Die deutsche Mannschaft hat sich bei der Fußballweltmeisterschaft durch ihr Ausscheiden bereits in der Vorrunde blamiert – aber nicht nur sie! Die Kritik gilt ebenso für Fußballfunktionäre, Publizisten und Politiker. Der Kapitän der Mannschaft sollte eine „One Love“-Armbinde tragen, obwohl dies das Reglement der FIFA verbietet. Die folgende „Mund zu“-Aktion der Spieler war peinlich. Gleiches gilt für das Tragen dieser Binde durch die Innenministerin Nancy Faeser auf der Tribüne. Man wollte vielerorts „Zeichen setzen“, „Haltung demonstrieren“, „Flagge zeigen“: gegen die Arbeitsbedingung der Migranten in Katar, gegen die dortige Homophobie. Symbolpolitik grassierte – manche sprachen gar von einem Boykott, und sei es nur vor dem Fernsehen. Sport ist aber keine Politik!
Alleingänge kommen nicht gut an
Deutschland gerierte sich als „Moralweltmeister“, ohne Rücksicht auf den gekränkten Gastgeber. Das Beispiel ist charakteristisch für den hiesigen Moralanspruch, der einen Sonderweg verdeutlicht. Bei der Migrationspolitik strebt Deutschland ebenso einen Spitzenplatz an wie bei der „Klimapolitik“, um nur zwei Beispiele zu nennen. Solche gut gemeinten Alleingänge kommen nicht gut an. Wohin diese Weltrettungsleidenschaft im Extrem führt, belegen die rabiaten Aktionen der „Letzten Generation“. Sie sprechen vollmundig von Verantwortung und sind in ihrem überschießenden Gesinnungseifer wahrlich keine Verantwortungsethiker.
Und was Katar betrifft, so entpuppte sich das Verhalten als fragwürdige Doppelmoral. Auf der einen Seite treten hiesige Funktionäre herablassend auf, auf der anderen Seite möchte Deutschland billiges Gas vom Emirat. Das wohlfeile deutsche Verhalten hat im Ausland massiv geschadet, nicht nur gegenüber dem Gastgeberland. Deutschland sollte wissen: Neben Werten gibt es auch Interessen.
Der Autor, von 2007 bis 2009 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft, ist Demokratieforscher.
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