Die Geschichte der päpstlichen Sozialenzykliken ist eng mit der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft verknüpft. Auffallend ist dabei, dass der Heilige Stuhl sich einerseits mit der Wahrnehmung bestimmter, oft gesellschaftspolitischer Entwicklungen schwertut, an anderer Stelle aber Schwerpunkte setzt, die oft erst Jahre später zu einer Fortschreibung der Sozialen Marktwirtschaft führen. In diese Reihe der Kirchenoberhäupter gehört Papst Johannes XXIII., der mit seinen Enzykliken „Mater et magistra“ und „Pacem in terris“ wesentliche Meilensteine gesetzt hat, auch wenn seine Bedeutung heute in erster Linie durch die Konzilseröffnung gewürdigt wird.
Als Angelo Roncalli 1958 zum neuen Papst gewählt wird und den Namen Johannes XXIII. annimmt; sehen viele in dem 77-Jährigen nur eine Übergangslösung. Aber schon wenige Wochen nach Amtsantritt kündigt Johannes die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils an. 1961 legt er die Sozialenzyklika „Mater et magistra“ vor. Auch wenn Johannes etwa mit Blick auf das Privateigentum weitgehend die Linien seiner Vorgänger nachzieht, setzt er in zweifacher Hinsicht ganz neue Akzente. Die Enzyklika räumt erstmals der Situation außerhalb Europas breiten Stellenwert ein, und Johannes unterstreicht ausdrücklich die gegenseitige Verantwortung der Völker füreinander. Gleichzeitig mahnt er, Hilfen nicht mit eigenen Herrschaftsansprüchen oder politischem Einfluss zu verknüpfen: „Wer dies anstrebt, richtet letztlich eine neue Form von Kolonialherrschaft auf. Sie stellt unter einem heuchlerischen Deckmantel die frühere, überholte Abhängigkeit wieder her. Das bedroht den Weltfrieden.“ Es ist vermutlich den eigenen Erlebnissen in der Kindheit zuzuschreiben, wenn der Papst der bäuerlichen Landwirtschaft und dem Familienbetrieb dort einen eigenen Abschnitt widmet. Ausführlich setzt sich Johannes XXIII. generell mit der Unternehmensverfassung auseinander.
Er würdigt genossenschaftliche Betriebsformen und unterstreicht die Notwendigkeit, dass den Arbeitern auf allen Ebenen Mitwirkungsmöglichkeiten offenstehen müssen. Dies gelte nicht nur im Betrieb selbst, sondern auf allen gesellschaftlichen Ebenen. In diesem Zusammenhang nennt Johannes ausdrücklich die Internationale Arbeits-Organisation (ILO).
Unter dem Eindruck des Mauerbaus und der Kubakrise entsteht die letzte Enzyklika „Pacem in terris“. Die Friedensenzyklika, die sich nicht nur an den katholischen Teil des Erdkreises, sondern an alle Menschen guten Willens wendet, greift an vielen Stellen Punkte aus der Sozialenzyklika zwei Jahre zuvor auf. Das Gemeinwohl begreift der Papst nun in einem globalen Zusammenhang, spricht von einem „universalen Gemeinwohl“, für dessen Einhaltung und Herstellung auch eine universale öffentliche Gewalt unabdingbar sei. Ein hierzu notwendiges Organ müsse im Konsens und nicht durch Zwang zustandekommen. Der Papst würdigt in diesem Zusammenhang die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit seien die vier Säulen des Friedens.
Seiner Zeit voraus
Betrachtet man beide Enzykliken, so sticht ins Auge, dass Johannes in seinem Problemaufriss zu sozialen und Entwicklungsfragen wie etwa den Zugang zu natürlichen Ressourcen viele Themen vorwegnimmt, die Jahrzehnte später unter dem Eindruck der Globalisierung die weltpolitische Agenda prägen. Papst Paul VI. wird nicht nur das vom Vorgänger initiierte Zweite Vatikanum erfolgreich zu Ende führen; er entwickelt in „Populorum progessio“ auch seine friedens-, sozial- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen weiter. Die soziale Frage sei längst eine weltweite geworden, Entwicklung sei der neue Name für Frieden. Die Wirtschaft habe, so wird Paul VI. mahnen, ausschließlich dem Menschen zu dienen.
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