Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Unternehmer im Interview

Nur eine starke EU hält China stand

Andreas Ritzenhoff über die Fehler Deutschlands gegenüber China, Soziale Marktwirtschaft und warum der Unternehmer 2018 Merkels Nachfolger werden wollte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Foto: Thomas Trutschel/photothek.net (imago stock&people) | Mittlerweile wird vielen klar, welche Versäumnisse sich Angela Merkel als Bundeskanzlerin leistete. Andreas Ritzenhoff sah sie bereits 2018 - und bewarb sich um den Vorsitz in der CDU.

Herr Ritzenhoff, Sie sind Unternehmer, aber 2018 wollten Sie Angela Merkel als CDU-Vorsitzende ablösen. Was waren Ihre Gründe?

Als mittelständischer Unternehmer habe ich die Folgen chinesischer Subventionen hautnah erlebt. Neben unserem Hauptgeschäft habe ich 2014 eine Firma gegründet, die LED-Licht mit Halbleitertechnik produziert hat. Wir waren vollautomatisiert, hatten niedrigere Personalkosten als die chinesischen Konkurrenten, trotzdem konnten wir mit dem Preisdruck subventionierter chinesischer Produkte nicht mithalten und mussten die Firma vier Jahre später wieder schließen. Fälschlicherweise wird oft gesagt, westliche Unternehmen seien nicht wettbewerbsfähig. In Wirklichkeit sind es die deutlich schlechteren Rahmenbedingungen am Standort Deutschland. Die massive Wettbewerbsverzerrung durch chinesische Subventionen spielt dabei eine wichtige Rolle.

Mit dieser Erfahrung habe ich mich an die Politik gewandt, den zuständigen EU-Kommissar in Brüssel, an die damalige Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries, an Landtags- und Bundestagsabgeordnete. Unternommen hat in den vergangenen zehn Jahren keiner etwas. Faktisch hat sich bis heute kaum etwas verändert. Unsere einst so erfolgreiche Marktwirtschaft funktioniert nicht mehr. Leider schauten und schauen viele  Politiker und manche Wirtschaftsführer immer noch weg, den Eindruck vermittelnd, unsere Marktwirtschaft sei noch intakt.

Frau Merkel hat im September 2018 angekündigt, erneut für den Bundesvorsitz der CDU zu kandidieren. Seit längerer Zeit hielt ich ihre Politik für äußerst schädlich für unser Land.
Hinzu kam dann die verfehlte China-Politik. Ich fand, das Thema musste in die Öffentlichkeit. Da habe ich beschlossen, gegen sie anzutreten und mich für den Bundesvorsitz der CDU zu bewerben.

Wie hat damals ihr Umfeld darauf reagiert?

Politiker anderer Parteien haben mich erfreut angesprochen, auch eine Reihe von CDU-Politikern haben die Entscheidung im Einzelgespräch begrüßt. Sie baten mich aber um Verständnis, dass sie mich nicht öffentlich unterstützen oder gar nominieren könnten. Es wäre nach ihrer Überzeugung das Ende ihrer politischen Laufbahn gewesen. Die offizielle CDU-Seite aber hat ganz anders reagiert. Man kann schon sagen: Da schaute man in die offenen Gewehrläufe. Da wurde vielfach sehr aggressiv agiert. Ein passives Wahlrecht gibt es kaum.

Sie wurden als ein Ruhestörer im politischen Betrieb empfunden...

Ein relativ prominenter CDU-Politiker hat einmal zu mir gesagt, ich hätte gegen die „Kleiderordnung der Partei“ verstoßen. Später wurde mir berichtet, dass der damalige hessische Ministerpräsident Bouffier die Mitglieder der Landtagsfraktion aufgefordert habe, mir keine Gelegenheit zu geben, irgendwo auf Parteiveranstaltungen zu sprechen. Ich hatte meine Kandidatur am 3. Oktober 2018 bekannt gegeben. Nach der verlorenen Hessenwahl Ende Oktober 2018 zog Angela Merkel ihre Kandidatur zurück. Sofort traten Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Friedrich Merz für die Nachfolge an. Im Parteipräsidium verständigte man sich unter Mitwirkung von Kramp-Karrenbauer und Spahn darauf, dass nur Mitglieder für den Vorsitz kandieren dürfen, wenn sie vorher nominiert worden sind. So hielt man sich die Konkurrenz vom Leibe.

„Es gibt unglaublich viele Seilschaften, natürlich nicht nur in der CDU, sondern in allen Parteien.
Das Denken, das dahinter steht: Ich verschaffe dir einen Posten in der Partei, dafür bist du mir aber absolute Loyalität schuldig.“

Trotzdem: Sie haben einen Einblick in das Innenleben der Politik bekommen. Haben wir dort ein Personalproblem?

Es gibt unglaublich viele Seilschaften, natürlich nicht nur in der CDU, sondern in allen Parteien. Das Denken, das dahinter steht: Ich verschaffe dir einen Posten in der Partei, dafür bist du mir aber absolute Loyalität schuldig. Dazu kommt: Politiker neigen nicht dazu, Mitarbeiter an ihre Seite zu stellen, bei denen sie befürchten, dass die besser sein könnten als sie selbst. Es bestätigt sich: viele Politiker denken an die nächste Wahl. Wir brauchen aber Staatsmänner, die an die nächste Generation denken. Der Rekrutierungsprozess des politischen Personals muss dringend reformiert werden.

Auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte aus Ihrer Sicht nicht diese staatsmännische Qualität?

Vor allem mit Blick auf Europa hat Angela Merkel  meiner Meinung nach schwere Versäumnisse. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat 2017 in einer großen Rede an der Sorbonne Vorschläge zur Reform der EU gemacht und die Kanzlerin zu gemeinsamen Handeln eingeladen. Bis an ihrem letzten Arbeitstag hat Frau Merkel nicht darauf reagiert. Sie hätte die ausgestreckte Hand des französischen Staatspräsidenten annehmen müssen. So hat sie unserem Land und Europa schweren Schaden zugefügt. Wie so häufig, hat sie Ankündigungen gemacht und den Bürgern das Gefühl gegeben, sie würde sich kümmern. Leider blieb es nur bei den Ankündigungen.

Fehlt es an einem Blick über den Tellerrand?

Die europäische Politik war in den letzten Jahren zu 80 Prozent nur noch Innenpolitik. Das bedauere ich sehr. Denn Europa muss stark sein, um sich zu behaupten. Wir Europäer benötigen eine sichtbare Interessenvertretung auf der Weltbühne, gerade in einer Zeit, in der die internationalen Spielregeln neu geordnet werden. Die Kommissionspräsidentin wird als zu schwach wahrgenommen.

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Wie sieht aus Ihrer Sicht das Zeitfenster für solche Reformen aus? Und wo liegen die Kraftreserven? Vielleicht tatsächlich bei Unternehmern?

Wir haben sicher die Chance, wieder aufzustehen. Dafür brauchen wir aber endlich eine ehrliche Analyse unserer Lage. Das Wegschauen zu den Herausforderungen für die Zukunft muss endlich aufhören. Im Medizinstudium hat man uns eingebimst: keine Therapie ohne Diagnose. Gute Politik setzt das Wissen um die Wirklichkeit voraus. Das fehlt häufig. Und ja, warum nicht Unternehmer? Wir haben heute vielerorts eine Grundstimmung, nach der Veränderungen als etwas Bedrohliches empfunden werden. Ein Unternehmer denkt anders.  In unserem Unternehmen ist es mittlerweile sogar so: Die Mitarbeiter werden eher nervös, wenn wir uns nicht ändern.

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht - aus Ihrer Sicht also kein gutes Motto?

Wir brauchen mehr Auseinandersetzung und Debatte. Jeder, der seine Meinung äußern will, hat ein Recht darauf und soll dies tun. Das gilt natürlich auch für Mitarbeiter. Aber viele trauen sich nicht. Wenn sich jemand von Jahresvertrag zu Jahresvertrag hangelt, hat er Angst, dass er bei Widerspruch keine Verlängerung bekommt.

Der Sozialen Marktwirtschaft entspricht, das machen Sie deutlich, für Sie auch ein bestimmtes Menschenbild. Wenn Sie junge Leute heute fragen, was Sie machen müssten, um diesem Menschenbild gerecht zu werden, was würden Sie ihnen raten?

Meine Philosophie für unser Unternehmen ist immer gewesen: Wir nehmen Herausforderungen an, die darüber hinausgehen, was wir jetzt schon können. Da gibt es natürlich das Risiko, dass man sich ab und an eine blutige Nase holt. Aber in der Bilanz kann ich sagen: Die Summe der bewältigten Herausforderungen ist größer als die Zahl der Fälle, wo es nicht geklappt hat. Das schafft Selbstbewusstsein. Die Rahmenbedingungen ändern sich rasant. Also muss sich unser Unternehmen ändern genauso wie unser Staat. Dann - wenn wir es richtig machen - sind wir gut für die Zukunft aufgestellt.

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