Rio de Janeiro

Brasiliens Pfingstler sind systemrelevant

Sie sind als Wähler die wichtigste Stütze von Präsident Bolsonaro. In der Pandemie schmeichelt er den Pfingstkirchen besonders.
Bolsonaro polarisiert die brasilianische Gesellschaft wie kein anderer.
Foto: Cris Faga (ZUMA Wire) | Bolsonaro polarisiert die brasilianische Gesellschaft wie kein anderer. In diesem Graffiti wird er gar als Gegenspieler der Ärzte und Helfer des Corona-Virus dargestellt.

Marcelo Crivella, Bürgermeister von Rio de Janeiro und zugleich Bischof der pfingstlerischen „Universalkirche“, ist einer der engsten Parteigänger und Unterstützer von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Der eher blasse und wortkarge Bischof Crivella, dem der ehemalige Kardinal von Rio, Eusebio Scheid, im Wahlkampf nicht die Hand geben wollte, und der feurige redegewaltige Pastor Silas Malafaia - die Zwei waren die Wegbereiter für Bolsonaros Weg an die Staatsspitze. Beide nutzen nun die Pandemie, um den gesellschaftlichen Einfluss der Freikirchen noch weiter zu vergrößern. Kirchen, poltert Silas Malafaia in einem dreiminütigen Videoclip, seien genauso wichtig wie Krankenhäuser. Malafaia ist dank Bolsonaro, dessen persönlicher Berater er ist, mittlerweile der bekannteste Pastor Brasiliens. Täglich kommentiert er per Webcam das Geschehen und sendet es als „Frohe Botschaft“ in die Welt.

Die Pandemie hat sich zum ideologischen Kampf entwickelt

Dass Kirchen aufgrund der Corona-Krise geschlossen wurden, ist für ihn ein Skandal. Die Pandemie hat sich inzwischen längst zu einem ideologischen Kampf entwickelt, mit dem Bolsonaro vor allem seine Wähler bedienen will. Deshalb hat der Präsident  jetzt die Freikirchen genauso wie die Krankenhäuser für systemrelevant erklärt. Rios Bürgermeister Crivella nahm diesen Vergleich wörtlich und verfügte, dass ein in Rios größtem Armenviertel Rocinha dringend benötigter Computertomograf nicht im örtlichen Hospital, sondern in Crivellas „Universal-Kirche“ aufgestellt wird. Anders als die katholische Kirche und die Lutheraner, die in Brasilien viele Krankenhäuser betreiben, verfügen die Freikirchen über keine eigenen Krankenhäuser. Sie sie investieren lieber in Medienunternehmen und PR-Agenturen.

Im noch größten katholischen Land der Welt haben evangelikale Kirchen seit Jahren regen Zulauf, bald werden sie die katholische Kirche auch in der Anzahl der Gläubigen überholen. Deutlich wird dies vor allem an den wie Pilze aus dem Boden sprießenden kleinen Kirchen, oft umgewandelte Häuser in den ärmeren Vierteln. Neben diesen meist recht ärmlichen Gebetshäusern, die in den Zweigniederlassungen dieser Gruppierungen in Europa auch „Zentren der geistigen Stärkung“ heißen, dominieren auch immer mehr riesige, hochmoderne Prestigebauten der Pfingstkirchen die Städte Brasiliens. In São Paulo wurde vor einigen Jahren, als Zeichen des Machtanspruchs, der neue Zentraltempel der „Universalkirche“ im Stile des Salomon-Tempels von Jerusalem nachgebaut, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war bei der Eröffnung mit dabei. Der Zentraltempel hat einen eigenen Hubschrauberlandplatz und ein TV-Studio und bietet Platz für mehr als 10.000 Gläubige.  Über ein Krankenhaus oder eine Schule verfügt das Zentrum jedoch nicht. Die Freikirchen nehmen auch zunehmend politisch und gesellschaftlich Einfluss und haben mit einem Zusammenschluss evangelikaler Abgeordneter eine parteiübergreifende Interessenvertretung im Kongress. Die Gründung eigener Parteien vermeiden sie, weil sie dies auch angreifbar machen würde.

Die Kirche ist systemrelevant

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Pastor Silas Malafaia sah seine Kirche schon vor Bolsonaro als systemrelevant an. Der Gründer der „Versammlung Gottes“ erklärte in einem seiner Videos, die „Krankenhäuser könnten die Menschen nicht beruhigen, sondern nur die Religionen“. Erst nach einem Gerichtsbeschluss beendete er die Gottesdienste in seinen Kirchen.

Noch bevor er die Freikirchen als systemrelevant bezeichnete, brachte Präsident Jair Bolsonaro ein Dekret auf den Weg, das Kirchen als „notwendige Dienstleistungen“ einstuft. Das Dekret wurde zwar kurz danach von der Justiz kassiert, aber Bolsonaro konnte damit seinen Anhängern zeigen, dass er hinter ihnen und die Gerichte gegen sie sind.  Auch andere Pastoren, wie der Begründer der Universalkirche Edir Macedo (75), nutzen die Krise geschickt für ihre Zwecke. Er bezeichnete Corona als „Strategie Satans und der Medien“, um die Menschen in Panik zu versetzen. Macedo erklärte auch, dass der Glauben die beste Medizin gegen das Virus sei. Sein Sohn erklärte in São Paulo,  Europa sei das Epizentrum der Pandemie, weil dort „Atheismus, Islamismus und Homosexualismus“ herrschten. Sogar finanziell wollen die Freikirchen von Corona profitieren. Nicht umsonst ist die „Theologie des Wohlstands“ eine der Grundsäulen der Pfingstkirchen.

In der aktuellen Corona-Krise,  beziehen sich viele ihrer Pastoren auf Stellen in der Bibel, in denen Gott Menschen gegen Opfergaben als Buße von Sünden freispricht. Soll heißen, wer spendet, wird nicht vom Corona-Virus infiziert. Einige Freikirchen bieten sogar „heilige Öle“ zur Immunisierung gegen die Pandemie an.

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