„Aufstehen“ – unter dieser Überschrift haben die Fraktionsvorsitzende der Linken, Sarah Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine eine linke Sammlungsbewegung gegründet, die auch Anhänger jenseits ihrer Partei gewinnen soll. Diese Entwicklung bestätigt: Das tradierte Parteiensystem ist aus den Fugen geraten – ein Einfallstor auch für linkspopulistische Projekte, zumal die Sozialdemokratie europaweit ins Straucheln geraten ist. Die Bewegung um Emmanuel Macron in Frankreich, aber auch Syriza in Griechenland gelten als Beleg dafür, dass sozialistische Projekte durchaus reüssieren können. Und zeigte das nicht auch das Projekt„Die Linke“ selbst? Immerhin schafften die Postkommunisten den kaum geglaubten Durchbruch im Westen der Republik. Sarah Wagenknecht macht aus ihrer Stoßrichtung keinen Hehl.
So sagt sie: „Viele Menschen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Gerade Ärmere sehen ihre Interessen nicht mehr vertreten. Das stärkt vor allem rechte Parteien wie die AfD. Wer das ändern will, braucht einen neuen Aufbruch.“ In einem Gastbeitrag in der Tageszeitung „Die Welt“ zieht Wagenknecht gegen die etablierten Parteien radikal zu Feld. Sie schreibt: „Die einstigen Volksparteien, einschließlich ihrer liberalen und grünen Partner, sind mittlerweile so ununterscheidbar geworden, dass Wahlen zur Farce und demokratische Rechte substanzlos werden.“
Auf der Internet-Seite der Bewegung sind Videos von Menschen zu sehen, die begründen, warum sie mit der Politik unzufrieden sind. Seit Aufkommen der Flüchtlingskrise sorgt innerhalb der Linken eine unterschiedliche Sichtweise auf die Migrationspolitik für großen Dissens – Wagenknecht ist der Meinung, dass nicht alle Flüchtlinge kommen können. Sie ist gegen Einwanderer, die aus Armut ins Land kommen. Dies würde den Niedriglohnsektor negativ beeinflussen. Wagenknecht will die zur AfD abgewanderte Wählerklientel mit den aus ihrer Sicht „berechtigten Ängsten, Ohnmachtsgefühlen und auch Wut“ zurückgewinnen – und zwar durch eine scharfe Abgrenzung von der „sozial verantwortungslosen Ausgestaltung der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition“. Das spiegelt sich auch in der Forderungen der Bewegung wider, in denen neben sicheren Arbeitsplätzen und höheren Steuern für Reiche auch Wünsche nach einer besseren Ausstattung von Polizei und Justiz und nach der „Wahrung kultureller Eigenständigkeit“ und „Respekt vor Tradition und Identität“ auftauchen.
Die Parteivorsitzenden der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, wollen allerdings den bisherigen Kurs in der Flüchtlingspolitik beibehalten. Sie sind, ebenso wie der ehemalige Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi, gegen das außerparlamentarische Bündnis. Ihn hat Wagenknecht nicht nur in der Fraktionsspitze, sondern mit einer ständigen Talkshowpräsenz längst abgelöst, wo sie nicht nur einen Gegenpart zur AfD abgibt. Wagenknechts Positionen zeigen nicht nur in der Flüchtlingsfrage Ähnlichkeiten zur AfD, sondern in ihrer Haltung zu Europa, zu Russland und den USA. Mit ihrer Eloquenz und messerscharfen Analysefähigkeit will sie eine Art „Sozialistin mit menschlichem Antlitz“ verkörpern, mit großer Distanz zur politischen Mitte. Dennoch kann sie interne Zweifel am Projekt nicht zerstreuen. Innerhalb der Linken weckt die Initiative Befürchtungen, die Fraktionsvorsitzende könnte die Partei spalten oder gar überflüssig machen.
Linkes Lager mobilisiert nicht alle linken Wähler
Nicht zu Unrecht: Wagenknecht startete das Projekt weitgehend an Partei und Fraktion vorbei. Die Basis kritisiert, nicht ausreichend in das Projekt einbezogen zu werden. Bislang sieht es so aus, als würde die Bewegung „Aufstehen“ zwar sammeln – mittlerweile über 150 000 Menschen haben sich nach eigenen Angaben bereits registriert –, aber gleichzeitig die Lagerbildung verstärken. Der linke Widerstand ist gewaltig, auch wenn einzelne Politiker von SPD und Grünen das Projekt unterstützen, etwa Simone Lange. Die Oberbürgermeisterin von Flensburg war bei der Wahl der neuen SPD-Vorsitzenden als Partei-Linke gegen Andrea Nahles angetreten.
Wie sieht die Perspektive aus? Das, was man mal linkes Lager nannte, vereinigt nach neuen Umfragen deutlich weniger als 40 Prozent auf sich. Ein Ausdruck einer strukturellen Verkarstung dieses politischen Milieus. Denn die Summe der Menschen, die Sympathie für linke Ideen hegen, dürfte deutlich höher sein. Dennoch überwiegt der Eindruck, dass die neue Bewegung Wagenknecht vor allem als innerparteiliches Druckmittel dient. Das Potenzial, eine linkspopulistische Gegenbewegung zur AfD zu sein, hat das Projekt jedenfalls nicht.