Olaf Scholz ist kein Winston Churchill. Eine „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede ist vom deutschen Bundeskanzler nicht zu erwarten. Gewiss, Deutschland ist bei der Ramstein-Konferenz mit dabei und hat sich bei seinen Partnern untergehakt. Heute wird der Bundestag über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine beraten. Trotzdem: Das Manko in der politischen Führung von Olaf Scholz wird in diesen Tagen überdeutlich. Der deutsche Kanzler kann keine Krisenkommunikation. Wie man durch das Wort führt, könnte er tatsächlich vom britischen Kriegspremier lernen. Churchill schaffte es in einer existenziellen Notsituation für sein Land, die Widerstandskraft und den Kampfeswillen der Briten zu stärken. Vor allem durch seine rhetorische Brillanz.
Scholz ruht sich auf guten Umfragewerten aus
Das historische Beispiel zeigt auch: Führung beweist sich dann, wenn der Politiker dazu in der Lage ist, dem öffentlichen Meinungstrend standzuhalten. Schafft er es gar, ihn zu drehen, dann hat man es mit echter staatsmännischer Kunst zu tun. Scholz versucht das nicht nur nicht, er scheint sich vielmehr auf den guten Umfragewerten auszuruhen. Erst Anfang der Woche zeigte wieder eine Befragung, dass eine Mehrheit der Deutschen den abwartenden Kurs von Scholz in der Ukraine-Politik unterstützt.
Diese Stimmungslage ist auch nachzuvollziehen: Die Menschen sind verunsichert. Sie sind von Sorge umgetrieben, haben Angst. Das psychologische Spiel der Russen mit ihren Atomkrieg-Drohungen scheint aufzugehen. Natürlich ist Besonnenheit in der aktuellen Lage eine wichtige Tugend. Und natürlich muss die politische Führung die Ängste der Menschen ernst nehmen. Es gilt aber eben auch: „Angst essen Seele auf“. Die Ukrainer verteidigen in ihrem Kampf gegen die Russen auch unsere Werte. Es geht in diesem Krieg damit auch um die Zukunft des freien Westens. Die Diktatoren der Welt, allen voran Xi Jinping in Peking, schauen ganz genau hin, ob diese Einsicht lediglich Stoff für folgenlose Sonntagsreden bietet, in Wirklichkeit sich aber alle bloß nach dem vermeintlich bequemen Status quo zurücksehnen.
Deutschland kommt hier eine Schlüsselposition zu: Ganz Europa, vor allem aber die osteuropäischen Partner, schauen auf unser Land. Der zögerlich Kurs von Olaf Scholz hat dort für viel Verunsicherung gesorgt. Ist die Bundesrepublik ein unsicherer Kantonist? Lassen sich die Deutschen von den russischen Drohungen einschüchtern? Ein „Ja“ auf diese Fragen wäre eine Lehre für die Autokraten dieser Welt: Man muss nur martialisch genug auftreten, am Ende siegt bei den westlichen Staaten die Bequemlichkeit über die Widerstandskraft.
Deutschland steht in der Pflicht
Scholz muss jetzt endlich klar Farbe bekennen. Deutschland steht in der Pflicht: Der sich gerade neu konstituierende freie Westen braucht einen europäischen Motor. Wer sollte es sonst tun? Emmanuel Macron ist zwar wieder in den Elysée-Palast eingezogen, aber der nächste Urnengang naht. Bis zur Parlamentswahl in wenigen Wochen hat er genug mit französischer Innenpolitik zu tun. Freilich, bis jetzt macht der Kanzler wenig Anstalten, seinen Kurs zu ändern. Aber vielleicht zwingt ihn seine eigene Koalition bald dazu.
Die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gibt ein ganz anderes Bild ab als ihr Regierungschef. Und auch in der FDP mehren sich die kritischen Stimmen. Wie lange hält Olaf Scholz diesen Spagat noch aus?
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