt. Die öffentliche Meinung geht ihm auf den Leim, wenn sie meint, er sei der „starke Mann“. Dieses Urteil gebührt Alice Weidel. Und sein langjähriger Kompagnon, der „Strippenzieher“ Andreas Kalbitz aus Brandenburg, dürfte nicht mehr auf das politische Parkett zurückkehren. Das belegte der Parteitag hinreichend.
Die Partei ist kein "Auslaufmodell"
Gewiss, die AfD ist angesichts personeller, ideologischer, strategischer und organisatorischer Defizite in einer schweren Krise. Aber wer meint, ihr baldiges Ende naht, täuscht sich, ungeachtet der Wahlniederlagen seit 2020. Der Erfolg der Partei hängt weniger von ihrem Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit ab. Sie verfügt zum einen mittlerweile über eine ausgeprägte Anhängerschaft und zum anderen über zahlreiche Protestwähler.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme, bedingt durch den Krieg gegen die Ukraine, dürften der Partei, kein „Auslaufmodell“, Wählerstimmen zuführen, ebenso die schwarz-grünen Koalitionen. Ihr nützen Repräsentationslücken in der rechten Mitte. Allerdings wachsen der AfD die Bäume nicht in den Himmel: Was ihr Reüssieren neben der Radikalisierung bremst: die Apostrophierung als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz, im März durch das Kölner Verwaltungsgericht bestätigt.
So ziehen sich gerade „bürgerliche“ Mitglieder zurück oder treten erst gar nicht der Partei bei. Nach außen fehlt es ihr damit an Salonfähigkeit.
Der Autor, von 2007 bis 2009 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft, ist Parteien- und Wahlforscher.
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