Burkina Faso

Burkina Faso: Afrikas neuer Terror-Hotspot

Burkina Faso entwickelt sich zum größten sicherheitspolitischen Sorgenkind der Sahelregion.
Armee Burkina Fasos
Foto: Vladimir Gerdo via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | In erhöhter Alarmbereitschaft: Der Kampf gegen die Dschihadisten im eigenen Land wird für die Armee Burkina Fasos zur Bewährungsprobe.

Der Sahelstaat Burkina Faso rutscht immer tiefer in die Krise. Dschihadisten haben rund die Hälfte des Territoriums erobert, und fast täglich gibt es neue Angriffe auf Militärposten mit vielen Toten. Die Regierung reagiert mit harter Hand: Mehr als 150 Zivilisten, darunter Dutzende Frauen und Kinder, sollen von der Armee und einer Freiwilligen-Truppe am 20. April in einem Dorf erschossen worden sein.

Klar ist: Burkina Faso entwickelt sich zum größten Sorgenkind der Region. Es gibt in dem Land im Zentrum des Sahels inzwischen mehr Anschläge als in Mali, wo die Bundeswehr als Teil einer Blauhelmtruppe im instabilen Norden noch bis Mai 2024 stationiert ist. Fast genauso schlimm wie die tägliche Gewalt ist die politische Führungsschwäche: Die politische Elite und Armee sind tief gespalten. An der Spitze des Staates steht derzeit Hauptmann Ibrahim Traoré: Er hatte sich im September an die Macht geputscht – dies war bereits der zweite Coup der Armee innerhalb von acht Monaten. Traoré hatte seinem Vorgänger, Paul-Henri Damiba, vorgeworfen, bei der Bekämpfung von Dschihadisten versagt zu haben. Mit dem gleichen Argument hatte Damiba im Januar 2022 den gewählten Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré aus dem Amt gedrängt.

Die Dschihadisten nutzen die strategische Lage

Sowohl unter Damiba wie unter Traoré hat sich die Sicherheitslage noch einmal deutlich verschärft - eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Streitkräfte sind in schlechtem Zustand, und nach der Wahl Kaborés 2015 wurde eine Eliteeinheit wegen einer Putschgefahr aufgelöst. Die verbliebenen regulären Soldaten sind schlecht ausgerüstet und kaum motiviert, da sie regelmäßig von Dschihadisten angegriffen werden. Besonders katastrophal ist die Lage im Norden am Dreiländereck mit Mali und Niger: Hier hat sich die Armee fast ganz zurückgezogen. Dschihadisten blockieren ganze Städte und Dörfer, die sie der Kooperation mit der Regierung beschuldigen. In einem Verzweiflungsakt versucht der neue Präsident, mit Hilfe von 50.000 Freiwilligen Territorium zurückzuerobern. Diese bekommen ein Basistraining, ein Gewehr - und werden dann sofort in den Kampf geschickt. Sie sollen der Armee in ländlichen Gebieten die Verstecke der Dschihadisten zeigen. Rekrutiert wird zumeist aus der Gruppe der Mossi, der Bevölkerungsmehrheit – eine problematische Konstellation, da viele aus dieser Volksgruppe der Minderheit Fulbe pauschal eine Zusammenarbeit mit Dschihadisten vorwerfen. Traoré hatte bei europäischen Partnern um Waffen und Ausrüstung für die neue Truppe geworben, die haben aber abgewunken, weil ähnliche Milizen in den vergangenen Jahren immer wieder mit Massakern in Verbindung gebracht wurden.

Lesen Sie auch:

So ist es auch gekommen. Für das Massaker in dem Dorf Karma werden reguläre Soldaten und die Freiwilligen-Truppe verantwortlich gemacht. Tage zuvor hatte es einen Angriff in der Region auf einen Posten von Armee und Paramilitärs mit etwa 30 Toten gegeben. Als die Soldaten und Kämpfer dann am 20. April nach Karma kamen, dachten die Bewohner nach Medienberichten ernst, dass sie zu ihrem Schutz gekommen seien. Stattdessen kamen sie, um zu töten. Bilder von dem Massaker zeigten Leichenberge. Die Opfer sind diesmal Mossi, die eigentlich eher loyal zum Staat stehen – dies hat viele im Land geschockt.

Die Regierung hatte das Massaker erst ignorieren wollen, auch als die ersten Bilder im Internet kursierten. Erst nach einem Artikel in der französischen Zeitung „Libération“ (dessen Korrespondentin gerade erst ausgewiesen wurde) mit Augenzeugenberichten leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein. Ein Regierungsvertreter versuchte zugleich, in Uniform verkleidete „Terroristen“ für die Tat verantwortlich zu machen – eine wenig glaubwürdige Version angesichts der Zeugenberichte von Überlebenden.

In nur zwei Jahren fast zusammengebrochen

Andere Menschen sind eher gleichgültig gegenüber den wiederholten Übergriffen auf Zivilisten, was dem Zeitgeist in dem Lande entspricht. „Wir müssen unser Land zurückerobern, egal wie,“ sagte ein Journalist dem Autor bei einem Besuch im März. „Die Freiwilligen sind unsere einzige Hoffnung.“ Viele Menschen können sich nicht erklären, wie das Land in nur zwei Jahren fast zusammengebrochen ist. Außer der Hauptstadt Ouagadougou und der zweitgrößten Metropole Bobo-Dioulasso ist der Rest von Burkina Faso praktisch unsicher geworden.

Burkina Faso ist wesentlich dichter bevölkert als Mali und Niger – dies erklärt zumindest teilweise, warum die Dschihadisten, die ursprünglich aus Nord-Mali kamen, sich so schnell ausgebreitet haben. Burkina Faso hat für die Dschihadisten strategischen Wert – sie versuchen von hier, in den noch stabilen Küstenländern wie Togo oder der Elfenbeinküste Fuß zu fassen. Sie verüben von ihren Verstecken in den schwer zu kontrollierenden Wäldern im Süden Burkina Fasos regelmäßig Anschläge. Ihr Ziel dürfte es wohl sein, Schmuggelrouten sowie wie Hauptverkehrsaxen zu kontrollieren. Über die Häfen Abidjan, Cotonou, Accra und Lomé importieren Burkina Faso, Mai und Niger ihren Bedarf von Lebensmitteln und Konsumgütern. Dschihadisten wollen daran teilhaben, indem sie Zölle erheben.

Dazu kommt der Goldschmuggel: Burkina Faso ist wie Mali und andere Sahelländer sehr goldreich – Gold wird hauptsächlich in informellen Minen außerhalb der Verwaltung des Staates abgebaut. Die Dschihadisten zielen auf die Kontrolle solcher Goldgruben. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Goldes wird ins Ausland geschmuggelt, zum Teil über Küstenländer wie Togo.

Wie im Sudan: Russen bieten Waffen und Söldner an

Die Militärregierung kündigt neue Offensiven an und versucht, Waffen einzukaufen, wo immer es möglich ist. Von der Elfenbeinküste wurden gerade Kalaschnikows und Munition geliefert, auch mit Russland ist die Regierung im Gespräch. Der russische Botschafter hat nach Aussagen eines Regierungsmitglieds Helikopter, Schusswaffen, Munition und die Dienste der berüchtigten „Gruppe Wagner“ angeboten. Diese sind bereits seit gut einem Jahr in Mali tätig, ohne dass sich die Sicherheitslage verbessert hat. Im Gegenteil: Die Brutalität der Russen hat den Dschihadisten eher noch neuen Zulauf beschwert. Dies dürfte ein Grund sein, warum Burkina Faso zwar vermutlich von Moskau Waffen kaufen wird, sich nicht aber unbedingt die Söldner ins Land holt.

Es ist unklar, ob Burkina Faso sich die Rüstungsgeschäfte mit Russland überhaupt leisten kann. Die öffentlichen Finanzen sind in der Krise, seitdem westliche Geldgeber Budget- und andere Hilfen suspendiert haben. Die Weltbank lässt nach Angaben von Diplomaten auch ihre Programme auslaufen. Die Regierung versucht, mehr Steuern bei der verarmten Bevölkerung einzutreiben.

Eine Lösung wäre möglicherweise, Russland direkt in Gold zu bezahlen. Es sind bereits zwei russische Bergbaufirmen im Goldabbau in dem Land tätig. Eine Bezahlung in Devisen wäre schwierig, da die Währung CFA wie in anderen Staaten Afrikas mit der Zentralbank der früheren Kolonialmacht Frankreich gekoppelt ist. Paris könnte Waffengeschäfte möglicherweise blockieren.

Die Militärkampagne dürfte in jedem Fall mit Massakern wie in Karma eher mehr Hass erzeugen, als die Lage vor Ort verändern. Die Dschihadisten haben in den letzten Jahren wie in Mali in Dörfer eingeheiratet, sie sind Teil der Gesellschaft und kaum mehr militärisch zu besiegen. Die Europäer bleiben mit Burkina Faso im Gespräch, angesichts der immer neuen Massaker an der Zivilbevölkerung gibt es wenig gemeinsame Anknüpfungspunkte. Die Regierung bedient zudem ein weitverbreitetes antifranzösisches Sentiment, um vom eigenen Scheitern abzulenken. Die französischen Soldaten einer Anti-Terror-Mission wurden ebenso wie in Mali Anfang des Jahres ausgewiesen. Das wahrscheinlichste Szenario in Burkina Faso könnte ein neuer Coup sein, da die Armee gespalten ist. Traoré versucht, dem vorzubeugen: Er hat die Straße vor seinem Dienstsitz sperren und Sicherheitspoller errichten lassen – der Staatschef fürchtet wohl selbst um seine Sicherheit.


Der Autor ist Leiter des Sahel-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Ulf Laessing Dschihadisten Französische Soldaten Konrad-Adenauer-Stiftung Sicherheitspolitik

Weitere Artikel

Der Konflikt zwischen Russland und dem Westen spiegelt sich auch in der Sahelzone wider. Der Rückzug der Bundeswehr aus Mali hätte weitreichende Folgen.
02.05.2022, 07 Uhr
Carl-Heinz Pierk
Die afrikanischen Länder Niger und Mali sind für westliche Streitkräfte heikles Terrain. Nicht nur den Dschihadismus gilt es zu bekämpfen. Sondern auch den wachsenden Einfluss Russlands.
12.12.2022, 07 Uhr
Carl-Heinz Pierk
Der Ex-CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg plädiert für eine Kombination aus einer Berufsarmee und einer großen Zahl von Reservisten.
19.03.2023, 15 Uhr
Patrick Sensburg

Kirche

Wegen Überfüllung geschlossen: 16000 Pilger aus 28 Ländern wandern am kommenden Wochenende zu Fuß von Paris nach Chartres.
28.05.2023, 13 Uhr
Franziska Harter
In der 56. Folge des Katechismuspodcasts mit der Theologin Margarete Strauss geht es um die Frage, wie der Mensch mit der Vorsehung zusammenarbeitet.
27.05.2023, 14 Uhr
Meldung
„Das war die Vorsehung!“ Aber was genau ist das eigentlich? Dieser Frage widmet sich Theologin Margarete Strauss in der 55. Folge des Katechismuspodcasts.
26.05.2023, 14 Uhr
Meldung
In der 54. Folge des Katechismuspodcasts geht es mit Theologin Margarete Strauss um die Schöpfungstätigkeit Gottes.
25.05.2023, 18 Uhr
Meldung
Historisch, theologisch, spirituell: Welche Aspekte laut "Premio Ratzinger"-Preisträger Ludger Schwienhorst-Schönberger eine zeitgemäße Bibelwissenschaft auszeichnen. 
27.05.2023, 17 Uhr
Ludger Schwienhorst-Schönberger