Sicherung eines Erfolgsmodells

BKU erwartet von der neuen Regierung mehr Wertschätzung für die Soziallehre. Von Ulrich Hemel
Ulrich Hemel
Foto: IN | Ulrich Hemel.

Die Soziale Marktwirtschaft unserer Bundesrepublik ist ein Erfolgsmodell. Die Beschäftigung liegt auf Rekordhöhe. Das Ausland beneidet uns um unsere Stabilität und unsere mittelständisch geprägte Struktur mit gelebter Sozial- und Tarifpartnerschaft. Wir haben die Wirtschafts- und Finanzkrise gemeistert und waren in der Flüchtlingskrise wirtschaftlich in der Lage, Verantwortung für unsere Nächsten zu übernehmen. Doch nicht erst das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl hat gezeigt, dass das Vertrauen der Bürger in unser Erfolgsmodell Risse hat. Deutschland ist anfällig für Populismus und Fundamentalismus. Viele Menschen trauen den etablierten Parteien nicht mehr zu, nachhaltige Lösungen für die Probleme zu entwickeln, die ihren Alltag bestimmen. Die entscheidende Aufgabe der künftigen Bundesregierung wird sein, das Vertrauen der Bürger in die Politik und in die Wirtschafts- und Sozialordnung zurückzugewinnen, die unser Land stark gemacht hat. Statt Ängste zu schüren, gilt es, zu sachlichen Debatten über die Herausforderungen unserer Zeit zurückzukehren: Über den demographischen Wandel, die digitale Revolution in der Arbeitswelt und die Plattform-Ökonomisierung. Über zukunftsweisende Strategien in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, um denjenigen eine Perspektive zu geben, die sich abgehängt fühlen. Über die Polarisierung in unserer Gesellschaft – und über Gemeinsamkeiten, auf denen wir aufbauen können.

Eine tragende Säule bei der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft war die Katholische Soziallehre. Ihre Prinzipien sind für eine breite Mehrheit der Bevölkerung konsensfähig. Als Bund Katholischer Unternehmer appellieren wir an die künftige Bundesregierung, diese Grundpfeiler unseres christlichen Menschenbildes wieder zur Richtschnur politischer Entscheidungen und gesellschaftlicher Diskurse zu machen. Die Personalität ist dabei erstes Prinzip der Katholischen Soziallehre, als Leitbild für das Handeln jedes Einzelnen und als Richtschnur für gesellschaftliche Strukturen. Das bedeutet, dass jeder Einzelne Verantwortung für sein Leben übernehmen darf, soll und muss. Für das Berufsleben folgt daraus, dass jeder die Chance haben muss, mit seinen beruflichen Fähigkeiten unter fairen Bedingungen einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu verdienen. Prekäre Arbeitsbedingungen lehnen wir ab.

Aus der Personalität resultiert eine Solidaritätspflicht, denn ein Gemeinwesen muss zusammenstehen. Das Prinzip verlangt, dass niemand, der sich nicht mehr zu helfen vermag, sich selbst überlassen wird. Jeder Einzelne in unserer Gesellschaft muss in Würde leben können. Dafür sorgt in Deutschland die soziale Mindestsicherung. Die Forderung nach Solidarität gilt nicht nur für heutige Generationen, sondern auch für die Zukunft: Wer soziale Gerechtigkeit fordert, darf Solidarität heute nicht auf Kosten unserer Kinder und Enkel morgen erkaufen, insbesondere in den beitragsfinanzierten Sozialsystemen. Zu diesem Thema gehören auch verlässliche Rahmenbedingungen im Bereich von Umweltschutz und Nachhaltigkeit! Als Unternehmer fordern wir außerdem konkrete Schritte zur dringend erforderlichen Erneuerung der Infrastruktur in Schulen, Universität, Straße und Schiene.

Solidarität muss auf Gegenseitigkeit beruhen, damit sie funktioniert. Und niemand soll andere bevormunden in Angelegenheiten, die er oder sie selbst regeln kann. Dies entspricht zugleich dem Subsidiaritätsprinzip: Jede einzelne Person und die jeweils kleinere gesellschaftliche Einheit hat das Recht, aber auch die Pflicht, all das selbst zu tun, was in ihren Kräften steht und die Solidarität der Gemeinschaft nur in Anspruch zu nehmen, wo sie darauf angewiesen ist. Die soziale Grundsicherung in Deutschland verwirklicht nicht nur das Solidaritätsprinzip, sondern trägt mit ihrer Bedürftigkeitsprüfung auch dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung. Dies muss auch bei der Bekämpfung von Armut im Alter die Richtschnur bleiben. Das Beitragssystem darf nicht zur Umverteilung missbraucht werden. Umverteilung muss steuerfinanziert bleiben und sich an der Bedürftigkeit orientieren – nicht allein an der Rentenhöhe. Ohne Beachtung des Subsidiaritätsprinzips wird die Bereitschaft zur Solidarität überstrapaziert. Statt zum Paternalismus zu verlocken, muss Politik wieder die Mündigkeit der Bürger ins Zentrum rücken.

Dabei kommt dem Bildungswesen entscheidende Bedeutung zu. Bildungs-Chancen werden noch zu oft vererbt. Wichtig ist auch die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung, denn wir brauchen weiterhin gut ausgebildete Handwerker und Techniker. Schließlich brauchen wir dringend überzeugende Konzepte, die große Gruppe Geringqualifizierter nachhaltig am Erwerbsleben teilhaben zu lassen. Das Personalitätsprinzip gilt auch für die Neuregelung eines humanen Umgangs mit den neu entstehenden digitalen Ökosystemen: Der Mensch darf nicht zur Verfügungsmasse anonymer Technologiekonzerne werden – er braucht Selbstbestimmung auch in seiner digitalen Welt.

Gefährden wir unser Erfolgsmodell nicht weiter durch Klientelpolitik und eine konsumptive Sozialpolitik! Investieren wir vielmehr in die vielfältigen Talente in diesem Land! Dafür stehen wir als katholische Unternehmer. Denn uns treibt die langfristige Verantwortung für die Schöpfung Gottes an. Nur kurzfristiges Gewinnstreben reicht hier nicht aus, auch wenn Gewinne nötig sind, um gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.

Der Autor ist Vorsitzender des Bundesverbandes Katholischer Unternehmer.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Demographischer Wandel Ulrich Hemel

Weitere Artikel

Offiziell träumt Bundeskanzler Olaf Scholz von einer "Gesellschaft des Respekts". Doch wie deckt sich das mit der politischen Wirklichkeit?
02.02.2023, 17 Uhr
Deborah Ryszka
Trotz immer stärkerer Vernetzung fühlen sich immer mehr Menschen allein. Ein Umdenken in jeglicher Hinsicht ist notwendig.
11.03.2023, 07 Uhr
Stefan Ahrens

Kirche

Wegen Überfüllung geschlossen: 16000 Pilger aus 28 Ländern wandern am kommenden Wochenende zu Fuß von Paris nach Chartres.
28.05.2023, 13 Uhr
Franziska Harter
In der 56. Folge des Katechismuspodcasts mit der Theologin Margarete Strauss geht es um die Frage, wie der Mensch mit der Vorsehung zusammenarbeitet.
27.05.2023, 14 Uhr
Meldung
„Das war die Vorsehung!“ Aber was genau ist das eigentlich? Dieser Frage widmet sich Theologin Margarete Strauss in der 55. Folge des Katechismuspodcasts.
26.05.2023, 14 Uhr
Meldung
In der 54. Folge des Katechismuspodcasts geht es mit Theologin Margarete Strauss um die Schöpfungstätigkeit Gottes.
25.05.2023, 18 Uhr
Meldung
Historisch, theologisch, spirituell: Welche Aspekte laut "Premio Ratzinger"-Preisträger Ludger Schwienhorst-Schönberger eine zeitgemäße Bibelwissenschaft auszeichnen. 
27.05.2023, 17 Uhr
Ludger Schwienhorst-Schönberger