Berlin

„Abtreibung ist kein Verbrechen“

Warum die Kirche das anders sieht und was vom Einsatz katholischer Frauenverbandsfunktionärinnen für Abtreibungen zu halten ist.
Katholischer Deutscher Frauenbund
Foto: Imago Images | Katholischer Deutscher Frauenbund – der Name bürgt eigentlich für eine klare Marke. Aber wo katholisch darufsteht, ist offenbar nicht immer katholisch drin.

Eigenen Angaben zufolge hat der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) rund 180 000 Mitglieder. Zwei von ihnen haben sich mittlerweile öffentlich eindeutig positioniert. Die eine, Jahrgang 1963, unterstützt mit ihrem Gesicht, ihrem Namen und ihrer Funktion als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Organisation, die sich „She decides“ nennt und überall auf der Welt den uneingeschränkten Zugang von Frauen zu sicheren Abtreibungen fordert. Dabei nutzt „She Decides“ (dt.: „Sie entscheidet“), wie Recherchen dieser Zeitung ergaben, die Infrastruktur der International Planned Parenthood Federation (IPPF), in vielen Ländern der größte Anbieter vorgeburtlicher Kindstötungen. Die andere, Jahrgang 1938 und langjährige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, fordert „Verständnis für die Frauen, die in Polen gegen Abtreibungsverbote protestieren“ und – in Deutschland – die „Scheinvergabe nach § 7 SchKG durch katholische Schwangerenberatungsstellen“. SchKG steht für „Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“.

Zwei von 180 000. Wo ist das Problem? Nun, die eine, Maria Flachsbarth, ist Präsidentin des KDFB, die andere, Barbara John, repräsentiert den Katholischen Frauenverband in der Diözese Berlin. Beide gehören der CDU an. Die eine hat angekündigt, in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr für den Deutschen Bundestag zu kandieren. Die andere ist längst verrentet. Wer das nicht für unschicklich hält, könnte also von privilegierten, weißen, alten Frauen sprechen.

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Kein Einspruch von anderen KDFB-Verbänden

Genauso bemerkenswert wie die öffentliche Positionierung der beiden hohen KDFB-Chargen aber ist, dass sich bis heute keine andere von ihnen distanziert hat. Weder Flachsbarths Engagement für „She Decides“ noch Johns Forderung nach dem Wiedereinstieg der katholischen Kirche in die Scheinberatung hat unter den 180 000 KDFB-Mitgliedern für wahrnehmbare Empörung gesorgt. Kein Protest, keine Verwunderung, nicht einmal Bedauern.

Mehr noch: John konnte gar unwidersprochen die Lehrmeinung des II. Vatikanischen Konzils über den Haufen werfen. Das hält in seiner Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, „Gaudium et spes“, fest: „Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuenswürdige Verbrechen“ (GS 51,3). Dass John, offenbar nach Beratung mit sich selbst, stattdessen dekretieren konnte: „Abtreibung ist kein Verbrechen“, ist zumindest gewöhnungsbedürftig. Nicht nur, weil sich selbst Päpste durch Feststellungen des Konzils gebunden sehen. Sondern auch für den, der meint, die Maßstäbe politischer Sensibilität, die katholische Verbände in Deutschland für gewöhnlich an den Tag zu legen pflegen, müssten, um ernst genommen werden zu können, für alle gelten.

Ist es nicht absurd, wenn sich katholische Diözesanräte berechtigt fühlen, tausenden Teilnehmern einer öffentlichen Demonstration wie dem jährlichen „Marsch für das Leben“ eine „rechtsextreme“ Gesinnung zu unterstellen, sobald unter ihnen – in der Person der Protestantin Beatrix von Storch – eine einzelne AfD-Politikerin gesichtet wird, aber beredt schweigen, wenn zwei KDFB-Spitzenfunktionärinnen ein Engagement an den Tag legen, das der Lehre der Kirche diametral widerspricht?

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Die Kirche weltlicher gestalten

Müssten sie nicht wenigstens Sorge haben, für Flachsbarths und Johns Einlassungen von ihresgleichen in Sippenhaft genommen zu werden?
Müssen sie nicht. Sie können im Grunde darauf setzen, dass in katholischen Verbänden heute weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass es gar nicht darum geht, die Welt christlicher zu gestalten, sondern stattdessen darum, die Kirche weltlicher zu gestalten. Statt in und für die Welt „Salz der Erde“ und „Sauerteig“ sein zu wollen, gefällt sich der aus Kirchensteuern alimentierte deutsche Gremienkatholizismus heute in der Rolle des Reformators.

Das ist nicht einmal sonderlich schwer zu verstehen. Denn in zwei Institutionen zu leben und sich innerhalb ihrer Ordnungen erfolgreich zu entfalten, die wie Staat und Kirche der Herkunft und dem Wesen nach verschiedenen sind, die unterschiedliche Ziele verfolgen und andersgeartete Funktionen erfüllen, ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe.

Zufriedenstellend meistern kann sie nur, wer beide Sphären einerseits trennscharf auseinanderhalten kann und zugleich die Erfüllung ihrer jeweils berechtigten Forderungen in seiner eigenen Person zu integrieren vermag. Da beides nicht Bestandteil der Taufgnade ist, ist dies ohne Bildung – intellektueller, wie der des Herzens – nahezu unmöglich. Wo sie fehlt, ist die Gefahr groß, entweder die Kirche zu verweltlichen oder aber den Staat zu vergöttlichen. Schon Christus selbst musste während seiner Erdenjahre seine Zeitgenossen ermahnen, beide Sphären auseinanderzuhalten. „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört.“ (MK 12, 17).

Christen haben keine Hände dafür

Maria Flachsbarth im Bundestag
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Maria Flachsbarth (CDU), Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin, ist Bundesvorsitzende des KDFB.

Nach Lehre der Kirche ist allein Gott Herr über Leben und Tod. Daraus folgt: Den Tod eines Menschen in Auftrag zu geben, einen solchen Antrag anzunehmen oder gar auszuführen, ist nicht in das Belieben von Menschen gestellt.

Es gibt Dinge, für die, so formulierte es einmal Robert Spaemann, Christen „keine Hände“ hätten. Die Tötung eines wehrlosen und unschuldigen Menschen gehört dazu. Mehr noch, weil der Christ nach Lehre der Kirche auch nicht Eigentümer, sondern bloß Sachwalter seines eigenen, ihm von Gott geschenkten Lebens ist, ist ihm auch die Selbsttötung nicht erlaubt.

Ausländerbeauftragte Barbara John
Foto: dpa (dpa) | Barbara John (CDU) ist Berliner Diözesanvorsitzende des KDFB.

Das Festhalten am Verbot der Selbst- und Fremdtötung, die mittlerweile auch die Ablehnung der Todesstrafe einschließt, berechtigt Christen jedoch nicht, Menschen zu verdammen, die – zumal in schweren Konfliktsituationen – dieser Forderung nicht nachkommen. Das gilt für Menschen, die von Suizidgedanken gequält werden, genauso wie für Frauen, die eine vorgeburtliche Kindstötung in Erwägung ziehen. Aufgabe von Christen ist es, ihnen barmherzig zu begegnen und, wo immer möglich, tatkräftige Hilfe anzubieten. Dass sich auch dann nicht jeder Konflikt erfolgreich auflösen lassen wird, gilt es auszuhalten.
Wer das nicht kann, muss deshalb kein schlechter Mensch sein. Als Führungspersonal, das anderen vormacht, wie man in Kirche, Staat und Gesellschaft seinen Mann oder seine Frau steht, ist er oder sie jedoch eher ungeeignet.

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Stefan Rehder Katholizismus

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