Wenn es in den letzten Jahren um die Verkehrswende in Deutschland ging, dann hagelte es nicht selten Kritik. Diese Kritik, so konnte man meinen, hatte damals einen Namen: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Viele Kritiker atmeten deshalb auf, als sich unter der Führung der SPD ein Bündnis aus den Grünen und der FDP zu einer Ampelkoalition zusammenschloss. Dass das Verkehrsministerium an die Grünen gehen würde – das war für die meisten Beobachter während der Koalitionsgesprächen eine fest ausgemachte Sache. Es kam aber alles bekanntlich ganz anders: Der FDP-Politiker Volker Wissing führt nun das Verkehrsministerium und schon wird es laut seitens der Kritiker.
„Schlechter als Scheuer“, so die Häme, die oft zu hören ist, „kann es nun auch nicht mehr werden“. Andreas Scheuer hat sich tatsächlich in den letzten Jahren nicht als der große Vorantreiber der Verkehrswende erwiesen. Nur ganz so leer, wie seine Kritiker behaupten, ist sein Habenkonto nun auch wieder nicht. Immerhin wurde die Gesetzgebung für das vollautonome Fahren auf den Weg gebracht und das Personenbeförderungsgesetz wurde nach jahrelangen Diskussionen wenigstens ein klein wenig auf die Digitalisierung der Mobilität ausgerichtet. Man hätte sich sicherlich etwas mehr gewünscht – nur gehört zur Wahrheit am Ende auch, dass Deutschland auch in anderen Bereichen nur sehr langsam mit der Digitalisierung vorankommt. Kleine Schritte sind da oft besser als überhaupt keine Schritte.
Der Druck, der nun auf der neuen Ampel-Regierung lastet, ist von Anfang an sehr groß. Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt aber, dass auch dieses Papier weit davon entfernt ist, der große Wurf zu sein. In den nächsten vier Jahren wird man keine Revolution in der Welt der Mobilität erwarten dürfen.
Aberwitzige Ziele der Ampel
So werden die Auswirkungen, die die Digitalisierung auf den gesamten Verkehrsbereich haben wird, im Koalitionsvertrag kaum angesprochen. Stattdessen stehen der Individual- und der Bahnverkehr im Vordergrund.
Bis 2030 möchte man die Fahrgastzahlen bei der Bahn verdoppeln. Auch bei der alten Regierung konnte man damals dieses Ansinnen lesen. Damals wurde ein Bahninfrastrukturfond in Höhe von 100 Millionen Euro aufgelegt. Man konnte zudem von neuen Schnellzugverbindungen lesen. „Deutschlandtakt“ und „mehr Nachtzüge“ hießen weitere Projekte der alten Bundesregierung. So oder ähnlich kann man es nun auch im Koalitionsvertrag der neuen Regierung lesen.
Mag gegen solche Ideen auch wenig einzuwenden sein – richtig vorankommen wird man mit der Verkehrswende hin zur Bahn nicht, wenn man deren Infrastruktur nicht schnell erneuert sowie digitalisiert. Denn vieles, was noch heute infrastrukturell bei der Bahn im Einsatz ist, ist nicht selten über 100 Jahre alt. Und ein nicht unerheblicher Teil der Weichen bei der Bahn wird heute noch mit der Hand betätigt. In den letzten Jahren forderten Bahnexperten deswegen immer wieder die Modernisierung der Stellanlagen. 2019 gab es dazu sogar ein Strategiepapier – 2022 müsste man endlich beginnen, konnte man vor fast drei Jahren lesen. Papier ist aber bekanntlich geduldig und so ist bisher noch nichts passiert. Das Projekt zieht und zieht sich hin. Ob es nun unter der Ampelkoalition besser wird, bleibt vorerst abzuwarten.
Wunsch und Wirklichkeit
Bei der Verkehrswende wird deutlich, wie weit Realität und Wunsch im Politik-Raumschiff Berlin oft auseinanderliegen. In den letzten Jahren war immer wieder zu hören, dass man vor allem die Alternativen zum Auto politisch fördern wolle. Die Zahlen sprechen allerdings eine ganz andere Sprache: Obwohl die Bahn ihr Angebot in den letzten Jahren vergrößert hat, es in Großstädten vor Carsharing-Autos, Leihrädern sowie E-Scootern wimmelt und obwohl Städte Radwege ausbauen und Lastenräder fördern, steigt die Zahl der zugelassenen Autos in Deutschland unaufhörlich.
Mit der wachsenden Bevölkerung ist das nicht allein zu erklären: Die Zahl der Pkw pro Person stieg von 0,52 im Jahr 2010 auf 0,58 im Jahr 2020. Die immer wieder in schönen Sonntagsreden bemühte Verkehrswende und der Abschied vom Auto – in der Realität hat das alles bisher nicht gegriffen.
Die Ampel-Koalition möchte in den nächsten vier Jahren „[d]igitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing“ ausbauen. Man wolle sie in eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren öffentlicher Verkehrsmittel einbeziehen. Carsharing soll hierbei ein wichtiges Mittel im Kampf gegen den Individualverkehr sein. Bisher ist der Erfolg solcher Modelle aber sehr überschaubar sowie der ökologische Nutzen umstritten.
Hoffnungsträger Carsharing ein großer Flop
2019 veröffentlichte das Beratungsunternehmen A.T. Kearney eine Studie zu diesem Thema. Das Ergebnis lässt aufhorchen: In Deutschland gibt es, laut Studie, derzeit nur vier Millionen Menschen, die für die Nutzung von Carsharing-Autos überhaupt in Frage kommen würden. Weder bestehen die Voraussetzungen in den Städten, erst recht nicht auf dem Land, noch sind Kunden bereit, auf das eigene Auto zu verzichten.
Denn: Das eigene Auto schätzen die Befragten der Studie vor allem wegen seiner permanenten Verfügbarkeit und der damit einhergehenden persönliche Freiheit. Carsharing verfehlt damit sowohl das von der Politik verfolgte Ziel, nachhaltigen Verkehr in den Städten zu stärken als auch den Besitz eines eigenen PKW infrage zu stellen. Zudem nutzen gerade einmal ein Prozent der Carsharing-Mitglieder das Angebot täglich, ein Drittel von ihnen ein bis zwei Mal im Monat. Weiter spricht die Studie davon, dass regelmäßiges Carsharing zu Lasten des ÖPNV geht. Dass das eigene Auto im Straßenverkehr langfristig durch Sharing-Angebote ersetzt wird, zeichnet sich also derzeit nicht ab.
Fazit: Fernab von sowohl hehren als auch unrealistischen Zielen muss konstatiert werden, dass der Regierung eine umfassende Verkehrsplanung für die Zukunft fehlt.
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