Exklusivinterview

Ahmad Mansour: „Ich lasse mich nicht als Nazi beschimpfen“

Wie die identitätspolitische Linke dem Islamismus Vorschub leistet und notwendige Debatten unterdrückt. Ein Interview mit Ahmad Mansour.
Ahmad Mansour:  "Jede Diskussion über den politischen Islam wird als antimuslimischer Rassismus abgetan.“
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Ahmad Mansour: "Jede Diskussion über den politischen Islam wird als antimuslimischer Rassismus abgetan.“

Herr Mansour, Sie gehen in Ihrem Buch mit der deutschen Linken hart ins Gericht. Deren Identitätspolitik sei ein Geschenk für den politischen Islam. Was meinen Sie damit?

Die ideologisierte Linke und deren Identitätspolitik hat mit ursprünglichen linken Ideen wie etwa Universalität, Individualität, Gerechtigkeit und Religionskritik nicht mehr viel zu tun. Ihren Vertretern geht es darum, ihre moralische Überlegenheit herauszustellen. Gleichzeitig sprechen sie Andersdenkenden die Legitimität ab, am Diskurs teilnehmen zu dürfen. Diese identitätspolitische Linke hat kein wirkliches menschliches Interesse an Flüchtlingen, Muslimen oder Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Sie nehmen sie nicht als Individuen wahr, sondern nur als Vertreter bestimmter Gruppen.  Sie erkennen nicht, dass diese Menschen heterogen sind. Sie können eine Bereicherung sein, aber auch eine Herausforderung. Für sie sind sie eher so etwas wie Kuscheltiere, die paternalistisch vor sich selbst und den Rechtsextremen geschützt werden sollen.

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Was sind die Grundgedanken dieses ideologischen Konzeptes?

Die strategische Kooperation mit dem politischen Islam, die übrigens nicht nur für Deutschland gilt, sondern auch in den USA, England oder Frankreich zu finden ist, beruht auf den gleichen Feindbildern. Die identitätspolitische Linke unterteilt in ihrer Ideologie genauso wie die Islamisten zwischen Ihr und Wir, zwischen Unterdrücker und Unterdrückten. Für sie gehören Muslime in Europa zu den Unterdrückten, die vom weißen Europa gezwungen werden, ihre Identität und ihren Glauben aufzugeben. Jede Diskussion über den politischen Islam wird dann als antimuslimischer Rassismus abgetan. Integration wird als kolonialistisches Instrument abgelehnt. Wenn heute noch von Integration gesprochen wird, dann meistens in Form einer Bringschuld, die von der Mehrheitsgesellschaft zu leisten sei. Nach dem Motto: Wenn die Mehrheitsgesellschaft diese Menschen bedingungslos akzeptiert, Vielfalt nur als Bereicherung begreift und ihnen Teilhabe ermöglicht, dann kommt die Integration von ganz allein. Versuche, Werte zu vermitteln oder die Menschen individuell zu fördern, werden als rassistisch diffamiert. Die ideologisierte Linke teilt die Welt ein nach Farben, Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und nach Minderheiten und Mehrheiten. Sie sieht nicht das Individuum, dessen Einstellungen und Taten. Stattdessen kategorisiert sie, homogenisiert, steckt in Schubladen, tut also genau das, was die Rassisten auf der anderen Seite auch tun. Eine echte individuelle Betrachtung, eine Suche nach Wahrheit, Neugier auf unterschiedliche Perspektiven – Fehlanzeige.

"Die ideologisierte Linke teilt die Welt ein nach Farben, Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und nach Minderheiten und Mehrheiten. Sie sieht nicht das Individuum"

Letztlich heißt das dann doch: Auch wenn die Linke nach außen hin das Gegenteil vorgibt, verhindert sie echte Integration.

Genau. Indem man fordert, es müsse safe spaces für Muslime geben, in denen sie vor kritischer Diskussion geschützt sind, entsteht genau der Freiraum, von dem auch der politische Islam profitiert.

Wird diese ideologische Stoßrichtung denn nicht durchschaut?

Es gibt kaum Widerstand. Nicht von der Bundeszentrale für Politische Bildung, nicht von der Politik und leider auch nicht von der Bundesregierung. Ein Beispiel: Der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus erarbeitet umfangreiche Maßnahmen und vergisst dabei, den Kampf gegen Islamismus sowie Rassismus innerhalb von Minderheiten zu erwähnen. Man folgt also genau der identitätspolitischen Logik. Rassismus muss als ein universelles Phänomen verstanden werden. Ihn gibt es nicht erst in der neuen Zeit und er ist auch keine Erfindung des Westens. Rassismus ist ein Nebenprodukt unserer Informationsaufarbeitungssysteme im Gehirn, unserer Art und Weise, das Umfeld wahrzunehmen. Rassismus ist so alt wie die Menschheit selbst, aber er ist heilbar: durch das Vorleben der Eltern, durch Erziehung, aber vor allem durch Begegnung. Rassismus findet man in Afrika, genauso wie in arabischen Ländern, der Mehrheitsgesellschaft, unter Armen, unter Reichen, unter Einheimischen, unter Ausländern. Doch man will die menschlichen Ursachen nicht sehen, sondern daraus politisches Kapital schlagen. Man nutzt Begriffe wie „struktureller Rassismus“, um diese einseitige Betrachtung zu rechtfertigen. Die ideologisierte Linke nimmt selektiv wahr. Sachverhalte, die zur Antirassismus-Ideologie passen, werden erkannt, andere ignoriert. Wie etwa die Sklavenhaltung in der muslimischen Geschichte oder Homophobie in Afrika, der Rassismus gegen Alawiten und Kurden von türkischen Nationalisten, patriarchalische Strukturen unter Flüchtlingen - alle diese Themen dürfen in diesem Weltbild nicht vorkommen.

"Rassismus muss als ein universelles Phänomen verstanden werden. Ihn gibt es nicht erst in der neuen Zeit und er ist auch keine Erfindung des Westens"

Haben die Krawalle in der Silvesternacht zu einer Art Realitätsschock geführt? Wie ist Ihr Eindruck?

Die Wirkung war offenbar teilweise so. Dabei hätte man die Realität schon längst kennen können. Denken wir etwa nur an die Krawalle in Stuttgart oder die Debatte über Ausschreitungen in Freibädern. Es hat sich aber an den Reaktionen auch gezeigt, wie stark die Identitätspolitik und die Fraktion derer schon ist, die eine Debatte ablehnen. Ich habe sehr lange geglaubt, dass sich Muslime hier in Europa verändern und so auch Einfluss auf die Menschen im Nahen Osten nehmen. Mittlerweile glaube ich, dass die Entwicklung umgekehrt ist. Im Nahen Osten sind manche Muslime weiter als hier.

Was muss sich ändern?

Wir müssen endlich eine ehrliche Debatte führen. Und die muss lösungsorientiert sein. Wir brauchen mehr Demokratieerziehung. Die Bereitschaft, sich mit dem Thema Islamismus auseinanderzusetzen, wird abnehmen. Zu groß ist die Gefahr eines Shitstorms. Das wird dazu führen, dass das Thema nur noch an den politischen Rändern behandelt wird. Auf Dauer hält eine Demokratie solche Zustände nicht aus. Die Spaltung und die Destabilisierung werden zum Teufelskreis, in dem die Mitte immer mehr eingeschüchtert ist und die Radikalen immer stärker werden. Solange der Westen unsicher mit seiner Identität umgeht, solange er lieber verdrängt statt handelt und Entscheidungen vertagt, werden Islamisten ihre Freiräume erkämpfen. Wir müssen eine breitere Diskussion über Werte und Grundrechte führen, sie in aller Klarheit formulieren. Wir müssen verstehen, dass es nicht darum geht, absolute Harmonie herzustellen. Streit gehört dazu. Auch ich kann mit Kritik gut umgehen, wenn Argument gegen Argument ausgetauscht wird. Das stört mich nicht. Aber mich stört, wenn Menschen mich vom Sofa aus einfach als Nazi beschimpfen.

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Sebastian Sasse Islamismus Islamisten Muslime Nationalsozialisten Rassismus

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