Gerade hat die Immobilienwirtschaft ihr Frühjahrsgutachten vorgelegt – und auch in diesem Jahr geben die 250 Seiten einen guten Überblick über die gesamte Wohnungssituation hierzulande und die hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
So viel ist klar: Gerade für junge Familien in Großstädten wird es zukünftig immer enger bei der Wohnungssuche, wenn nicht schnell von politischer Seite aus gehandelt wird. Denn die Situation ist schon heute für nicht wenige äußerst herausfordernd: So müssen Familien beispielsweise in Hamburg, Berlin oder München monatlich über 40 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für die Miete aufbringen. Das betrifft bei weitem nicht nur Familien, bei denen die Eltern im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Auch Familien mit einem mittleren Einkommen geraten bei der Wohnungssuche immer mehr unter Druck. Und die Ursachen hierfür sind durchaus bekannt.
An den Bedürfnissen der Familien vorbeigebaut
Laut den Gutachtern des Branchenverbandes Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) liegen diese vor allem darin begründet, dass die Anzahl von größeren Haushalten in den Städten immer mehr zunimmt: Die Anzahl der größeren Haushalte sei laut den Gutachtern im vergangenen Jahr um 18 Prozent gestiegen, während die Anzahl kleinerer Haushalte lediglich um rund vier Prozent anstieg. Dadurch steige die Nachfrage nach entsprechendem Wohnraum, so die ZIA-Gutachter.
Dieser Trend sei aber von den Verantwortlichen in den sogenannten A-Städten nicht rechtzeitig erkannt worden. „Es wurde in den letzten Jahren zunehmend an den Bedürfnissen der Familien vorbeigebaut“, heißt es im Gutachten. So habe sich im Bereich des Neubaus seit Anfang der 2000er Jahre der Anteil von vier und mehr Räumen deutlich halbiert. Der Anteil solcher Wohnungen auf dem Markt mache nur noch 20 – 30 Prozent aus. Noch deutlicher sei der Rückgang im Bereich von Wohnraum mit mehr als fünf Räumen.
Sieben Städte in A-Lage
In Deutschland gibt es sieben Städte in A-Lage. Diese Städte sind Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt/Main, Stuttgart und Düsseldorf. Größere Wohnungen sind in diesen Städten aufgrund der Knappheit so begehrt, dass die Mieten in diesem Segment enorm gestiegen sind. Für einkommensschwache Familien ist ein Wohnen in den Großstädten daher inzwischen eine große Herausforderung. Nach Angaben des Immobiliengutachtens wohnen mehr als 40 Prozent der einkommensschwachen Familien auf weniger als 80 Quadratmetern. Fast jeder fünfte Haushalt hat weniger als 65 Quadratmeter. Dass solche Zustände sozial- und wohnungspolitisch unerträglich sind, steht außer Frage. Die öffentliche Empörung hält sich allerdings in Grenzen. Gerade in Zeiten von Homeoffice und Homeschooling kann man sich vorstellen, vor welch große Herausforderungen solche Zustände die Familien stellen.
Erlebten wir im 19. Jahrhundert durch die Industrialisierung eine Landflucht in die Städte, hat sich dieser Trend inzwischen umgekehrt. Familien wandern immer mehr aus den Städten in das Umland ab. Kamen früher junge Menschen in die Großstädte, um dort zu studieren, eine Lehre zu machen, eine Familie zu gründen und in der Stadt sesshaft zu werden, ist eine Familiengründung heute der Hauptgrund, die Stadt zu verlassen.
Politik bleibt untätig
Ein wirksames Mittel gegen diese Entwicklungen ist von politischer Seite aus noch nicht gefunden. Experten gehen sogar noch einen Schritt weiter und kritisieren, dass die Politik noch nicht einmal dort handelt, wo sie Einflussmöglichkeiten hätte. So würde auch der Bau von Sozialwohnungen nicht am Bedarf der Familien orientiert. Die Gutachter benennen hier Nordrhein-Westfalen als Beispiel: Nur 17 Prozent der geförderten Wohnungen hätten vier oder mehr Zimmer und wären daher für diesen Personenkreis geeignet.
Genau das ist das politische Dilemma: Während die Mieten nur den Weg nach oben kennen, gefiel sich die Politik in den letzten Jahren in ideologischen Debatten. Symbol ist hier die Mietpreisbremse: Diese konnte einen Anstieg der Mieten nicht verhindern und schaffte keine einzige Wohnung mehr. Klar ist: Es braucht mehr als ein Denken in Legislaturperioden. Denn Bauen bracht Zeit – Zeit, die immer knapper wird.
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