Europa für das digitale Zeitalter fit machen, das ist das große Ziel der europäischen Digitalstrategie. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Daten, Technologie und Infrastruktur. Die Rahmenbedingungen legen das „Gesetz über digitale Märkte“ (Digital Markets Act - DMA) und das „Gesetz über digitale Dienste“ (Digital Services Act – DSA) fest. Die beiden Verordnungen gelten automatisch in allen Mitgliedsstaaten, der DMA seit diesem 2. Mai und der DSA ab dem 17. Februar im nächsten Jahr
Hinter den sperrigen Bezeichnungen verbergen sich Regelungen, die auf Verbraucher und Unternehmen große Auswirkungen haben. Während das „Gesetz über digitale Märkte“ große Online-Plattformen in den Blick nimmt und sicherstellt, dass es hier fair zugeht, zielt das „Gesetz über digitale Dienste“ auf einen besseren Schutz der Verbraucher im Internet.
Mit der Durchsetzung ist es der Kommission ernst: beim DSA drohen Bußgelder von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, beim DMA sogar bis zu zehn Prozent, außerdem noch Zwangsgelder von bis zu fünf Prozent des durchschnittlichen Tagesumsatzes.
Strenge Wettbewerbsregeln in Europa
„Europa hat sich auf die weltweit strengsten Regeln für mehr Wettbewerb und Fairness bei den großen digitalen Playern verständigt. Die großen Plattformunternehmen werden klaren und harten Regeln unterworfen und können nicht mehr länger einseitig die Spielregeln bestimmen“, so bewertet der Staatssekretärs im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Sven Giegold, das Leuchtturmprojekt aus DMA und DSA. Der DSA ist das erste einheitliche Regelwerk zu Pflichten und Verantwortlichkeiten von Online- Vermittlungsdiensten, die in der EU tätig sind. Er erfasst Vermittlungsdienste mit einem Infrastruktur-Netz wie Internetanbieter oder Domänennamen-Registrierstellen, Hosting-Dienste wie Cloud- und Webhosting-Dienste sowie Online-Plattformen wie zum Beispiel digitale Marktplätze, App-Stores und Social-Media-Plattformen. Auf den offiziellen Sitz des Vermittlungsdiensts kommt es nicht an, es geht nur darum, dass seine Angebote tatsächlich von Menschen in Europa genutzt werden.
Inhaltlich sieht der DSA klarere Verfahren zur Meldung illegaler Inhalte, Produkte oder Dienstleistungen auf Online-Plattformen vor. Unvorhersehbare und willkürliche Löschungen sollen der Vergangenheit angehören. Nutzer werden über die Löschung von Inhalten informiert und können sich dagegen wehren. Dafür gibt ihnen Art. 54 DSA in Verbindung mit dem nationalen Recht einen Schadensersatzanspruch.
Geschäftsbedingungen sollen transparenter sein
Zukünftig müssen die Plattformen ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen so gestalten, dass Vorgaben zur Inhaltemoderation in klarer, verständlicher und benutzerfreundlicher Sprache erfolgen. Dazu gehören auch Angaben über den Einsatz von Algorithmen zur Entscheidungsfindung. Die Rechtsprechung des BGH, nach der es eines sachlichen Grundes bedarf, um rechtmäßige, aber störende Inhalte zu beschränken (lawful but awful content), wird nach Einschätzung von Experten wohl weitgehend fortgeführt.
Neu sind des Weiteren verschiedene Transparenzpflichten. So müssen alle Online-Vermittlungsdienste jährlich Transparenzberichte über ihr Lösch- und Sperrverhalten veröffentlichen. Damit ist eine öffentliche, parlamentarische und gerichtliche Kontrolle und Diskussion möglich.
Auf die sogenannten „dark patterns“, bei denen das Design zu unlauteren Zwecken eingesetzt wird, ist wohl jeder Internetnutzer schon gestoßen. So nutzen Online-Plattformen oftmals Erkenntnis- und Entscheidungsschwächen des durchschnittlichen Verbrauchers zum eigenen Vorteil aus, indem sie bestimmte Wahlmöglichkeiten hervorheben. Künftig ist dies verboten. Fachkreise gehen davon aus, dass diese Regelung weit über den Anwendungsbereich des DSA ausstrahlen wird. Der Handelsverband Deutschland (HDE) mahnt in diesem Zusammenhang eine klarere Definition der „dark patterns“ an. „Unternehmen können schwer Vorgaben umsetzen, wenn Fragen im Anwendungsbereich noch offen sind und technische Definitionen fehlen“, so Stephan Tromp, stellvertretender HDE-Hauptgeschäftsführer. Hier müsse die EU-Kommission nachliefern und zeitnah die ausführenden Rechtsakte für den DSA erlassen, um die entsprechenden Vorgaben weiter zu konkretisieren.
Online-Plattformen müssen Zahlen veröffentlichen
Für sehr große Online-Plattformen, die mehr als zehn Prozent der 450 Millionen Verbraucher in Europa erreichen, gelten sogar besonders strenge Anforderungen. Sie müssen Risikoabschätzungen durchführen und ausgemachte Gefahren etwa für die Demokratie, die öffentliche Sicherheit, die Grundrechte und den Jugendschutz minimieren. Zudem sollen sie ihre Daten und Angaben zu Algorithmen mit Behörden, Forschern und zivilgesellschaftlichen Organisationen teilen, damit diese ihre Arbeitsweise überprüfen und Angaben zu einem Lagebild beisteuern können.
Bis zum 17. Februar mussten alle Online-Plattformen und Suchmaschinen mit Ausnahme von kleinen Unternehmen zum ersten Mal ihre Nutzerzahlen in der EU veröffentlichen. Nach einer entsprechenden Einstufung durch die EU-Kommission haben die Betroffenen vier Monate Zeit, den Pflichten nachzukommen; künftig muss die Angabe der Nutzerzahlen mindestens einmal alle sechs Monate erfolgen.
Von Alibaba bis Zalando hat die EU-Kommission inzwischen 17 „sehr große Plattformen“ und zwei „sehr große Suchmaschinen“ identifiziert. Dazu gehören unter anderem Twitter, TikTok, Google mit Play, Maps, Shopping und Search, Facebook und Instagram sowie Booking.com. Einzige nicht kommerzielle Plattform in der Liste ist die Wikipedia.
Verhaltenspflichten für die Torwächter
Auch der DMA statuiert unmittelbar anwendbare Verhaltenspflichten für besonders mächtige digitale Plattformen, die sogenannten „Gatekeeper“. Er soll zahlreiche Praktiken beenden, die derzeit den Vorsprung der großen Plattformbetreiber begründen. Dazu gehört unter anderem die übermäßige Vermischung von Daten, Koppelungen und Selbstbevorzugungen im digitalen Ökosystem oder die Intransparenz bei Werbung. Sowohl für Wettbewerber als auch für gewerbliche Nutzer und für Verbraucher werden durch die mehr als 20 Verhaltenspflichten für digitale Torwächter neue Chancen in der digitalen Wirtschaft entstehen. Derzeit umfasst die Liste der zentralen Plattformdienste (ZPD) zehn Dienste, darunter Online-Vermittlungsdienste, Kommunikationsdienste, Smart-TVs und Fahrzeuge sowie virtuelle Assistenten.
Torwächter dürfen eigene Dienstleistungen oder Produkte in Rankings nicht bevorzugen. Diese Regelung geht auf das erste kartellrechtliche Verfahren der Kommission gegen Google zurück. Weiter dürfen Torwächter die Endnutzer nicht mehr daran hindern, vorab installierte Software oder Apps zu deinstallieren, wenn sie dies wünschen oder die Verbraucher daran hindern, sich an Unternehmen außerhalb ihrer Plattformen zu wenden. Zum Beispiel kann ein Smartphone-Nutzer zukünftig den vorinstallierten Kartendienst des Torwächters deinstallieren, und der Anbieter eines Betriebssystems muss gestatten, dass Endnutzer auch einen Internetzugangsdienst nutzen, mit dem kein besonderes Vertragsverhältnis besteht.
Für Verbraucher besonders interessant: die Torwächter müssen eine wirksame Interoperabilität mit der eigenen Hard- und Software ermöglichen, und Messenger-Dienste müssen Schnittstellen für andere Anbieter einbauen. Die Mindestfunktionen für diese Schnittstelle nehmen im Lauf der Zeit zu.
Interoperable Systeme
Damit kann die App eines Drittanbieters in Zukunft auf den Sprachassistenten eines Smartphones genauso zugreifen kann wie die App des Torwächters, und Messenger-Dienste wie WhatsApp, Telegramm und Signal bleiben nicht länger exklusiv. Bislang ist eine Kommunikation nämlich nur innerhalb des jeweiligen Dienstes möglich, so dass Verbraucher oft mehrere Messenger auf dem Smartphone haben und an dem aus Datenschutzgründen umstrittenen WhatsApp kaum vorbeikommen. E-Mails dagegen werden bruchlos etwa von Yahoo zu Posteo gesendet. Genauso könnten Verbraucher im Idealfall verschiedene Messenger-Dienste miteinander nutzen. Die Europäische Kommission sollte aber technische Rahmenbedingungen für Datenschutz und -sicherheit vorgeben, findet der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Große Plattformen sollten die konkrete Ausgestaltung interoperabler Systeme nicht im Alleingang konzipieren dürfen.
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