Der Stein, den die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, mit ihren öffentlich erhobenen Forderungen nach flächendeckenden Abtreibungsmöglichkeiten und der Aufnahme von Abtreibungen in die Ausbildung der Ärzte ins Wasser geworfen hat, schlägt weiter Wellen. Eine auf dem Internetportal change.org gestartete Petition, in welcher der Rücktritt Stetter-Karps von der Poleposition des Laiengremiums gefordert wird, wurde inzwischen von mehr als 4.000 Personen unterzeichnet.
In zahlreichen katholischen Verbänden und Vereinigungen, allen voran, dem Bund Katholischer Unternehmer (BKU) rumort es. Dessen Vorsitzender, Ulrich Hemel, hatte sich mit einem Brief an Stetter-Karp gewandt und die ZdK-Vorsitzende darin zur „deutlichen Zurückhaltung“ bei „öffentlichen Äußerungen“ zum Thema Abtreibungen aufgefordert. Nun steht der habilitierte Theologe selbst in der Kritik.
Ein Brief des BKU-Vorsitzenden
Ein Grund für den Unmut: das Schreiben geht vielen BKU-Mitgliedern nicht weit genug. In dem Brief, der dieser Zeitung vorliegt, heißt es: „In den letzten Tagen haben wir aus unserer Mitgliedschaft eine Reihe von Protestnoten im Hinblick auf Ihre Äußerungen erhalten. Wir sehen nach interner Beratung davon ab, die Auseinandersetzung zu dieser Frage über die Medien zu führen und wenden uns daher auf diesem Wege an Sie.“ Und weiter: „Wir respektieren Ihre Aussage als persönliche Meinung. Gleichwohl bitten wir Sie in Ihrer Funktion als Präsidentin des ZdK, in der Sie schließlich die Gesamtbreite der katholischen Laien in Deutschland repräsentieren wollen, zur deutlichen Zurückhaltung Ihrer eigenen Meinung bei derartigen öffentlichen Äußerungen.“ Nach „überwiegendem Verständnis katholischer Christinnen und Christen“ sei es „sicher nicht Aufgabe des ZdK oder der ZdK-Präsidentin, für ein flächendeckendes Abtreibungsangebot zu werben“. Gerade diese Äußerung sei „bei vielen Mitgliedern auf deutliche Ablehnung gestoßen“. Bei einer Zoom-Konferenz vergangener Woche, an der mehr als 50 Mitglieder, darunter auch viele Diözesangruppenvorsitzende, teilnahmen, hatte Hemel das Schreiben zunächst verlesen.
Wie mehrere Teilnehmer der Konferenz anschließend gegenüber der Tagespost übereinstimmend berichteten, hätte die Mehrheit der Teilnehmer, in der anschließenden Aussprache eine wertorientierte Führung sowie eine klare öffentliche Positionierung des Verbands in Fragen des Lebensschutzes angemahnt. Auch müsse der BKU sein Profil schärfen und deutlich machen, was ihn von anderen wirtschaftlichen Interessensverbänden unterscheide.
BKU soll Partei für das Lebensrecht ergreifen
Der Argumentation Hemels, der seit 2018 das Institut Weltethos in Tübingen leitet, der BKU sei nicht die „römische Glaubenskongregation“ und die „Haltung zum Schwangerschaftsabbruch“ nicht Bestandteil des „Credos“, sei entgegengehalten worden, dass die Ablehnung vorgeburtlicher Kindstötungen aus dem fünften Gebot des Dekalogs („Du sollst nicht töten“) resultiere. An dessen Verbindlichkeit könne daher für Katholiken auch keinerlei Zweifel bestehen. Wie mehrere Teilnehmer weiter übereinstimmend berichten, sei auch die Einschätzung Hemels, bei der in Deutschland geltenden rechtlichen Regelung von Abtreibungen handele es sich um einen „guten Kompromiss“ vehement widersprochen worden. Ein solcher Standpunkt sei nicht nur nicht mit der vom Konzil und den Päpsten vertretenen Lehre weit entfernt, sondern auch mit der Position der Deutschen Bischofskonferenz unvereinbar.
Mehrere Teilnehmer hätten in diesem Zusammenhang eine öffentliche Stellungnahme des BKU gefordert, in welcher die Forderung Stetter-Karps nach einem flächendeckenden Ausbau von Abtreibungseinrichtungen eingeordnet und klar zurückgewiesen werde. Ferner müsse der BKU in dieser Stellungnahme unmissverständlich Partei für das Lebensrecht ungeborener Kinder ergreifen und sich hinter die Deutsche Bischofskonferenz stellen.
Auch in anderen Verbänden brodelt es unter der Decke. Der Vorsitzende des Cartellverbands der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV), Claus-Michael Lommer, berichtet in einem auf der Homepage des Verbandes veröffentlichtem Interview von einer „Häufung von Mails und Anrufen“. Auch in den anderen katholischen Studentenverbänden KV und UV wird mitunter heftig diskutiert. Unter Mitgliedern zirkuliert dabei auch der in der Tageszeitung „Die Welt“ publizierte Widerspruch, mit dem die Professorinnen Katharina Westerhorstmann, Hanna-Barbara Gerl Falkovitz, Marianne Schlosser und die Journalistin Dorothea Schmidt, Stetter-Karps Forderungen zurückwiesen.
In dem ausgesprochen lesenswerten Beitrag stellen die Autorinnen fest: die „politische Forderung, die Versorgung mit Abtreibungsmöglichkeiten in Deutschland künftig aktiv zu sichern, setzt voraus, dass es sich beim Abbruch der Schwangerschaft um eine medizinische Leistung handelt, die zum einen überall und stets verfügbar sein sollte und auf die man ein Recht hat.“ Letztlich basiere die Forderung „auf dem Gedanken einer bloß oberflächlichen Versorgungsmentalität, bei der die gerechte Verteilung (flächendeckend) das entscheidende Kriterium darstellt – ohne Ausrichtung am Guten. Alle sollen gleichermaßen leichten Zugang zu dem Angebot haben, obwohl es sich bei der Abtreibung um ein Unrecht handelt, da der Tod eines wehrlosen Menschen herbeigeführt wird.“
Klare Worte von vier Synodalen
Und weiter: „Es handelt sich jedoch nicht nur nach christlicher, sondern auch nach rechtlicher Auffassung beim Schwangerschaftsabbruch gar nicht um ein legitimes Gut, sondern um ein in den meisten Fällen rechtswidriges Verfahren, das lediglich straffrei bleibt. Legal ist es nur in Ausnahmefällen.“ Aus „ethisch-theologischer Sicht“ gehöre „die gezielte Tötung eines Kindes im Mutterleib darüber hinaus zu den Handlungen, die nicht nur zu kritisieren sind, sondern die immer Unrecht bleiben, selbst wenn diesem Unrecht in Einzelfällen nachvollziehbare Motive zugrunde liegen können“.
Eine Absage erteilen die Autorinnen, die allesamt Mitglieder der Synodalversammlung des „Synodalen Weges“ sind, auch der Forderung der ZdK-Präsidentin Stetter-Karp nach einer Aufnahme von Abtreibung in die Ausbildung von Ärzten. Sie schrieben: „Es käme einer Pervertierung des Arztberufes gleich, Abtreibungen als verpflichtenden Teil des Curriculums einzuführen und damit sogar die Gewissensfreiheit künftiger Ärzte zu verletzten.“
Unterdessen beklagt der Generalsekretär des ZdK, Marc Frings, in einer E-Mail an die „Liebe(n) Mitglieder des ZdK“, dass sich die ZdK-Präsidentin seit ihrem Meinungsartikel für Beilage „Christ und Welt“ der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ „wiederholt Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt“ sähe, die sie „dienstlich und auf den privaten Wegen“ erreiche. Wie Frings in der E-Mail weiter ausführt, habe der Beitrag Stetter-Karps „die bestehende Position des ZdK zum Schwangerschaftsabbruch“ aufrechterhalten. „Ausgangspunkt der Kontoverse“ sei eine „KNA-Meldung“ gewesen, welche „die politischen Kernbotschaften – Verteidigung des § 218 – vernebelte, um nicht zu sagen, in der Wirkung drehte.“
Wie das? Sich darüber zu wundern, dass Medien das Neue, nämlich die Forderung nach flächendeckenden Abtreibungsmöglichkeiten und der Aufnahme von Abtreibungen in die Ausbildung von Ärzten durch die ZdK-Präsidentin herausstellen, anstelle des Altbekannten, zeugt von einer derartigen Unkenntnis professioneller Medienarbeit, dass man gar nicht glauben will, dies könne mehr sein, als der verzweifelte Versuch einen Schuldigen zu finden, dem sich die Verantwortung für die aufgewühlte See in die Schuhe schieben lässt.
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