Russlands Krieg in der Ukraine hin oder her: Für die USA bleibt China die Bedrohung Nummer Eins. Wenn es dafür noch eines weiteren Beweises bedurfte, lieferte ihn US-Präsident Joe Biden Anfang der Woche in Tokio: Die USA seien verpflichtet, Taiwan militärisch beizustehen, falls China versuchen sollte, den Inselstaat gewaltsam einzunehmen, betonte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem japanischen Regierungschef Fumio Kishida. Schon seit längerem spiele das kommunistische Regime mit dem Feuer, etwa mit Militärmanövern und Flügen nahe der Insel. Einen Angriff Chinas gegen Taiwan würden die USA aber nicht zulassen, so Bidens deutliche Worte.
Kernproblem: der völkerrechtliche Status Taiwans
Die chinesische Reaktion folgte prompt: Außenminister Wang Yi drückte seine „starke Unzufriedenheit“ über Bidens Kommentare aus. China habe „keinen Raum für Kompromisse oder Zugeständnisse“, wenn es um Kerninteressen der Souveränität und territorialen Integrität gehe. Das Kernproblem ist der völkerrechtliche Status Taiwans: Die Insel, offiziell „Republik China“ genannt, verwaltet sich seit 1949 selbst und hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer Demokratie entwickelt. China betrachtet Taiwan jedoch als Teil der kommunistischen Volksrepublik, lässt immer wieder die Säbel rasseln und droht mit einer Eroberung. Die Mehrheit der Bevölkerung Taiwans wiederum ist gegen eine Vereinigung mit der Volksrepublik China.
Zumindest verbal zündelte Biden also an der Lunte eines riesigen Pulverfasses, indem er Taiwan den militärischen Beistand der USA zusicherte. Und das Weiße Haus sah sich gezwungen, zurückzurudern. Bidens Äußerungen hätten sich darauf bezogen, Taiwan Waffen zur Verfügung zu stellen, im Angriffsfall jedoch nicht selbst militärische Truppen auf die Insel zu entsenden, hieß es aus Washington.
Eine zurückhaltende Position, die mit Blick auf die Historie nachvollziehbar ist. Denn die Politik der Amerikaner gegenüber Taiwan ist seit Jahrzehnten von bewusster Uneindeutigkeit geprägt. Eine formelle militärische Beistandserklärung gibt es nicht. Vielmehr heißt es im „Taiwan Relations Act“, den der US-Kongress 1979 verabschiedete, man wolle Taiwan lediglich Defensivwaffen zur Selbstverteidigung zugänglich machen. Seit dem Abkommen findet das Verhältnis der USA zu dem Inselstaat nur auf inoffizieller Ebene statt. Seit man begann, wieder diplomatische Beziehungen zu Festlandchina aufzunehmen, gilt nicht mehr die taiwanesische Hauptstadt Taipeh sondern Peking als Vertretung Chinas.
Spontane Äußerungen prägen seinen Politikstil
Es ist nicht das erste Mal, das Bidens Regierung ihren eigenen Chef zurückpfeifen muss. Für eine ähnliche Situation sorgte der Demokrat im März, als er bei einem Besuch in Polens Hauptstadt Warschau spontan über die politische Zukunft Wladimir Putins spekulierte. „Dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“, lauteten Bidens Worte damals – was von einigen als Aufruf zum Sturz des russischen Machthabers gedeutet wurde.
Derartige Äußerungen „aus dem Bauch heraus“ gehören zu Bidens Naturell und prägen auch seinen Politikstil. Schon seit Beginn seiner Amtszeit machte der 79-Jährige deutlich, dass er auch gegenüber Autokraten nicht vor klaren Worten zurückschrecken würde. So nannte er Putin ohne zu zögern einen „Mörder“, „Schlächter“ und „Kriegsverbrecher“. Im Falle seiner Bemerkungen zu Taiwan muss er sich aber den Vorwurf einer gewissen Doppelmoral gefallen lassen: Taiwan verspricht Biden aktiven militärischen Beistand im Angriffsfall, in der Ukraine ist er dazu jedoch seit drei Monaten – eben aufgrund des Eskalationspotenzials – nicht bereit.
Biden sollte Vorsicht walten lassen mit roten Linien und allzu klaren Versprechungen, die sich dann im Ernstfall vielleicht doch nicht einhalten lassen. Schon so mancher Vorgänger im Präsidentenamt ist darüber gestolpert und hat dabei an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Gerade die müssen die USA angesichts der äußerst angespannten weltpolitischen Lage unbedingt bewahren.
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