Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Georgien und Armenien

Der Kaukasus ist ein Pulverfass

Europas Osten oder Russlands Hinterhof: Der massive Einfluss Moskaus spaltet die Gesellschaften in Georgien und Armenien.
Proteste in Georgien gegen neues Gesetz
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | In Georgien geht die russophile Regierung mit Tränengas und Schlagstöcken gegen proeuropäische Demonstranten vor.

Die Georgier kennen ihre russischen Nachbarn, und das nicht nur aus gemeinsamen Sowjetzeiten. 2008 überfiel Wladimir Putin das kleine Nachbarland im Südkaukasus und hat seither die Kontrolle über die völkerrechtlich zu Georgien zählenden Regionen Südossetien und Abchasien. Dennoch spaltet die Einstellung zu Russland heute die georgische Gesellschaft. Die Putin-freundliche Regierungspartei „Georgischer Traum“, die von dem georgischen Milliardär und russländischen Oligarchen Bidsina Iwanischwili finanziert und dirigiert wird, hat ein Gesetz durchs Parlament geboxt, das den Einfluss ausländischer Kräfte beschneiden will. Im Parlament in Tbilisi (Tiflis) kam es zuletzt sogar zu Handgreiflichkeiten, denn das Gesetz für die „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ ist einem ganz ähnlich gestrickten Agenten-Gesetz in Russland nachempfunden.

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Demnach müssen sich alle Medien und Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Gelder aus dem Ausland beziehen, als Vertreter „ausländischer Interessen“ registrieren lassen. Das bezieht sich zwar nicht auf die Regierungspartei, deren Mastermind als Doppelstaatsbürger sein Milliardenvermögen in Russland machte, aber beispielsweise auf die georgische Caritas, die ihre humanitären Aktivitäten im Inland mit massiver Unterstützung aus dem Ausland – etwa vom Hilfswerk „Renovabis“ und von westlichen Caritas-Partnern – finanziert. Anahit Mkhoyan, die Direktorin der Caritas Georgien, erinnert daran, dass die ausländischen Hilfen, die ihre Organisation erhält, den Ärmsten in der georgischen Gesellschaft zugute kommen. Genau dafür werde man jedoch nun als ausländischer Agent verleumdet; das sei schon eine ziemliche Beleidigung.

Westliche Einflüsse sollen limitiert werden

Das Gesetz, das Kritiker als „Russen-Gesetz“ bezeichnen, zielt darauf, die westlichen Einflüsse auf die georgische Zivilgesellschaft zu limitieren und zu diskreditieren. Zehntausende gehen dagegen auf die Straßen, die Spitzen der Europäischen Union protestierten und Staatspräsidentin Salome Surabischwili legte ihr Veto ein. Das kann allerdings durch eine vierte Abstimmung im Parlament umgangen werden. Die Präsidentin bezeichnete das Gesetz wie auch das harte Vorgehen der Polizei gegen die friedlichen Demonstranten als „russisch“ und warnte in Interviews, „dass es sehr gefährlich ist, unserem nördlichen Nachbarn allein gegenüber zu stehen“.

Damit brachte sie auf den Punkt, was die Gesellschaft spaltet: Letztlich geht es um die Frage, welchem Leitbild Georgien folgen sollte und welchem Nachbarn es Einfluss auf seine Zukunftsgestaltung einräumen will – Russland oder der Europäischen Union. Die Präsidentin ist überzeugt, dass die Parlamentswahlen am 26. Oktober über die Zukunft des Landes entscheiden werden. Doch während der russische Einfluss über Iwanischwilli gesichert ist, werden durch das neue Gesetz alle kirchlichen, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Einflüsse aus dem Westen als fremdländische Agententätigkeit gebrandmarkt.

Während die katholische Kirche als Minderheit in Georgien von finanzieller Hilfe aus dem Ausland abhängt, steht die dominante georgische Orthodoxie hinter dem neuen Gesetz. Uneindeutig äußerte sich der georgisch-orthodoxe Patriarch Ilia II., der meinte, das Land befinde sich „in einer der schwierigsten Phasen seiner Entwicklung“. Und weiter: „Wir alle wollen Frieden, aber es fällt uns oft schwer, ihn zu erreichen, weil wir uns nicht richtig verhalten.“ Das Patriarchat mahnte, die Worte Ilijas nicht politisch zu deuten, warnte aber zugleich, dass das Land angesichts von Veränderungen globalen Ausmaßes kein Recht auf Fehler habe. Die These, dass „NGOs und Fernsehsender, die aus dem Ausland finanziert werden, seit Jahren eine Kampagne zur Diskreditierung der Kirche und eine zunehmende Propaganda der LGBT-Lebensweise betrieben haben“, muss wohl als Unterstützung des neuen Gesetzes gedeutet werden.

Armeniens spezifische Erfahrungen mit Russland

In einem Statement vom 27. April warnte das Patriarchat, das innerhalb der orthodoxen Welt als betont anti-ökumenisch bekannt ist, vor dem „Aufzwingen von ausländischen, ungewöhnlichen und gefährlichen Ideologien“. Zugleich lobte es die Regierung für ihren „Weg der Verteidigung der traditionellen Werte“.

Auch die Armenier haben ihre spezifischen Erfahrungen mit Russland, das sie lange als Schutzmacht gegen die türkisch-aserbaidschanische Achse betrachteten. Im September 2023 jedoch sahen die zum Schutz des Status quo in Berg-Karabach (Arzach) stationierten russischen Friedenstruppen tatenlos zu, als Aserbaidschan die seit Jahrtausenden armenisch besiedelte Region überfiel und die gesamte Bevölkerung gewaltsam vertrieb. Am 8. Mai nun betonte Wladimir Putin, die in Armenien stationierten russischen Truppen würden das Land gegen die Türkei wie gegen den Iran verteidigen. Gefahr droht dem christlichen Armenien jedoch nicht von diesen Nachbarn, sondern aus dem Osten: von Aserbaidschan, dessen Langzeit-Diktator Ilham Alijew Armenien bereits öffentlich als „West-Aserbaidschan“ bezeichnet.

Wie Georgien ist auch Armenien gespalten: Während die Regierung in Jerewan nun auf eine Annäherung an den Westen setzt, demonstrieren Zehntausende gegen die Regierung Paschinjan und für eine noch engere Anbindung an Moskau. Angeführt werden die Proteste gegen die Regierung vom armenisch-apostolischen Erzbischof von Tavush, Bagrat Galstanyan, und dem vormaligen Generalsekretär des Außenministeriums, Vahagn Melikyan. Beide werfen der Regierung vor, die Gesellschaft zu spalten und das Land der türkisch-aserbaidschanischen Allianz auszuliefern. Ihre Kritiker aber meinen, dass sie Armenien vollends in die Hände Putins treiben. Dass der Kreml sowohl in Armenien wie in Georgien seine Finger im Spiel hat, ist unübersehbar.

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