Stuttgart

Das Menetekel von Stuttgart

Die Krawalle zeigen, welche Gefahr darin liegt, wenn das staatliche Gewaltmonopol systematisch verachtet wird.
Krawallnacht von Stuttgart
Foto: Julian Rettig (Julian Rettig) | Stuttgart: Menschen stehen vor einem geplünderten Geschäft in der Marienstraße. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei haben dutzende gewalttätige Kleingruppen die Innenstadt verwüstet und mehrere Beamte verletzt.

Die Krawalle von Stuttgart könnten zu einem Wendepunkt werden. Die Zerstörungswut eines jugendlichen Mobs, der zahlreiche Geschäfte demoliert hat, scheint so etwas wie ein Menetekel zu sein. Werden solche Gewaltausbrüche künftig keine Ausnahme mehr sein? Die Spekulationen über die Deutung des Ereignisses werden überlagert von einer unglücklichen Wortwahl seitens der Polizei. Hier war von Tätern aus einer sogenannten "Party- und Eventszene" die Rede. 

Verdacht, die soziale Zugehörigkeit solle verschleiert werden

Schnell war der Verdacht da, hier solle die soziale Zugehörigkeit der Randalierer verschleiert und der Krawall an sich verharmlost werden. Zumal viele der Verhafteten über einen Migrationshintergrund verfügten und bei den Krawallen von einigen auch "Allahu Akbar"-Rufe erklangen. Inzwischen zeichnet sich schon eine neue Debatte ab: Der ehemalige Vorsitzende der Grünen, Cem Özedemir, mahnte bereits, viele Jugendliche mit Migrationshintergrund drohten der Gesellschaft zu entgleiten.

Wie wird aber diese Debatte nun weiter verlaufen? Ahmad Mansour, Autor des Buches "Generation Allah", beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Gefahren, die seitens einer islamistischen Radikalisierung in migrantischen Milieus drohen. "Wer die Ursache für den Terror in Stuttgart in Corona oder Alkohol sieht, will die Debatte über die tatsächlichen ideologischen Ursachen vermeiden", sagt der Psychologe gegenüber dieser Zeitung. Die Ursache sieht Mansour "in der systematischen Verachtung des staatlichen Gewaltmonopols und der hohen Gewaltaffinität vieler junger Menschen". Stuttgart sei nicht der erste Fall. "Schon am Rande der Anti-Rassismus-Demonstrationen und im Göttinger Quarantänegebiet konnte man solche Phänomene beobachten. Auch Polizisten in Berlin berichten von täglichen Beleidigungen und sogar Gewalt", erläutert er. Wie Mansour überhaupt der Meinung ist, dass die seit einigen Wochen andauernde Debatte über vermeintlichen Rassismus und eine hohe Gewaltbereitschaft bei der Polizei eine negative Wirkung habe: "Diejenigen, die seit Wochen Polizeiarbeit per se verunglimpfen, abwerten, Gewalt gegen Polizisten relativieren und verharmlosen, Plünderung und Zerstörung als legitimes Protestmittel betrachten, haben zu einer Anti-Polizei-Stimmung beigetragen, die jetzt auch zu Gewalt führte", hebt er hervor.

Mansour: Explosive Mischung in Stuttgart

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Zur Frage, inwieweit junge Menschen mit Migrationshintergrund hier eine besondere Rolle spielten, stellt er fest: "Leider gibt es auch unter manchen Migranten eine Verachtung gegenüber dem Staat und vor allem gegenüber der Polizei." Diese Tatsache dürfe nicht in der öffentlichen Diskussion einfach ausgeklammert werden, betont der Psychologe. "Wir müssen den Mut haben, das zu besprechen." Grundsätzlich gelte: "Wird die Justiz als schwach wahrgenommen und kommen Gewaltaffinität, Sozialisation und Erziehungsmethoden hinzu, macht das die Jugendlichen zu potentiellen Tätern." In Stuttgart sei es mit Blick auf die Täter zu einer "explosiven Mischung" gekommen: "Linksradikale und Migranten brachten in Stuttgart Ablehnung des Staates und Gewaltbereitschaft mit." Und wie schätzt Mansour die "Allahu Akbar"-Rufe ein? "Die Rufe deuten auf muslimische Täter", sagt er und fügt hinzu: "Ja, es waren welche dabei." Der Grund für die Verachtung des staatlichen Gewaltmonopols liege bei diesen Tätern vor allem in ihrer Sozialisation begründet.

Ob die Debatte wirklich in die Richtung verlaufen wird, wie Ahamd Mansour es sich erhofft, wird sich zeigen. Im Moment ist eher ein Effekt zu erkennen, der sich in den letzten Jahren auch bei anderen vermeintlichen Tabuthemen gezeigt hat, wie etwa bei der Diskussion über die Folgen der Flüchtlingskrise. Die Diskussion verlagert sich in die sozialen Netzwerke. Doch hier zählt weniger das abgewogene Argument als die starke Meinung. Vielfach ist auch hier ein Verrohungseffekt zu erkennen. Auch dafür sind die Ereignisse von Stuttgart eine Art Menetekel

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Sebastian Sasse Rassismus

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