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Bolivien vor dem Neubeginn

Am Sonntag treten der Christdemokrat Rodrigo Paz und der Liberalkonservative Jorge Quiroga in der Stichwahl an. Das Andenland sucht Halt, die Bevölkerung hat genug von Ideologien.
Rodrigo Paz
Foto: Imago/Anadolu Agency | In Bolivien hat der Christdemokrat Rodrigo Paz die erste Runde mit rund 32 Prozent der Stimmen gewonnen.

Nach 20 Jahren sozialistischer Regierung steht Bolivien vor einem politischen Umbruch. Bei den Präsidentschaftswahlen am 17. August 2025 erlitt die „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) ihre schwerste Niederlage seit ihrer Gründung. Der Christdemokrat Rodrigo Paz gewann die erste Runde mit rund 32 Prozent der Stimmen, gefolgt vom liberal-konservativen Jorge „Tuto“ Quiroga mit 27 Prozent. Quiroga war 2001/02 Präsident Boliviens, ehe die populistisch-linke Ära der MAS begann. Beide treten am 19. Oktober in der ersten Stichwahl der modernen bolivianischen Geschichte gegeneinander an.

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Der Ausgang bedeutet das Ende der Ära Evo Morales, der 2006 mit seiner „Revolution der Würde“ als erster indigener Präsident antrat. Seine Regierung brachte zunächst Fortschritte: sinkende Armut, Alphabetisierung, Infrastruktur. Finanziert wurde der Aufschwung durch hohe Einnahmen aus Erdgas und Rohstoffen. Doch der staatliche Dirigismus und die wachsende Abhängigkeit vom Weltmarkt führten zum Absturz: Als die Preise sanken, brach das Modell der Umverteilung zusammen. Heute leidet Bolivien unter Devisenmangel, Inflation und Treibstoffknappheit, und liegt nur vor Venezuela auf einer Stufe mit Honduras oder Nicaragua im südamerikanischen unteren Mittelfeld.

Wahl bestätigte Machtverlust

Die Parlamentswahl bestätigte den Machtverlust der MAS: keine Sitze mehr im Senat, nur ein Abgeordneter im Unterhaus. Der frühere Präsident Luis Arce verzichtete auf eine Kandidatur. Morales, gegen den ein Haftbefehl wegen Menschenhandels besteht, lebt abgeschirmt in Cochabamba und bezeichnete das Ergebnis als „Strafe für Verrat und Korruption“ in den eigenen Reihen. Der Wahlprozess im August verlief weitgehend friedlich. Internationale Beobachtermissionen der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten lobten Transparenz und Beteiligung.

Auch die Bischofskonferenz sprach von einem „neuen Kapitel“ in der Geschichte des Landes und rief zu einem respektvollen, friedlichen zweiten Wahlgang auf. Rodrigo Paz (58), Sohn des früheren Präsidenten Jaime Paz Zamora, gilt als pragmatischer Reformer. Er setzt auf Dezentralisierung, Korruptionsbekämpfung und schrittweise Liberalisierung. Sein Vizekandidat Edman Lara, ein früherer Polizeioffizier, steht für einen bürgernahen, unkonventionellen Stil. Jorge Quiroga (64) präsentiert sich als erfahrener Liberaler, der auf Modernisierung und internationale Öffnung setzt.

Sein Vizekandidat Juan Pablo Velasco ist Technologieunternehmer. Unabhängig vom Wahlsieger stehen beide vor denselben Herausforderungen: Die Staatsfinanzen sind angespannt, die Gasreserven schwinden und der Schmuggel an den Grenzen floriert. Zudem bedarf es einer Reform des Justizsystems, das jahrelang politisch instrumentalisiert wurde. Die Wiederherstellung internationaler Beziehungen, besonders mit den USA und Europa, gilt als Voraussetzung für wirtschaftliche Stabilität.

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Der hohe Stimmenanteil der konservativen und zentristischen Parteien zeigt, wie sehr die Bevölkerung genug hat von Ideologien. Viele wünschen sich keine Revolution mehr, sondern eine funktionierende Verwaltung. Die Wahlbeteiligung von fast 87 Prozent belegt zugleich, dass die Bürger den demokratischen Prozess ernst nehmen – trotz der Enttäuschung über die vergangenen Jahre. Für Bolivien beginnt damit ein schwieriger Übergang. Der nächste Präsident muss zeigen, dass wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung vereinbar sind. Nach zwei Jahrzehnten politischer Polarisierung erwartet das Land keine großen Parolen, sondern verlässliche Führung. Am 19. Oktober entscheidet sich, ob dieser Kurswechsel bestätigt wird und ob Bolivien nach Jahren der Spaltung den Weg zu Stabilität und Maß findet.

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