von sebastian sasse
Die Feministin und der Kardinal: Als Joachim Meisner gestorben war, merkten manche auf, als ausgerechnet Alice Schwarzer für den Kölner Erzbischof lobende und ehrende Worte fand. In ihrem Nachruf berichtete sie, dass sie sich mehrmals mit Meisner getroffen habe. Natürlich habe es für beide in vielen grundsätzlichen Positionen unüberbrückbare Gegensätze gegeben, doch in einem seien sie sich einig gewesen: In ihrem Kampf gegen die Pornografie. Schwarzer würdigte dabei auch Meisners Mut zur klaren Position und zum deutlichen Wort. Da gibt es tatsächlich Ähnlichkeiten. Die 75-Jährige gibt sich gerne politisch unkorrekt, vor allem dann wenn es gegen feministische Kampfgefährtinnen geht. Auch jetzt wieder.
In einer Reportage für die Online-Seite ihres Hausorgans „Emma“ schildert sie ihre Eindrücke in Chemnitz – aus der Perspektive von Frauen. Für den Geschmack einiger „taz“-Journalistinnen mit einer Prise zu viel Islam-Kritik und Verständnis für die Ängste „besorgter Bürgerinnen“. Hier zeigt sich etwas, was schon länger zu beobachten ist: der Feminismus teilt sich. Versteht er sich tatsächlich als eine Frauenrechtsbewegung, die also auch reale Frauenängste und -probleme ernst nimmt? Oder doch eher nur als ein ideologisches Anhängsel des Kulturmarxismus, der auf ganz andere Verhältnisse abzielt? Schwarzer scheint eher den Vertreterinnen der pragmatischen Richtung anzugehören.
Trotzdem: Auch wegen solcher sicherlich belebenden Impulse für die eher träge deutsche Debattenkultur wäre es falsch, Alice Schwarzer zur Nonkonformistin zu machen. Sie ist Mainstream. Genauso, leider, wie ihre Positionen zu Fragen des Lebensschutzes. Sie, die Initiatorin der Stern-Kampagne „Wir haben abgetrieben“, war so etwas wie die Chefkommunikatorin von denjenigen, die die Tötungen an Ungeborenen gesellschaftsfähig machen wollen. Ihre Auffassungen in dieser Frage sind heute nicht weniger skandalös als in den 70er Jahren. Der einzige Unterschied: Die Mehrheit der Bevölkerung sieht diesen Skandal nicht mehr. Und Alice Schwarzer ist mittlerweile zu einer Art Ikone der bundesrepublikanischen Pop-Kultur geworden. Sie steht für Feminismus so wie Franz Beckenbauer für Fußball oder Thomas Gottschalk für Fernseh-Unterhaltung. Heute ist sie Ehrengast in Quizsendungen oder mit dabei, wenn Friede Springer zum Geburtstagsempfang lädt, auch für die „Bild“ publiziert sie längst. Sie gehört zum Establishment. Braucht es so viel Mut, von dieser sicheren Position aus, einmal ein bisschen wider den Stachel des Zeitgeistes zu löcken? Vor allem dann, wenn man diese sichere Position dem gleichen Zeitgeist verdankt? Man wird sehen, wann sich Schwarzer wieder zu Wort meldet.