In der schwersten Krise der Geschichte des Landes, die ganz Lateinamerika zu destabilisieren droht, beginnt in Venezuela ein neues Kapitel einer Tragödie: Der sozialistische Präsident Nicolás Maduro hat vergangene Woche darauf bestanden, sich für seine zweite Amtszeit vereidigen zu lassen – trotz der breiten internationalen Kritik. Sowohl die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die Lima Gruppe, der fast alle wichtigen Länder Lateinamerikas angehören, als auch die Vereinigten Staaten, Kanada und die EU haben Maduros Regierung als „illegitim“ verurteilt. Seine Wahl im Mai 2018 wurde weithin als undemokratisch kritisiert, weil die Opposition schwer behindert wurde. Nur China, Russland und die linksregierten lateinamerikanischen Länder Kuba, Bolivien und Nicaragua sowie Mexiko erkennen Maduro als rechtmäßigen Präsidenten an.
Auch die Kirche ist in den politischen Konflikt mit hineingezogen worden. Angesichts der heftigen Repressionen gegen Oppositionspolitiker und regierungskritische Demonstranten haben die venezolanischen Bischöfe in den vergangenen Jahren mehr und mehr die Rolle der Opposition übernommen. Damit ist auch die Kirche zuweilen ins Visier der Unterstützer des Regimes geraten, es gab Übergriffe gegen Priester und Kirchengebäude.
Aktuell haben die Bischöfe in einer Erklärung Maduro als „illegitim und moralisch inakzeptabel“ bezeichnet. Er könne nicht weiterhin Präsident des Landes bleiben. „Wenn wir auf diesem Pfad weitergehen, werden wir im Abgrund enden“, sagte José Luiz Azuaje Ayala, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, in der Erklärung. Im Gegensatz dazu nahm jedoch Monsignore George Koovakod als Vertreter des Vatikans einen Tag später an der Vereidigung teil. Maduro dankte ihm für seinen „Mut“ zu kommen. Es scheint Spannungen innerhalb der Kirchenhierarchie zu diesem Thema zu geben. Auf die Kritik an der Teilnahme reagierte der kommissarische Pressesprecher des Vatikans, Alessandro Gisotti, am vergangenen Montag mit einer Stellungnahme: Der Heilige Stuhl unterhalte diplomatische Beziehung zu Venezuela „mit dem Ziel, das Gemeinwohl, den Frieden und die Menschenrechte zu schützen“, betonte Gisotti laut einer Meldung der österreichischen Katholischen Presseagentur. Man habe auch bewusst einen niederrangigen diplomatischen Vertreter entsandt. Weiterhin hob er hervor, dass Vatikan und Bischöfe zusammenarbeiteten, „um dem venezolanischen Volk zu helfen, das unter den Folgen der menschlich und sozial schwierigen Lage im Land leidet“.
Die Vereidigung Maduros fand im Verfassungsgericht statt, nicht im Parlament, das von der Opposition mit einer Zweidrittelmehrheit dominiert wird, aber von Maduro faktisch entmachtet wurde. Am Wochenende nahmen Agenten des Geheimdienstes Sebin den Parlamentspräsidenten Juan Guaidó kurzzeitig fest. Guaidó hatte zuvor zu einem großen Protestmarsch am 23. Januar aufgerufen. Maduro, der Nachfolger der Sozialisten-Ikone Hugo Chávez, regiert Venezuela seit 2013.
Schon bei seinem ersten Wahlsieg damals gab es Vorwürfe der Wahlfälschung. Im Mai 2018 wurde er dann angeblich mit fast 68 Prozent wiedergewählt, obwohl das Land inzwischen in eine fürchterliche Krise gefallen ist. Wichtige Teile der Opposition hatten die Wahl boykottiert.
Kein Respekt vor dem Recht
Die Bischöfe haben in ihrer Erklärung schonungslos die Lage angeprangert: Das venezolanische Volk erlebe „eine dramatische und extrem ernste Situation“ aufgrund der „Verschlechterung des Respekts vor dem Recht“. Die Armut wachse und die Menschen sähen keinen Ausweg. Es sei „eine Sünde, die zum Himmel schreit, die Macht um jeden Preis zu behalten“ und dabei das Versagen zu verlängern, klagten die Bischöfe Maduros Regime an. Die Kirche fordert wie die Opposition Neuwahlen. Seit der ehemalige Busfahrer und Gewerkschafter Maduro als Chávez' Nachfolger vor fünf Jahren an die Macht kam, ist die Wirtschaft um etwa 55 Prozent geschrumpft, es können immer weniger lebenswichtige Güter importiert werden. 90 Prozent aller Waren sind knapp. Die Inflationsrate ist auf über 1,6 Millionen Prozent gestiegen, was eine galoppierende Entwertung aller Einkommen bedeutet. Etwa drei Millionen Bürger sind ausgewandert, diese Migrationsbewegung destabilisiert die Nachbarländer.
Zur wirtschaftlichen Not kommt die extreme Gewaltkriminalität. Mit mehr als 23 000 Opfern von Mord und Totschlag zählt es zu den gefährlichsten Ländern der Erde. Das Regime kann sich neben der Armee auf die bewaffneten „Bolivarischen Milizen“ stützen, welche „die Revolution verteidigen“ sollen. Maduro hat angekündigt, den Weg des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ weiterzugehen.