Von der aktuell wichtigsten Veranstaltung zur Künstlichen Intelligenz erfährt man hierzulande so gut wie nichts. Außer man liest Tagespost online. Die laufende „Dreamforce“-Convention der Salesforce-Company lockt über 150.000 Besucher und Teilnehmer nach San Francisco. Verkündet wird eine bahnbrechende Zukunftspartnerschaft mit OpenAI, dem allmächtigen Riesen der angewandten künstlichen Intelligenz. Aus Deutschland eingeflogen: Spezialisten von Mercedes-Benz, Telekom, Siemens, um nur drei Dickschiffe aus dem Dax zu nennen. Auch die kränkelnde Bahn nutzt Salesforce genauso wie zahllose Mittelständler – weil es gar nicht mehr anders geht.
Die Integration aller Kundendaten und ihre vernetzte Nutzung in jedem gewünschten Umfang mit künstlicher Intelligenz – das gibt es so nur bei Salesforce. Alles funktioniert komplett online in der Salesforce-Cloud. „Wir haben die Software abgeschafft“, formulierte Firmengründer Marc Benioff (61) schon vor einem Vierteljahrhundert, er ist Aufsichtsratschef und CEO in einer Person. Für Aufsehen in der Medienwelt sorgte der Cloudkönig vor sieben Jahren, als er das TIME-Magazin kaufte, bis heute ein chronisch klammer Verlustbringer. In der neuesten Ausgabe brachte TIME zum vorläufigen Gaza-Frieden ein Donald-Trump-Porträt aufs Cover. Der von schräg unten ungünstig fotografierte Präsident beschwerte sich auf allen Kanälen über das furchtbare Foto – ganz ohne seine schönen Haare. Vorher aber war TIME-Besitzer Benioff, cleverer Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie und Ökonom mit Universitätsabschluss, Trump in einer taktischen Volte beigesprungen. Es sei genau richtig, dass im heruntergekommenen San Francisco die Nationalgarde zum Einsatz käme. Die Interessenslage war klar: Benioff kam der militärische Schutz aus Washington für seinen Mega-Event gerade recht. Außerdem schadet etwas Schmeichelei bei Trump nie. Militär und Wirtschaft, Politik und Medien: Wie dieses aktuelle Beispiel des 350-Milliarden-Unternehmens Salesforce zeigt, verklumpen die Strukturen der amerikanischen Gesellschaft gerade wie graue Knetgummiballen im Kindergarten.
Für Start-Ups hat der Staat nur Peanuts
Anders die Lage in Deutschland: Dort hat machtstrukturell alles irgendwie seine Ordnung, noch. Aber gerade das scheint derzeit auch ein Problem zu sein. Denn fein säuberlich getrennt sind die Dinge ebenfalls, wenn es um die wirtschaftliche Zukunft des Landes beim unternehmerischen Nachwuchs geht. Wie die Kesselflickerinnen stritten sich bis weit über den festgelegten Zeitraum hinaus die äußerst machtbewussten Ministerinnen Dorothee Bär (CSU) und Katharina Reiche (CDU). Wer nimmt das Start-up-Gründerprogramm EXIST der Bundesregierung unter seine Fittiche, „Forschung und Technologie“ oder „Wirtschaft“? Am Ende blieb EXIST bei Wirtschaft, also Katharina Reiche. Die Vorsitzende von „Junger Bund Katholischer Unternehmer“, Lioba Müller, gibt dazu grünes Licht: „Es geht es um die Übersetzung einer Idee von der Uni in die Wirtschaft, wo Wettbewerb herrscht. Insofern ist es gut und sinnvoll, dass das Thema bei Wirtschaft, also Frau Reiche, liegt.“
Die Volljuristin, derzeit im wissenschaftlichen Dienst tätig, lobt das Programm als zielführend und attraktiv. Tatsächlich überrascht aber, um wie wenig es eigentlich geht, wenn man mal vom Prestige absieht: Nur 25 Millionen Euro werden alljährlich von der Bundesregierung über die Universitäten an vielversprechende Start-ups ausgeschüttet. Wo es mittlerweile immer um Milliarden zu gehen scheint, glaubt man bei dieser Summe zunächst an einen Schreibfehler. Lioba Müller hat dazu eine Idee für alle Ministerien, die gar nichts kostet außer etwas Mut: „Ein guter Unternehmer will mittel- und langfristig nicht an Subventionen hängen. Sollte der Staat nicht mutig einen neuen Königsweg beschreiten, nämlich durch die Vergabe von kleinen, schnellen Pilotaufträgen an Start-ups?“ Derzeit vergeht viel zu viel Zeit allein für die Anträge, sechs Monate sind heute eine Ewigkeit, wenn es um technologiegetriebene Vorhaben geht. Außerdem darf das Start-up bei Antragstellung noch keine geschäftlichen Aktivitäten entwickelt haben, ein ärgerliches Hindernis.
Man muss zur Salesforce-Geschichte vom Anfang zurückkehren, um das eigentliche Problem in Deutschland zu erkennen. Als Salesforce 1999 in San Francisco durch den oben zitierten Marc Benioff und seine drei Partner gegründet wurde, gab es vom Staat keinen Pfennig. Die Anfangsinvestitionen wurden wie in Amerika üblich rein privatwirtschaftlich durch Risikokapital (Venture Capital) bestritten. Frühe Investoren waren unter anderem der Oracle-Gründer Larry Ellison und einige private Geldgeber. Solange Wagniskapital in Deutschland, auch wegen der vielen konservativen Familienunternehmen, nicht privat aufgebracht wird und den jungen Unternehmensgründern bereitsteht, hängt die Gründerzukunft weiter am staatlichen Fördertropf, im schlimmsten Fall auch noch an zwei streitlustigen Ministerinnen von CDU und CSU.
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