Die Wähler haben Christian Lindner eine Rolle beschert, die dem FDP-Chef, der sich der Öffentlichkeit gern in körperbetonten Maßanzügen (Kategorie „Slim Fit“) und mit akkurat getrimmten Drei-Tage-Bart präsentiert, wie auf den Leib geschnitten ist. Gemeinsam mit dem zehn Jahre älteren Robert Habeck kann sich der 42-Jährige nun daran versuchen, ein Dreier-Bündnis zu schmieden. Eines, bei dem es nahezu unerheblich zu sein scheint, wer über den von den Medien als „Sunny Boys“ der deutschen Politik Hofierten den glamourlosen Kanzler gibt.
Mit 21 jüngster Landtagsabgeordneter
Und tatsächlich bringt der aus Wuppertal stammende und in Wermelskirchen aufgewachsene Christian Lindner, der mit 16 Jahren in die FDP eintrat und im Jahr 2000 mit 21 Lenzen als jüngster Abgeordnete der Geschichte in den nordrhein-westfälischen Landtag einzog, fast sämtliche Fertigkeiten mit, die es dazu braucht: Zielstrebigkeit, Fleiß, Pragmatismus, Machtintelligenz und rhetorisches Know-how. Über all das verfügt Lindner sogar im Übermaß.
Anders ließe sich auch nicht erklären, dass es ihm gelang, parallel zu seinem Landtagsmandat und verschiedenen Parteiämtern auch noch sein ein Jahr zuvor begonnenes Studium der Politikwissenschaft, des Staatsrechts und der Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit dem Magister abzuschließen sowie erfolgreich eine Ausbildung zum Reserveoffizier der Luftwaffe zu absolvieren. Was es dem heutigen Major der Reserve anderseits erschwert, Ziele auch dann noch mit der nötigen Gelassenheit zu verfolgen, wenn er sich persönlich zurückgesetzt oder übergangen fühlt.
Er will nicht wieder das dritte Rad am Wagen
2017 ließ Lindner, auf den bei den Liberalen so ziemlich alles zugeschnitten ist, seit er 2013 auf einem außerordentlichen Parteitag (als jüngster in der Geschichte seiner Partei) mit nur 34 Jahren zum neuen FDP-Bundesvorsitzenden gewählt wurde, die Sondierungsgespräche über eine mögliche Jamaika-Koalition platzen. Dem Vernehmen nach vor allem anderen, weil die Union sich damals zu sehr bemüht habe, die Grünen ins Boot zu holen. Der FDP-Chef, der eine Schwäche für Oldtimer besitzt, habe sich, so wird es in Berlin bis heute kolportiert, damals wie das dritte Rad am Wagen gefühlt.
Und wenn den oft selbstverliebt wirkenden Träger des Aachener Karnevalsordens „Wider den tierischen Ernst“ einmal der Humor verlässt, dann meist, weil andere ihm nicht eine ähnlich hohe Bedeutsamkeit zumessen, wie er sich selbst. Wenn Olaf Scholz Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will, ist er womöglich gut beraten, das – vor allem anderen – zu berücksichtigen.
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