Politik wird in der Öffentlichkeit häufig als Debatte darüber betrieben, wer vom Staat wie viel Geld bekommen und wer wie viel bezahlen soll. Diese Verkürzung des Politischen wird dann noch weiter verkürzt, indem man die Ausgabendebatte auf solche Polaritäten wie „Investitionen“ versus „Sozialausgaben“ herunterbricht. Dieser Gegensatz ist künstlich. Investitionen in die Infrastruktur sind häufig die bedeutenderen „Sozialausgaben“ als bloße Mittelüberweisungen an Antragsteller. Infrastruktur ermöglicht nämlich aktive Teilhabe, auf die es Sozialpolitik mehr ankommen sollte als auf passives Versorgen, das über ein Mindestniveau hinausreicht.
Zu den sozialethischen Ansätzen in der Philosophie, die mit der katholischen Soziallehre in gute Übereinstimmung zu bringen sind, gehört der sogenannte „Fähigkeitenansatz“ von Martha Nussbaum, einer amerikanischen Philosophin, die sich insbesondere den zeitlos attraktiven antiken Denktraditionen verpflichtet fühlt. Demnach sind Menschen Wesen, die aktiv sein, ihre Fähigkeiten entwickeln und zu Gemeinschaftsgütern beitragen wollen. Oft fehlen jedoch die äußeren Möglichkeiten, wie etwa Bildung erwerben oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können.
Sozialpolitik kümmert sich um solche Anliegen, indem sie vor allem an den Voraussetzungen arbeitet, dass Menschen tätig sein können. Bloße Geldzuwendungen sind häufig Motivationshemmer, die zwar kurzfristig willkommen sind, mittel- und langfristig aber zum Verlust von Selbstachtung und zu Zukunftsängsten führen, weil man sich als wirkungslos wahrnimmt. Gerade wenn sie mit Staatsverschuldung erkauft sind, führen Sozialzahlungen eher zu Verunsicherung, weil sie nicht als nachhaltig wahrgenommen werden. Eine funktionierende Grundversorgung – zu der auch Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit gehören – ist unerlässlich, aber darüber hinaus ist es adäquater, wenn sich Menschen in die Lage versetzt sehen, selbst ihre Dinge in die Hand zu nehmen.
Nicht alle materiellen Voraussetzungen muss der Staat schaffen. Investitionen, die begüterten Kreisen mehr nützen als den sozial Schwachen, können und sollten in der Regel auch eher privat getätigt werden. Überhaupt kann man das Menschenbild des Fähigkeitenansatzes auch auf der Ebene von investiven Tätigkeiten weiterdenken. Das würde vor allem bedeuten, dass Staat und Politik den Bürgern Anreize geben, sich mit ihren Mitteln auch an der Schaffung von Infrastruktur zu beteiligen. Dann muss sich aber solches Investment auch lohnen dürfen, etwa beim Wohnungsbau. Viele Regulierungen, die heute – ja, man muss sagen: „linkspopulistisch“ – gefordert werden wie „Mietpreisbremsen“ oder die Sozialversicherungspflicht von Kapitaleinkünften, sind eher dazu angetan, das Engagement für private Investitionen zu schwächen. Sie sprechen kein Zutrauen, sondern ein Misstrauen aus, und sie drängen Menschen in die Passivität, anstatt dass sie Menschen befähigen, auch für andere investiv zu sein. Zweifellos gibt es kapitalistische Skrupellosigkeit, aber die Frage ist, ob man Sozialpolitik von der Perversion verantwortlichen Wirtschaftens her denken soll oder nicht doch auch daran glauben kann, dass viele, die ökonomisch tätig sind, dies nicht gegen, sondern mit den anderen Menschen sein wollen.
Der Autor ist habilitierter Moraltheologe und Ethiker und lehrt an der Universität Freiburg.
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