Es braucht eine zündende Produktidee, ein paar wild entschlossene, zumeist jüngere Leute, dazu den „amerikanischen“ Traum von Studenten oder sogar Schülern, die den Mut haben, eine Tellerwäscherkarriere in einer Garage oder im Kinderzimmer bei den Eltern zu starten, um ein Bill Gates oder Steve Jobs zu werden. So war es auch bei Lars Windhorst Anfang der 1990er Jahre, als er mit 16 Jahren die Windhorst Electronics GmbH und die Windhorst AG in Rhaden/Westfalen gründete und als Jungunternehmer die gesamte deutschen Wirtschaftselite ent- und dann begeisterte. Er schmiss die Schule, gründete eine Firma nach der anderen, machte im ersten Geschäftsjahr mit 80 Mitarbeitern 50 Millionen Dollar Umsatz und expandierte bis nach Asien. In der chinesischen Botschaft in Bonn saß er, bewundert und protegiert von Kanzler Helmut Kohl und dessen Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, neben dem damaligen „Gott Vater“ der deutschen Wirtschaft, Berthold Beitz, auf dem Podium und dozierte über die Chancen des Jungunternehmertums.
Windhorst sprach Chinesisch
Als er die anwesenden Topmanager darum bat, bitte ein paar Worte des Dankes auf Chinesisch an die Gastgeber richten zu können und dann geschlagene 5 Minuten in fließendem Chinesisch weitersprach, waren die Bosse endgültig euphorisiert und blamiert zugleich. Zum Spatenstich für das Headquarter im heimischen Rhaden ließ sich der noch nicht Volljährige mit einem Hubschrauber auf dem Acker vor dem Festzelt absetzen und lud die staunende Prominenz aus Politik und Wirtschaft zu Rundflügen und dem Erproben der eigenen Fähigkeiten als Amateur-Baggerfahrer ein. Elon Musk hätte diese Show nicht imposanter aufziehen können. Im März 2000 platzte die Dotcom-Blase und 2003 meldete Windhorst Insolvenz an. Doch ein echter Unternehmer lernt aus Fehlern und gibt nicht auf; Windhorst erwies sich als zäher denn ein Stehaufmännchen. Nach vielen weiteren Turbulenzen residiert er heute in London und besitzt unter Anderem erhebliche Anteile am Fußballclub Hertha BSC. Schon als 8-Jähriger wollte er Unternehmer werden; mit 15 Jahren schrieb er eine Software und funktionierte die elterliche Garage gemeinsam mit Freunden in eine PC-Werkstatt um.
Prototyp des Startup-Unternehmers
Windhorst ist der Prototyp dessen, was man seit ein paar Jahren auch hierzulande einen Startup-Unternehmer nennt. Online-basierte Unternehmen wie facebook, google, Twitter, ebay, PayPal oder Uber aus dem Silicon Valley kennt fast jeder, auch der Versandhändler Amazon oder Tesla und SpaceX und ihre Gründer sind weithin bekannt und legendär. Unternehmen wie Hewlett-Packard im Jahre 1939 oder Apple 1976 sind als frühe Start-ups in kalifornischen Garagen entstanden. Erfindergeist und Tüftlergeschick, Mut, Durchsetzungsvermögen und Durchhaltekraft, Selbstbewusstsein, Risikobereitschaft und ein stählerner Wille sind die Ingredienzien zum unternehmerischen Erfolg. Doch was ein Kanzler Kohl, angetan von dem verblüffenden Jungspund, aus dem Handgelenk zu dessen Erfolg beitrug, als er ihn in der Kanzlermaschine zum Staatsbesuch nach China mitnahm und so dem Minderjährigen die Türen zur globalen Wirtschaftswelt öffnete, das fehlt heutzutage den meisten Startup-Unternehmern.
Statt Protegierung werden sie hierzulande mit der üblichen Bürokratie überfrachtet, die nicht nur die Freude und den Spaß am kreativen und risikobehafteten Dasein vermiest, sondern wie klebriger Ballast Zeit und Nerven kostet. Rund 40 Prozent aller Hochschulabsolventen wünschen sich lieber einen geruhsamen Berufsweg in einem Beamtenapparat als die Strapazen der Selbständigkeit auf sich zu nehmen. So ist es überhaupt ein Wunder, wie viele vor allem Technikbegeisterte und -versierte sich immer wieder aufraffen, auf eigenes Risiko Firmen zu gründen.
Schlechte Rahmenbedingungen
Doch die Rahmenbedingungen für ein nachhaltig erfolgreiches Überleben am Markt sind in Deutschland denkbar schlecht. Zwar gibt es Investoren, die von einem Projekt und einer Vision überzeugt und bereit sind, einen Teil ihres Vermögens spekulativ und mit extremem Risiko zu investieren und zum Teil auch einen langen Atem und viel Geduld mitbringen. Doch die Vergabe öffentlicher Aufträge ist insbesondere in der Digital-Wirtschaft für die Forschung und Entwicklung innovativer Produkte von existenzieller Bedeutung. Gerade hier aber verkämpfen sich viele Startup-Gründer im bürokratischen Vergabedickicht mit seinen tausend Formularen und bürokratischen Verfahren. Während Großkonzerne ganze Abteilungen für Antragstellungen vorhalten, müssen sich Startup-Gründer statt technologisch weiter zu tüfteln die Nächte mit dem Studium von Antragsformularen um die Ohren hauen.
Die noch im Amt befindliche geschäftsführende Bundesregierung aber hat viel zu wenig getan, um den Start-ups den Weg frei zu machen. Vom Bundeskanzleramt mit der Staatsministerin Dorothee Bär bis zu Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier kümmern sich zwar Spitzenrepräsentanten der Politik mit ihren Beamtenheeren um den digitalen Wandel, doch spielten die Themen Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz im Bundestagswahlkampf nahezu keine Rolle. Aber nicht nur bei der Förderung von Technologie hapert es; auch der Netzausbau liegt immer noch darnieder. Deutschland belegt im Bereich öffentlicher Investitionen in Start-ups im digitalen Sektor nur den 10. Platz unter den 27 EU-Mitgliedsländern. Nordische Länder wie Dänemark, aber auch Belgien, die Niederlande, Österreich und sogar Griechenland machen vor, wie Technologieförderung via entschlackte Vergabeverfahren effizient funktioniert.
Mutige Politik gefordert
Deshalb werden vom „Bundesverband Deutsche Startups“ und auch immer mehr Politikern ein „Aktionsplan für eine innovationsfördernde Auftragsvergabe“ sowie „eine mutige Startup-Politik aus einer Hand“ gefordert. Der Verband sieht die Startup-Unternehmen als „die treibende Wirtschaftskraft unserer Zukunft“ an. Das ökonomische Potenzial der Start-ups soll enorm sein; Millionen neuer Arbeitsplätze wie in bereits etablierten Unternehmen wie Zalando, Delivery Hero, Hellofresh könnten entstehen. Der Gründungsmythos, flache Hierarchien und große Flexibilität tragen entscheidend dazu bei, dass die jungen Unternehmen die Klippen der Startzeit zu überwinden und aus den Turbulenzen des Anfangs in gesicherte Fahrwasser gelangen. Dazu aber müsste auch der Staat viel mehr „Lust auf Fortschritt und Innovation auch in der Verwaltung“ aufbringen.
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit
Fast naturgemäß docken die techologieaffinen Jungunternehmer auch gern an Themen mit dem Flair der ökologischen oder sozialen Nachhaltigkeit an. Hier wittern sie die Chance, sich bei der Bewältigung von Klima- oder Gesundheitsproblemen hervorzutun und so mehr gesellschaftliche Akzeptanz und damit auch finanzielle Förderung zu generieren. So befasst sich das biopharmazeutische Unternehmen Curevac, bei dem sich der Staat finanziell engagiert hat, mit Corona-Impfstoffen und war lange ein Liebling der Politik. Aber auch die für die Produkterstellung verwendeten Rohstoffe und Lieferketten, die Produktionsweise und -verfahren sowie die Qualität und Recyclingfähigkeit der Produkte sollen zunehmend ethischen Vorgaben und Standards entsprechen. Werte wie Fairness, Respekt, Vertrauen und Verantwortung sollen als Grundhaltungen in einer „Sinn-Erzählung“ rund um das Unternehmen und seine Produkte zum Ausdruck gebracht werden. Solche Imagepflege mag als Unternehmensphilosophie und motivationsfördernde Identität sinnvoll und respektabel sein; doch sollte eine Unternehmenskultur nicht als ein pseudoreligiöser Katechismus mit überfrachtenden Heilsversprechen entwickelt werden, wie dies bspw. in Japan in den 70er Jahren mit überzogenen Versprechen, den Hunger in der Welt zu beseitigen, bei manch‘ prominenten Unternehmen der Fall war. Auch eine Sittenpolizei am Arbeitsplatz wäre eher ein Ausdruck nachhaltiger Bevormundung denn personaler Verantwortung.
Der Autor ist Rechtsanwalt, Politik- und Unternehmensberater, Vorsitzender des „Bundes Katholischer Unternehmer“ (BKU) der Diözesangruppe Berlin-Brandenburg im Erzbistum Berlin und Leiter der VALERE-Academy für Werte-Bildung.
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