Mit der gesetzlichen Impfpflicht, die ab 1. Februar in Österreich gilt, ist niemand wirklich zufrieden: Für die Omikron-Welle käme sie jedenfalls viel zu spät, sagen immer mehr Virologen. Von einem politischen Konsens kann keine Rede sein: Waren im Advent – abgesehen von der FPÖ, die stets dagegen opponierte – noch vier der fünf Parlamentsparteien für eine strafbewehrte Impfpflicht, so äußern sich mittlerweile prominente Stimmen aus Grünen, Liberalen (Neos) und SPÖ betont kritisch.
Der Verwaltungsaufwand ist immens
Zu wachsenden Bedenken hinsichtlich der Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit kommt der errechnete Verwaltungsaufwand: Auf die Bezirksverwaltungsbehörden könnten bis zu 1,8 Millionen zusätzliche Strafverfügungen zukommen, auf die Landesverwaltungsgerichte in Folge zumindest mehrere Hunderttausend Verwaltungsstrafverfahren. Nun wehren sich auch Polizei-Gewerkschaftler dagegen, künftig bei jeder Amtshandlung den Impfstatus zu kontrollieren. Schon jetzt habe die Polizei durch die Corona-Maßnahmen einen schweren Imageschaden erlitten, meinen Personalvertreter der Polizei.
Die schwarz-grüne Regierung hat den eigenen Gesetzesentwurf in letzter Minute modifiziert: Sollte die Impfpflicht zunächst ab 14 Jahren gelten, so werden die Jugendlichen nun ausgenommen. Die gesetzliche Impfpflicht erfasst damit grundsätzlich die 7,4 Millionen in Österreich lebenden Erwachsenen. Ausgenommen sind aber auch Genesene, Schwangere und Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Auch wenn die Impfpflicht ab 1. Februar gilt, soll es bis 15. März keine Sanktionen geben. Dann jedoch wird die Polizei kontrollieren, und die Regierung will an alle Ungeimpften Erinnerungsschreiben aussenden, um sie zur Impfung aufzufordern.
In Deutschland werden noch keine konkreten Gesetzentwürfe diskutiert
In einer dritten Phase sollen alle Ungeimpften einen Termin vorgeschrieben bekommen, und – falls dieser ungenutzt verstreicht – eine Strafverfügung. Ob es tatsächlich jemals dazu kommt, wollte sogar Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Sonntag nicht sagen. Die „dritte Phase“ wird es nämlich nur dann geben, wenn die Impfquote nicht ohne sie zufriedenstellend ansteigt. Oder – aber das will niemand sagen – wenn sich die Impfung als unwirksames Mittel erweist. Wer seine Strafverfügung über 600 Euro nicht bezahlt, sondern Einspruch erhebt, wird (je nach Einkommen) mit einer Strafe von bis zu 3.600 Euro bedroht. Beides ist maximal viermal möglich. Beugestrafen oder Haftstrafen sind nicht vorgesehen. Das Impfpflichtgesetz soll nach zwei Jahren, also zum 31. Januar 2024, außer Kraft treten.
In Deutschland wird sich der Deutsche Bundestag erstmals am Nachmittag des 26. Januars im Rahmen einer Orientierungsdebatte mit der möglichen Einführung einer Impfpflicht gegen SARS-CoV-2-Virus befassen. Bei der Debatte, für die zwischen den Fraktionen eine Dauer von drei Stunden vereinbart wurde, sollen noch keine konkreten Gesetzesentwürfe diskutiert werden. Stattdessen sollen die Initiatoren von fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen Gelegenheit erhalten, ihre Lösungsansätze zu skizzieren und im Plenum um weitere Unterstützer zu werben.
Wie viele Anträge am Ende zur Abstimmung gestellt werden, ist daher noch unklar. Klar ist nur, dass nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Impfpflicht im April, spätestens aber Ende Mai in Kraft treten müsse, um im Herbst eine Rolle spielen zu können.
Kein Abstimmung vor Mitte März
Bei den Abstimmungen über die Anträge, mit denen derzeit niemand vor Mitte, Ende März rechnet, soll dann der Fraktionszwang aufgehoben werden. Derweil ist über die Art des Gesetzgebungsverfahrens ein Streit zwischen den Regierungsparteien und der CDU/CSU-Fraktion entbrannt, der inzwischen droht, die viele Bürger umtreibende Frage einer allgemeinen Impfpflicht zu einer rein machtpolitischen Angelegenheit verkommen zu lassen.
Während die Regierungskoalition die allgemeine Impfpflicht zur Gewissensfrage stilisiert, verlangt die Union, dass die Regierung einen eigenen Entwurf für eine allgemeine Impfpflicht vorlegt. Dabei führen beide Seiten Argumente ins Feld, die an sich zwar durchaus bedeutsam sind, ihre eigentlichen Beweggründe jedoch maskieren. So drängt die Ampelkoalition nicht etwa deshalb auf interfraktionelle Gruppenanträge, die „aus der Mitte des Parlaments“ erarbeitet werden müssten, weil sie die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für eine genuine Gewissensfrage hielte, bei der die Parteizugehörigkeit der Abgeordneten keine Rolle spielen dürfe. Eine, die daher, ähnlich wie die gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe oder der Import embryonaler Stammzellen, gemäß den seit Jahren herrschenden parlamentarischen Gepflogenheiten nur so entschieden werden könnte. Wäre es anders, hätte die Ampel auch bei der Verabschiedung der bereichsbezogenen Impfpflicht, die am 15. März in Kraft treten soll, so verfahren müssen.
Scholz hat nur relative Mehrheit
Der eigentliche Grund dafür, dass die Ampel auf interfraktionelle Gruppenanträge setzt, ist vielmehr, dass Scholz in ihr nur eine relative Mehrheit für die von ihm gewünschte Einführung einer allgemeinen Impfpflicht besitzt. Nicht nur in der FDP, sondern auch in der eigenen SPD-Fraktion lehnen derart viele Abgeordnete eine allgemeine Impfpflicht ab, dass diese keine Aussicht auf eine Mehrheit im Parlament hätte, wenn die Opposition geschlossen dagegen stimmte. Die Union wiederum verlangt nicht deshalb einen Regierungsentwurf von der Ampel, weil sie überzeugt wäre, dass die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht weder eine Gewissensfrage sei, noch eine, zu der es keine unterschiedlichen Ansichten geben dürfen, sondern weil sie einen Keil in die Koalition treiben will. Und wenn sie Scholz schon keine Abstimmungsniederlage beibringen kann, so soll wenigstens der Eindruck fehlender Führungsstärke an ihm haften bleiben. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, so funktioniere Politik nun einmal. Aber dass ein solcher Umgang mit einem derart sensiblen Thema das Vertrauen der Bürger in die Politik stärkt und es Impfskeptikern einfacher macht, sich doch noch für eine Impfung gegen COVID-19 zu entscheiden, darf zumindest bezweifelt werden.
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