Die gibt es noch? – das mag mancher sich gefragt haben, als in der letzten Woche die ersten Nachrichten von dem Übertritt Uwe Witts zur Zentrumspartei über die Agenturen tickerten. Ja, das Zentrum, Stimme der politischen und sozialen Katholizismus in Kaiserreich und Weimarer Republik, gibt es noch. Stolz nennt es sich die „älteste Partei Deutschlands“. Es hat in einigen kommunalen Hochburgen überwintert. Die Zeiten freilich, in der Zentrumspolitiker auch in den Parlamenten saßen, sind lange vorbei. 1957 zogen die letzten von ihnen aus dem Bundestag aus.
Überzeugt vom klaren christlich-sozialen Profil
Doch Witt beeindruckte das Programm der rund 300 Mitglieder starken Kleinpartei. „Am Zentrum hat mich das klare christlich-soziale Profil der Partei überzeugt. Ich bin Sozialpolitiker. Manche habe mich den ,Norbert Blüm der AfD' genannt. In der AfD dominiert aber eine neoliberale Sichtweise“, erklärt er gegenüber dieser Zeitung Auch die katholische Tradition schreckte Witt nicht ab, der vor einigen Jahren im Erwachsenenalter zum katholischen Glauben gefunden hat. Dem 62-Jährigen, der in der letzten Legislaturperiode arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion war, sind die Rechte von Arbeitnehmern besonders wichtig. Nach seinem Eindruck sei aber der Resonanzraum für solche Positionen in seiner alten Partei immer kleiner geworden.
Der Entfremdungsprozess gegenüber der AfD setzte aber auch auf einer anderen Ebene ein: Witt war bis zu ihrer Auflösung 2019 einer der Sprecher der „Alternativen Mitte“, einer Gruppe, in der sich selbst als gemäßigt verstehende Parteimitglieder gesammelt hatten. In der Vergangenheit hatte sich Witt auch schon mal als Vertreter des linken Flügels in der AfD bezeichnet. Mit dieser Auffassung fühlte er sich aber nun zunehmend isoliert. Den Ausschlag zum Parteiaustritt habe schließlich ein Erlebnis mit einem anderen AfD-Bundestagsabgeordneten gegeben, der an seinem Revers das Abzeichen einer rechtsextremen Organisation gehabt habe, berichtete er in der Pressekonferenz zu seinem Austritt. Den Namen des Betroffenen und der Organisation wollte Uwe Witt damals freilich nicht verraten.
Entscheidung als Befreiungsschlag
Nun, einige Tage später, empfindet Witt seine Entscheidung als eine Art Befreiungsschlag. Er sagt: „Manchmal habe ich das Gefühl, die AfD sei von den Linken erfunden worden, um echte konservative Politik zu verhindern.“ Die AfD übe eine Art toxische Wirkung aus. „Ein Beispiel: Die AfD wollte einmal durchsetzen, dass Deutsch als Muttersprache im Grundgesetz festgelegt wird. In ihrer Argumentation hat die Partei aber total überzogen. Später hat ein CSU-Abgeordnete zu mir gesagt: ,Wir haben schon seit Jahren versucht, das durchzusetzen. Aber jetzt, nachdem ihr das vorgeschlagen habt, ist das Thema für uns verbrannt.‘“
Die AfD trage also gerade nicht dazu bei, neue öffentliche Aufmerksamkeit und politische Mehrheiten für konservative Politik zu erzielen. Bei seiner neuen Partei sieht er hier andere Möglichkeiten. Gleichzeitig betont er, dass er und seine neuen Parteifreunde nicht darauf setzten, dass nun in der AfD viele Witts Beispiel folgten. Ganz im Gegenteil: „Wir wollen gar nicht, dass jetzt viele von der AfD zum Zentrum wechseln. Das Zentrum soll kein AfD-Derivat werden. Was ich mir als Profil für die Partei vorstellen könnte: Eine Art bundesweite CSU, allerdings alter Prägung.“
Zentrum verabschiedet neues Grundsatzprogramm
Das Zentrum habe gerade ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet. Hier könne er sich auch künftig gut programmatisch einbringen. Wie sich die Partei dann in Zukunft entwickele, müsse man abwarten. Mit dem Vorwurf seiner alten Parteifreunde, er sei ein Verräter oder der Forderung, er müsse nun sein Mandat niederlegen, geht Witt gelassen um. Auch wenn er kein Direktmandat habe, so habe er seinen Abgeordnetensitz doch als Person erhalten. Entsprechende Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages seien in dieser Frage eindeutig. Im Parlament wird er auch künftig im Sozialausschuss mitarbeiten und im Plenum das Wort ergreifen.
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