Es ist eine Demonstration der anderen Art. 40 Tage und Nächte wird das unauffällige, weiße Zelt mit den blauen Schriftzügen gegenüber der Wiener Abtreibungsklinik „Pro Woman“ Kälte, Sonne und Regen trotzen. 40 Tage und Nächte, das sind 960 Stunden, wird es den Betern, die vom 22. September bis zum 31. Oktober rund um die Uhr für ein Ende der Abtreibung in Wien beten, Schutz bieten. Nähert man sich dem Zelt, dringt unauffällige Lobpreismusik an das Ohr. Gerade ist ein Grüppchen junger, charismatischer Katholiken da, die mit Gitarre und Geige in Form von gesungenem Gebet für das Leben der ungeborenen Kinder eintreten.
In Wien ignoriert man Lebensschützer eher
Geschützt vor den Blicken der Passanten, aber dennoch nicht versteckt, steht im Inneren des Zelts auf den Pflastersteinen eine Muttergottes-Statue. Neben ihr brennen Kerzen, vor ihr steht eine Vase mit frischen Rosen. Vor dieser Art Altar liegt ein von den Schuhen der knienden Beter schon etwas verschmutzter Teppich.
Die Veranstaltung „40 Tage für das Leben“ feiert Premiere in Österreich. Organisiert wird sie von der katholischen Prolife-Organisation „Jugend für das Leben“. Neu ist das Konzept nicht. Es wurde 2004 in dem US-Bundesstaat Texas ins Leben gerufen.
Vier junge Leute entschieden sich, in der Stadt Bryan nach dem Vorbild Jesu in der Wüste, 40 Tage und Nächte vor einer Abtreibungsklinik des größten Anbieters der vorgeburtlichen Kindestötung, Planned Parenthood, zu fasten und zu beten. Ihr Ziel: Durch das Gebet sollen Menschenleben vor Abtreibung bewahrt und die Schließung der Abtreibungsklinik bewirkt werden. Das Gebet blieb anscheinend nicht unerhört. 2013 schloss die Klinik für immer ihre Pforten. Es ist ein Witz der Geschichte, dass just in diesem Gebäude heute das Hauptquartier der mittlerweile weltweit operierenden Gebetsorganisation ist. Weltweit wurden mithilfe des Gebets und Fastens von „40 Tage für das Leben“ über 100 Abtreibungskliniken geschlossen.
Kusshand für die Beter
In knallgrünen Sneakers und mit Rosenkranz in der Hand steht Gabriele Huber vor dem Gebetszelt. Die 25-jährige Generalsekretärin von „Jugend für das Leben“ wohnt eigentlich in Oberösterreich, ist aber für die 40 Tage extra nach Wien gekommen. Jeden Tag übernimmt sie eine Stunde Gebet in dem Prolife-Zelt. Gelegentlich springt die Studentin, die an einer Fachhochschule Businessdevelopement und Sales studiert, für Beter ein, die entweder zu spät kommen oder kurzfristig abspringen. Gabriele erzählt, dass die Geschäftsführerin der Abtreibungsklinik „Pro Woman“ einmal an den Betern vorbei spazierte. Sie warf ihnen eine Kusshand zu.



Die Situation sei symbolisch für den österreichischen Umgang mit Abtreibungsgegnern: Man ignoriere sie. „Man möchte Abtreibungsgegnern keine Aufmerksamkeit geben. Das ist die Taktik in Wien“, erklärt Gabriele. Diese Beobachtung erklärt womöglich, warum sich Elke Graf, die Geschäftsführerin von „Pro Woman“, dieser Zeitung gegenüber zu der Gebetsaktion nicht äußern möchte. Lediglich ein linksliberales Onlinemedium berichtete bisher über die 40-tägige Gebetsdemonstration. Gabriele berichtet von weiteren Begebenheiten: Einmal kamen zwei 18-jährige Abtreibungsbefürworter an dem Zelt vorbei. Sie suchten, laut Gabriele, eine ehrliche Diskussion. Gefährlich wurde es bisher nur ein einziges Mal: In einer Nacht drohte ein Passant, das Zelt der Lebensschützer anzuzünden. Als er merkte, dass sich dort ein Beter aufhielt, ließ er von seinem Vorhaben ab. Ganz anders sind die Reaktionen auf die Aktion „40 Tage für das Leben“ in Frankfurt und München. Dort findet die Gebetsaktion seit 2016 statt.
In diesen Städten werden die Lebensschützer von Abtreibungsgegnern wüst beschimpft und erleben Gegendemonstrationen. Tomislav Cunović, der „40 Tage für das Leben“ international und in Frankfurt organisiert, kann von den schweren Bedingungen ein Lied singen. Gegenüber dieser Zeitung erzählt der Rechtsanwalt, dass in Deutschland einige Städte sogenannte „Schutzzonen“ vor Abtreibungskliniken einführen wollen. In Frankfurt ist dieses Gesetz bereits verfügt worden. Es hat zur Folge, dass eine Aktion wie „40 Tage für das Leben“ vor einer Abtreibungsklinik nicht mehr stattfinden darf. Tomislav Cunović führt ein gerichtliches Verfahren gegen dieses Gesetz für eine Gruppe Lebensschützer. Der Rechtsanwalt meint, dass es verfassungswidrig ist, da es die Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzt.
Auch Priester dabei
An der Aktion in Wien beteiligen sich auch Priester. Manche tragen sich in die Gebetsliste ein und kommen an den Ort des Geschehens beten. Darüber hinaus gibt es eine extra Liste für sie, damit an jedem der 40 Tage eine Messe in dem Anliegen von „40 Tage für das Leben“ gefeiert wird.
Warum nimmt Gabriele diese Anstrengungen, die ihr gesellschaftlich keine Anerkennung bringen, auf sich? „Wenn wir nur ein Herz bewegen, ein Leben retten, dann haben sich alle Stunden an Gebet ausgezahlt“, sagt sie mit Überzeugung. „Es gibt Momente, wo man das Kreuz des Herrn besser versteht. Man wird ausgelacht oder Leute schauen einen komisch an. Aber man steht für die gute Sache ein. Das ist eine besondere Gnade.“ Mittlerweile ist die Lobpreismusik verstummt. Die Musiker packen ihre Instrumente ein und gehen nach Hause. Doch das stille Gebet im Zelt von „40 Tage für das Leben“ wird weiter gehen.
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