Soziallehre

Kardinal Höffner: Katholische Soziallehre als Denk- und Lebensweise

Wie Joseph Kardinal Höffner (1906-1987) die deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mitprägte.
Vor 35 Jahren starb Joseph Kardinal Höffner.
Foto: DPA | Vor 35 Jahren starb Joseph Kardinal Höffner. Höffner war unter anderem Erzbischof von Köln und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Im Jahr 2022 jährt sich der Todestag von Joseph Kardinal Höffner zum 35. Mal: Der langjährige Kölner Erzbischof starb am 16. Oktober 1987. Er war eine wirkungsmächtige Gestalt des deutschen Katholizismus im 20. Jahrhundert – und für den vierfach promovierten Wissenschaftler und Kirchenmann war die Katholische Soziallehre eine Denk- und Lebensweise, die seine wissenschaftlichen, sozialen und pastoralen Tätigkeiten prägte.

Joseph Höffner war ein Theoretiker, Lehrer und Erneuerer der Katholischen Soziallehre. Er hat nicht nur mit großer Kompetenz dazu beigetragen, der christlichen Sozialethik neue Anwendungsbereiche und Handlungsfelder zu erschließen, sondern er hat dieser Fachdisziplin auch neues Ansehen verschafft, indem er ihre theoretischen Grundlagen erweitert, ihre Entwicklung vorangetrieben und ihre gesellschaftliche Akzeptanz gesichert hat. Höffner war Universitätsprofessor, schöpferischer Denker und Redner, Bischof und Kardinal sowie Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz; in all diesen Rollen und mit dem von ihm hinterlassenen Vermächtnis durch das Institut für Christliche Sozialwissenschaften in Münster hat er der Katholischen Soziallehre einen großen Dienst erwiesen – nämlich ein wertvolles Instrument zur Förderung und Ausgestaltung einer menschenwürdigen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu sein.

Mitgestalter der Sozialen Marktwirtschaft

Es ist vor allem das Verdienst des Ökonomen und katholischen Sozialethikers Joseph Höffner, der bei Walter Eucken mit einer Arbeit zur spätscholastischen Wirtschaftsethik promoviert hatte, eine Brücke zwischen der christlichen Ethik, dem Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft geschlagen zu haben. Höffner hat als Politikberater und Mitgestalter der deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auch wesentlich zur Akzeptanz der markwirtschaftlichen Ordnung in der katholischen Kirche beigetragen – trotz massiver interner Kritik.

Weiterhin hat er maßgeblichen Anteil daran, dass christlich-soziale Gedanken Eingang in das theoretische Konzept der Sozialen Marktwirtschaft fanden und bei der Ausgestaltung des Sozialstaates Deutschland berücksichtigt wurden. Ihren praktischen Niederschlag fanden diese Gedanken unter anderem in einem nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips ausgestalteten System der beruflichen Bildung und der betrieblichen Mitbestimmung sowie beim Arbeitnehmerschutz.

Bedeutendes Lehrbuch

In seinem weltweit bekannten und erfolgreichen Lehrbuch „Christliche Gesellschaftslehre“ bezeichnete er diese als „das Gesamt der sozialphilosophisch und sozialtheologisch gewonnenen Erkenntnisse über Wesen und Ordnung der menschlichen Gesellschaft und über die sich daraus ergebenden und auf die jeweiligen geschichtlichen Verhältnisse anzuwendenden Normen und Ordnungsaufgaben“. Das theologische Fundament christlicher Sozialethik impliziert für Höffner, dass die Grenzen einer rein spekulativen Konzeption des Naturrechtsdenkens anerkannt werden, da es die sozialtheologische Perspektive und den notwendigen Bezug auf die Dogmen des Glaubens und den Inhalt der christlichen Botschaft verkennt und verbirgt.

Höffner kritisiert das abstrakte Naturrechtsdenken, das die historische Dimension und die empirische und gesellschaftliche Analyse vernachlässigt. Ebenso distanziert er sich von den Ansichten jener Theologen und Sozialethiker, die die sozialen Folgen und die Bedeutung der christlichen und trinitarischen Dogmen nicht erkannt oder sogar geleugnet haben. Vor fast sechzig Jahren formulierte Höffner einen Vorwurf, dem abzuhelfen nach wie vor eine zu realisierende Aufgabe der christlichen Sozialethik ist: „Die Diskussion spitzt sich mehr und mehr zu der Frage zu, ob die katholische Soziallehre durch die Entfaltung spezifisch theologischer Kategorien – wie Erschaffung, Erbsünde, Erlösung, Volk Gottes, soziale Dimension der Sünde, Heilsgeschichte, Wiederkunft des Herrn und Überwältigung der Weltgeschichte – über das nach wie vor unersetzbare Naturrecht hinaus entwickelt werden könne.“

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Elemente der Gesellschaftslehre

Für Höffner gründet die Christliche Gesellschaftslehre vor allem auf den folgenden drei wesentlichen Aspekten: Da sind zum einen die lehramtliche Sozialverkündigung der Kirche, die in Rundschreiben und Enzykliken zum Ausdruck kommt; dann die theologischen Arbeiten und wissenschaftlichen Analysen der katholischen Sozialethiker und der Sozialwissenschaftler sowie deren Rezeption, darüber hinaus die Verantwortung der Christen und der christlich-sozialen Bewegungen, also die Tätigkeit der Laienorganisationen, die versuchen, die Soziallehre auf der Grundlage der christlichen Botschaft inhaltlich umzusetzen und ihre Wahrheit zu bezeugen.

In der Debatte der letzten Jahrzehnte über die Frage nach der Identität und Relevanz der katholischen Soziallehre spielte die Rückbesinnung auf die theologische Prägung dieser Disziplin sowie auf ihre epistemologische und interdisziplinäre Dimension eine erhebliche Rolle. Die Beiträge Höffners sind auch heute noch aktuell, und zwar ganz besonders in Bezug auf die theologische Legitimierung der Soziallehre der Kirche und die Verankerung der sozialen Fragen in den Inhalten des christlichen Glaubens.

Höffners Motto: „Gerechtigkeit und Liebe“

Höffner ist zu verdanken, der Entwicklung der christlichen Sozialethik im 20. Jahrhundert die Richtung gewiesen und die theologische Einbettung der christlichen Sozialethik in die Gruppe der übrigen theologischen Disziplinen realisiert zu haben. Die Grundsäule der Katholischen Soziallehre sind für Höffner das Evangelium, die christliche Offenbarung und das Naturrechtsdenken, die er jedoch mit interdisziplinärer Reflexion und philosophisch-rationaler Argumentation verbindet. Höffner betrachtet die christliche Sozialethik sowohl als „theologia socialis dogmatica“ wie auch als „theologia socialis moralis“.

Sein Bezug auf die Menschwerdung Christi und die Lehre der Dreifaltigkeit sowie die Berücksichtigung eschatologischer, christologischer, anthropologischer und ekklesiologischer Perspektiven ermöglichen es Höffner, die Christliche Sozialethik in die systematischen Fächer der theologischen Disziplin einzuordnen. Dadurch verankert er sie als theologische Wissenschaft im Zentrum der christlichen Dogmen und des Glaubens.

Sozialverkündigung ist  Bestandteil der Neuevangelisierung

Rückblickend ist es ein bleibender Verdienst des Höffnerschen Ansatzes, zu dem sich derzeitig die Joseph-Höffner-Gesellschaft verpflichtet, dass die Christliche Sozialethik theologisch und interdisziplinär erarbeitet wurde und dass die Sozialverkündigung der Kirche ein integrierender Bestandteil der Neuevangelisierung geworden ist.

Höffners Auffassung ist von Bedeutung wegen der theologischen Verortung der Christlichen Sozialethik, ihrer Einbettung ad intra gegenüber den anderen theologischen Fächern und ad extra in Bezug auf die Human– und Sozialwissenschaften, im Rahmen von Diskussionen über die Identität und Relevanz der Katholischen Gesellschaftslehre.

Gerechtigkeit und Liebe, das ist das unzertrennliche Begriffspaar, das sowohl Höffners wissenschaftliches Werk wie auch seine pastorale Tätigkeit kennzeichnet, was auch in seinem später gewählten bischöflichen Wahlspruch „Justitia et Caritas“ zum Ausdruck kommt. Sein wissenschaftliches Profil, seine analytischen Fähigkeiten und seine tiefe persönliche Sensibilität als Mensch, Gläubiger und Bischof sowie seine tiefe Verbundenheit mit der Kirche verkörpern die Wesensmerkmale der Katholischer Soziallehre – und sind darüber hinaus zweifelsohne ein großes Vorbild für uns alle und das gerade heute.

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