Kolumne

Karl Popper - ein heimlicher Sozialethiker

Poppers Philosophie bietet ein politisches und humanitäres Programm, das nicht nur allen Menschen gleiche Rechte einräumt, sondern auch alle Menschen an ihre Pflichten erinnert.
Karl Popper vertrat einen Normobjektivismus
Foto: Lucinda Douglas-Menzies Wikimedia Commons (CC0) | Der Philosoph Karl Popper vertrat einen Normobjektivismus, der die Möglichkeit der theologischen beziehungsweise göttlichen Begründung der ethischen Normen nicht ausschließt.

Karl Popper, der Begründer des Kritischen Rationalismus, ist in der sozialethischen Diskussion noch nicht hinreichend gewürdigt worden. Tatsächlich weisen seine Konzepte eine besondere Nähe zum christlichen Denken und Menschenrechtsverständnis auf.

Aus Poppers Sicht kann die Idee der Rationalität durch nichts besser gekennzeichnet werden als durch die Bereitschaft, Kritik anzunehmen und Probleme zu lösen. Er lehnt jegliche Formen des Relativismus und Dogmatismus ab; seine wissenschaftstheoretische, antidogmatische und kritische Einstellung hat er in die Gebiete von Politik und Gesellschaft übertragen und dadurch wurde sie zu dem Fundament der „offenen Gesellschaften“. Demokratie ist kein erreichter Zustand, sondern ein offener Prozess: Die Offenheit der „offenen Gesellschaft“ bezieht sich darauf, dass sie gegenüber verschiedenen Weltanschauungen und differierenden Problemlösungsansätzen offen ist, weil das die kritische, gewaltlose Diskussion und die ständige Bereitschaft zu Reformen fördert.

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Die Bedeutung des Christentums

Popper erkennt an, dass wir zahlreiche Ideale abendländischer Kultur, wie die der Freiheit, der Toleranz, der Brüderlichkeit und der Gleichheit, dem Christentum zu verdanken hätten. Er vertrat einen Normobjektivismus, der die Möglichkeit der theologischen beziehungsweise göttlichen Begründung der ethischen Normen nicht ausschließt. Er war der Ansicht, dass, obwohl Normen Menschenwerke sind, diese dennoch von uns kritisiert und verbessert werden können. Daher können auch in der Ethik Fortschritte gemacht sowie richtige von falschen Normen unterschieden werden. In einem Brief von 1981 an den Sozialethiker Arthur Fridolin Utz drückte Popper seine Sympathie für die Tradition des Naturrechtsdenkens wegen ihrer humanen und duldsamen Bedeutung aus: „Ich glaube, dass man in der Rechtstheorie vor allem zwischen zwei Dingen unterscheiden kann: dem Inhalt der vorgeschlagenen Normen, und der Theorie der Begründung der Normen. Das erste erscheint mir bei weitem wichtiger zu sein als das zweite (schwierigere). Mir war aus diesem Grunde die Naturrechtsschule immer sehr sympathisch.“

Rechte und Pflichten

Poppers Philosophie bietet in unseren heutigen Gesellschaften ein politisches und humanitäres Programm, das nicht nur allen Menschen gleiche Rechte einräumt, sondern auch alle Menschen an ihre Pflichten erinnert. Sie fordert, gemeinsam politisch tätig zu werden gegen die Herrschaft einer ausufernden Bürokratie, gegen die Armut und für den Weltfrieden, für die Erziehung zur Gewaltlosigkeit und nicht zuletzt – kontrolliert durch Verantwortlichkeit – für mehr Freiheit. Diese Ziele sollen durch die Methode der „kleinen Schritte“ realisiert werden.

In einer demokratischen Gesellschaft sind Poppers kritische Methoden wichtig, um ideologische Narrative zu entlarven, die Urteilskraft der Menschen zu stärken und eine freiheitliche Gesellschaft zu gestalten.

Der Autor ist Privatdozent an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach.

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