Zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens seit der Rückkehr zur Demokratie 1985 traten ein amtierender und ein ehemaliger Präsident gegeneinander an: Luiz Inácio „Lula“ da Silva der Arbeiterpartei PT erlangte 48,43 Prozent gegenüber 43,2 Prozent für den aktuellen Amtsinhaber Jair Bolsonaro der liberalen Partei PL.
Stichwahl fällig
Da keiner der beiden bei den Wahlen am 2. Oktober die absolute Mehrheit erreichte, werden der aufgeheizte Wahlkampf und die Polarisierung weitergehen und die endgültige Entscheidung in einer Stichwahl am 30. Oktober fallen. Die Umfragen prognostizieren einen knappen Wahlsieg im ersten Wahlgang für Lula, aber Bolsonaro erfuhr deutlich mehr Unterstützung als erwartet.
Seine Partei ist nun die größte Fraktion im Parlament und im Senat, trotz des schlechten Pandemiemanagements, dem Abholzen des Regenwaldes, der Angriffe auf demokratische Institutionen, die Verherrlichung der Diktatur sowie frauenfeindliche und rassistische Aussagen. Das Ergebnis bestätigt auch, dass die Wut vieler Brasilianer auf Lula und die Regierungszeit der PT, die von zahlreichen Korruptionsskandalen geprägt war, nicht vergessen ist.
Überraschung möglich
Auch wenn Umfragen jetzt auf einen endgültigen Sieg Lulas deuten, sind Überraschungen nicht auszuschließen. Diese Lehre ist aus dem ersten Wahlgang zu ziehen, denn Bolsonaro liegt nur wenige Punkte hinter seinem Herausforderer. Die Kontrahenten werden jetzt nach Verbündeten in den Lagern der Präsidentschaftskandidaten und ihrer Parteien suchen, die es nicht in die Stichwahl geschafft haben.
Fehlende Klarheit
Unklar ist, ob Bolsonaro eine mögliche Niederlage anerkennen oder weiterhin an Fake News über die Integrität der elektronischen Wahlurnen festhalten wird, wenn das Ergebnis knapp ausfällt. Das Oberkommando des Militärs erklärte, jedes Wahlergebnis anzuerkennen, so dass ein Putsch ausgeschlossen werden kann. Es bleibt aber weiterhin spannend.
Die Autorin ist Leiterin des Regionalbüros Brasilien der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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