Berlin

Das Pandemie-Management erweist sich als mangelhaft

Wie die Politik mit Fehlentscheidungen die prognostizierte Vierte Welle erst so richtig provoziert.
Keine kostenlosen Corona-Tests mehr für Bürger
Foto: Peter Kneffel (dpa) | Nur noch wenige, ganz bestimmte Personengruppen können sich auch weiterhin kostenlos auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 testen lassen.

Nicht ganz ein Jahr ist es her, da erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor laufenden Kameras: „Dieses Virus kennt keine Grenzen, wir sollten in seiner Bekämpfung auch keine Grenzen kennen.“ Seit Montag gilt das nicht mehr. Denn die Antigen-Schnelltests, mit denen sich alle Bürger bis zum vergangenen Sonntag noch kostenlos auf eine Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 testen lassen konnten, sind für die allermeisten Bürger nun kostenpflichtig.

Nur noch wenige, ganz bestimmte Personengruppen können sich auch weiterhin kostenlos auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 testen lassen. Damit nicht genug: Ausgerechnet jetzt, da die Tests für die Mehrheit der Bürger kostenpflichtig geworden sind, reicht ein negativer Antigen-Schnelltest, die zwischen 12 und 20 Euro kosten, oft gar nicht mehr aus, um als erfolgreich „getestet“ zu gelten. Für den Besuch von Sport- oder Konzertveranstaltungen etwa wird jetzt vielerorts ein negativer PCR-Test verlangt, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Die Kosten hier: 50 Euro und mehr.

Antikörpertests werden nicht akzeptiert

Mehr noch: Politiker wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach werben öffentlich dafür, dass Gastronomen, Sport- oder Kulturveranstalter statt auf „3 G“ (geimpft, genesen, getestet) oder „3 G plus“ (getestet = negativer PCR-Test) zukünftig auf 2 G (geimpft, genesen) setzen.

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Dazu muss man wissen: Laut den von Bund und Ländern am 10. August beschlossenen „Drei-G-Regeln“ gilt als „genesen“ nur, wer einen positiven PCR-Test vorweisen kann, der älter als 28 Tage und jünger als sechs Monate ist. Antikörpertests, mit denen sich zuverlässig die Menge der Antikörper (Titer) bestimmen lassen, die ein Organismus im Kampf gegen eine Infektion gebildet hat und die Aufschluss darüber gäben, wie gut, aber auch – wie schlecht – ein Genesener gegen eine erneute Infektion geschützt ist, werden als Nachweis für eine überwundene Infektion gar nicht akzeptiert. Bei einer Erkrankung, die wie COVID-19 jedoch in rund 80 Prozent der Fälle symptomfrei verläuft, lässt sich auf diese Weise jedoch nur ein Bruchteil der tatsächlich Genesenen erfassen. Mit anderen Worten: Aus „3 G“ ist in Wahrheit längst „2 G“ geworden. Mehr noch: Überall dort, wo nun statt eines Schnelltests nur noch ein PCR-Test akzeptiert wird, um als „negativ getestet“ zu gelten, wird aus „2 G“ dann in vielen Fällen „1 G“. In Österreich ist Ähnliches zu beobachten. Grundsätzlich gilt auch hier „3 G“. Auf Skihütten und in Nachtbars ist jedoch bereits „2 G“ die Regel.

Ziemlich rabiat zur Impfung gedrängt

Politiker brauchen sich nicht wundern, wenn Bürger dies nun als das betrachten, was es ist. Nämlich den Souverän, deren Angestellte auf Zeit Politiker sind, auf ziemlich rabiate Art zur Impfung zu drängen. Doch selbst das ließe sich, wenn auch nicht rechtfertigen, so zumindest verstehen, wenn die Impfung tatsächlich – wie dies von führenden Politikern immer noch behauptet wird – der Ausweg aus der Pandemie wäre. Nur: Genau das ist eben nicht der Fall.

Dass etwa das Robert-Koch-Institut (RKI) vergangene Woche eingestehen musste, sowohl die in Deutschland erreichte Impfquote als auch die Zahl der Impfdurchbrüche signifikant unterschätzt zu haben, kommt bei weiten Teilen der Bevölkerung nicht gut an. Und dass das RKI wegen Letzterem folgerichtig auch die Wirksamkeit der Impfstoffe nach unten korrigieren musste, belegt nur, worauf die Ständige Impfkommission (STIKO) bereits während des Zulassungsverfahrens der Impfstoffe hingewiesen hatte: Nämlich, dass keiner der bisher erhältlichen COVID-19-Impfstoffe eine „sterile Immunität“ gewährleistet. Das bedeutet nichts anders als: Auch vollständig Geimpfte können sich weiterhin mit dem Virus infizieren und sind anschließend für andere genauso infektiös wie Ungeimpfte, wenn auch nicht genauso lange. Wer das nicht akzeptiert, hat nicht nur zahlreiche Studien sehr erfolgreich ignoriert, er übersieht auch, dass derzeit rund zehn Prozent der Patienten, die wegen eines schweren COVID-19-Verlaufs auf deutschen Intensivstationen behandelt werden, den vollen Impfschutz (14 Tage und mehr nach der zweiten Impfung) besitzen.

Nur das Impfen führt nicht aus der Pandemie

Wenn sich aber Geimpfte mit dem Virus reinfizieren können und dann auch für ihre Umgebung infektiös sind, dann liegt für jeden logisch denkenden Menschen auf der Hand, dass das Impfen allein nicht aus der Pandemie führen kann, sondern, falls überhaupt, dann nur in Kombination mit massenhaften Testungen und weiteren Maßnahmen wie Maske tragen und Abstand halten. Statt die Tests für Ungeimpfte kostenpflichtig zu machen, müsste die Politik stattdessen dafür werben, dass auch vollständig Geimpfte sich regelmäßig testen lassen. „Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten“, lautet ein Satz mit dem Politiker gerne Verschwörungstheoretikern – völlig zu Recht – den Wind aus den Segeln zu nehmen suchen.

Nur gilt der Satz natürlich auch für sie. Wer Regeln beschließt, die an den Fakten vorbei gehen, der schüttet nicht bloß Wasser auf die Mühlen von Verschwörungstheoretikern. Er tut auch das Falsche, um eine Vierte Welle zu verhindern. Das aber wäre wirklich fatal.

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Stefan Rehder

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