Vor einigen Monaten erschien der Bestseller des französischen Ökonomen Thomas Piketty „Kapital im 21. Jahrhundert“ zur ständig wachsenden Ungleichheit als Folge eines schrankenlosen Kapitalismus. Etwas später veröffentlichte Werner Plumpe sein Buch „Das kalte Herz“ zum gerechtfertigten Siegeszug des Kapitalismus und mit der These, ein sich ausbreitender Kapitalismus habe entscheidend zur Steigerung von Wohlstand beigetragen, jedenfalls in Ländern wie China oder Indien, nicht aber in Afrika, wo eher von einem fehlgeleiteten Kapitalismus infolge von Wettbewerbsverzerrung und auch von Staatsversagen die Rede sein müsse.
Wenn nach der Landtagswahl in Thüringen über eine eventuelle Kooperation von CDU und der Partei „Die Linke“ diskutiert wird, geht es auch um zwei fundamental verschiedene Wirtschaftsmodelle mit einem entsprechend unterschiedlichen Bild vom Menschen. Einerseits ist die Rede vom demokratischen Sozialismus, andererseits gibt es die Soziale Marktwirtschaft, die auf der unternehmerischen Freiheit aufbaut. Insofern geht sie aus von der Freiheit des Menschen, Kapital legal anzuhäufen und damit zu wirtschaften, in der Hoffnung auf Profit und Rendite, um dadurch Arbeitsplätze und Produktion zu ermöglichen.
„Sozial wird eine Marktwirtschaft durch Wettbewerb und Haftungsprinzip und Verhinderung oligarchischer Kartelle [...] und Umverteilung infolge funktionierender Märkte.“
Sozial wird eine Marktwirtschaft gerade nicht durch Veränderung der Motivationen und Intentionen der Unternehmer. Sozial wird eine Marktwirtschaft durch Wettbewerb und Haftungsprinzip und Verhinderung oligarchischer Kartelle und nicht zuletzt durch sanfte Umverteilung infolge funktionierender Märkte. Diese Umverteilung aber vollzieht sich generell langsamer als die Anhäufung von Vermögen; also wächst im Kapitalismus die soziale Ungleichheit, gerade auch in Ländern eines relativ ungezügelten Kapitalismus, wie beispielsweise Chile.
In der FAZ vom 23.10.2019 fand sich ein interessantes Interview mit einem der jungen Ökonomen um Thomas Piketty, mit Gabriel Zucman, dessen Forschungsschwerpunkte „Steueroasen“ beziehungsweise soziale Ungerechtigkeiten sind. Seine These lautet: Die USA sind das extremste Beispiel für den Zusammenbruch progressiver Steuersysteme; einige wenige, auch international agierende Konzerne nutzen Steueroasen und zahlen in fast allen Ländern der Welt nur wenig Steuern und werden immer reicher.
Artikel 1 unseres Grundgesetzes ein bloßes Lippenbekenntnis
Wer behauptet, Steuerflucht sei unvermeidlich, der sagt, so Zucman, schlicht die Unwahrheit: Es ist möglich, hohe Unternehmenssteuern und eine progressive Einkommensteuer mit hohen Steuersätzen in einer globalisierten Weltwirtschaft durchzusetzen. Und ein Fazit lautet, und das ist auch für Europa zu beherzigen: Eine extrem anwachsende Ungleichheit des Reichtums und der Lebensverhältnisse ist für Demokratien gefährlich. Jeder demokratische Rechtsstaat lebt davon, dass Leistung sich lohnt und möglichst viele zum Mittelstand gehören. Das wird nicht zuletzt erreicht durch ein öffentliches Bildungssystem und öffentliche Gesundheitsversorgung.
Die grundsätzlich gleiche Würde jeder menschlichen Person muss sich auch im Kampf gegen stark anwachsende soziale Ungleichheit auswirken. Sonst bleibt Artikel 1 unseres Grundgesetzes ein bloßes Lippenbekenntnis.
Der Autor ist Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Sozialstelle. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der KSZ.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe hier.