Am Anfang stand das „Erlanger Modell“. An der dortigen Universität begann 2003 die Ausbildung von Lehrkräften für den „Schulversuch Islamunterricht“. Damit sollte „ein Religionsunterricht in deutscher Sprache von religionspädagogisch ausgebildeten Lehrkräften“ angeboten werden. Grundlage wurde ein Lehrplan, für den Pädagogen in Abstimmung mit dem Kultusministerium sowie muslimischen Gemeinden verantwortlich zeichneten. Inzwischen beteiligen sich 350 bayrischen Schulen an der Initiative, knapp 100 Lehrer bieten für über 16 000 Schüler Islamunterricht an.
Dieser Modellversuch soll mit dem neuen Schuljahr zu bekenntnisorientiertem islamischen Religionsunterricht aufgewertet werden, der als Wahlpflichtfach angeboten wird, ähnlich dem Ethik-Unterricht oder Fremdsprachen, die nicht zum Standard gehören. Die Landesregierung hat entsprechende Initiativen auf den Weg gebracht, deren Zustimmung im Landtag als sicher gilt. Allein die AfD lehnt Islamunterricht an deutschen Schulen generell ab.
Die juristische Einschätzung ist dennoch kompliziert. Die Landesregierung verweist darauf, dass es sich nicht um konfessionellen Religionsunterricht handele, denn dafür stünden keine institutionalisierten Partner zur Verfügung. Die Islamverbände gelten laut mehreren Gerichtsurteilen nicht als Kirchen. Die Aufsicht über Lehrerausbildung und Unterricht im Wahlfach Islam bleibe in staatlicher Hand.
Bloße „Wertekunde für Migrantenkinder“?
Mit der Aufwertung des islamischen Religionsunterrichts geht auch eine Ausweitung einher. „Bedarfsgerecht“ heißt das Stichwort. Danach soll vor Ort von der Schulleitung gemeinsam mit Eltern und Schülern ermittelt werden, ob und in welchem Ausmaß. islamischer Unterricht angeboten wird. Der Schwerpunkt lag bislang auf den beruflichen sowie Grund- und Hauptschulen. Nur drei Gymnasien und vier Realschulen befanden sich darunter. Auch das soll sich in Zukunft ändern.
Eine Herausforderung liegt darin, genügend Lehrkräfte zu stellen, um den zu erwartenden Bedarf abzudecken. Zwar werden für das neue Konzept bereits Lehrkräfte weitergebildet, doch der aktuelle Bestand dürfte nicht ausreichen, denn die Initiatoren erwarten eine erheblich gesteigerte Nachfrage. Die Lehrkräfte selbst müssen Muslime sein, damit der Unterricht von den muslimischen Schülern und ihren Eltern akzeptiert wird.
Grundgesetzkonform
Die meisten Landespolitiker sehen sich durch die Entwicklung in ihrem Weg bestätigt. Der Staatsminister für Unterricht und Kultus, Michael Piazolo von den Freien Wählern, will mit der Initiative eine „grundlegende Werteorientierung entsprechend des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung“ vermitteln. Muslimischen Schülern werde in deutscher Sprache weltanschaulich-religiös neutrales Wissen über die islamische Religion und andere Religionen nahegebracht.
Das Angebot, so betont der Minister, wirke „integrations- und sicherheitsfördernd“. Hervorgehoben wird zudem die langfristige Planungssicherheit für die Lehrkräfte, die bislang immer nur befristete Jahresverträge erhielten. Die FDP pflichtet dem Minister bei, geht aber noch einen Schritt weiter. Sie möchte grundsätzlich weg vom konfessionellen Religionsunterricht und stattdessen „das Miteinander verschiedener Weltanschauungen fördern“. Der Unterricht solle deshalb nicht mehr nach Religionen und Konfessionen getrennt werden, sondern als „Dialogunterricht“ stattfinden, in dem die Schüler alle Religionen und Weltanschauungen kennenlernen und sich austauschen.
Kein Nischenfach
Zu den Befürwortern zählt auch der bayrische Lehrerverband BLLV. Er fordert seit 1999 islamischen Religionsunterricht an den Schulen als Alternative zu den vom „türkischen Staatsislam“ geprägten Koranschulen, deren Angebote der BLLV als „didaktisch hilflos, ohne interkulturelle Kompetenz und mit fragwürdigen Inhalten“ kritisiert. Besonderen Wert legt der Lehrerverband darauf, dass der Islamunterricht „kein Nischenfach“ bleiben darf.
Dem stimmt die Institution zu, von der die Entwicklung ausging, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Professor Tarek Badawia, Lehrstuhlinhaber für Islamisch-Religiöse Studien mit Schwerpunkt Religionspädagogik, sieht ein wachsendes Interesse an der Ausbildung seitens junger Muslime. Der Wissenschaftler pocht auf den im Grundgesetz garantierten konfessionellen Religionsunterricht. In dem bisherigen Modellversuch sah er eher eine Abwertung des islamischen Religionsunterrichts, weil er unter integrationspolitischen Gesichtspunkten definiert gewesen sei. Dies wurde als Ausgrenzung wahrgenommen. Die Institutionalisierung sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Lehrer hier ausbilden
Auch Grüne und SPD sahen in dem Modellversuch so etwas wie „Wertekunde für Migrantenkinder“, die alle Muslime „unter Generalverdacht“ gestellt habe.
Eine derartige Opferhaltung ist für Janet Abraham von der assyrischen Gemeinde unverständlich. Sie weiß von der Praxis in der Türkei zu berichten, wo die knapp zweitausendjährige christliche Tradition nicht einmal mehr auf dem Papier existiert. Christen fallen unter „Nicht-Muslime“. Und Nicht-Muslime sind nicht gezwungen, am staatlichen sunnitisch-islamischen Religionsunterricht teilzunehmen. Unterlassen sie es jedoch, bekommen sie dafür die schlechteste Note, ungenügend, was den Durchschnitt selbstredend massiv nach unten drückt. Dann doch lieber einem Unterricht beiwohnen, der laut Janet Abraham mehr mit Indoktrination als mit Wissensvermittlung zu tun hat.
Die bayerische Praxis hält sie für akzeptabel. „Wenn schon islamischer Religionsunterricht angeboten wird, dann muss er allein in staatlicher Hand liegen, und darf nicht den Islamverbänden überlassen bleiben.“ Der Meinung ist auch die Soziologin Necla Kelek. Sie legt großen Wert darauf, dass die entsprechenden Lehrer hierzulande ausgebildet werden.
Ihr Vorbild ist das von Mouhanad Khorchide geleitete Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster. Khorchide ist ein Kritiker der Islamverbände, die in manchen Bundesländern die Partner für den Religionsunterricht sind. Vielen ginge es allein um die „Vermittlung der traditionell verkündeten Wahrheit“. Sie hätten Angst, die islamische Wissenschaft könnte von Philosophie und christlicher Theologie unterwandert werden.
In Konkurrenz zu den Koranschulen
In der Konkurrenz zu den Angeboten der Islamverbände offenbart sich ein weitgehend tabuisiertes Dilemma: Der staatliche Religionsunterricht wird von vielen Muslimen keinesfalls als Alternative zu den über 2 000 Koranschulen in Deutschland angesehen. Der Jurist und NDR-Redakteur Joachim Wagner dokumentiert in seinem Buch „Die Macht der Moschee. Scheitert die Integration am Islam?“, dass zwischen 47 und 62 Prozent der Schüler neben dem Unterricht Koranschulen besuchen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen.
Die Mehrzahl der Koranschulen wird von Islamverbänden betrieben, für die allein der Koran gilt. Besonders problematisch ist die Rolle der DITIB als Vermittler der türkisch-nationalistischen Ideologie. Nur in einer Minderheit der Koranschulen wird auf Deutsch unterrichtet. Insofern hat sich die Hoffnung, durch staatlichen Islamunterricht den Einfluss der Koranschulen zu schwächen, nicht erfüllt.
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