Noch vor Kurzem ging man davon aus, dass die Welt immer mehr zusammenwachsen werde, dass die weltweiten Lieferketten durch den Fortschritt der Transportmittel schnell jeden Punkt des Globus erreichen würden und dass der ungebremst wachsende Flugverkehr immer mehr Menschen in jede noch so entfernte Weltgegend zu bringen vermöchte.
Mit der Pandemie hat sich indes vieles verändert. Die alles beherrschende Dynamik der Globalisierung scheint gebrochen. Sowohl die Einheit als auch die Effizienz einer globalisierten Wirtschaft haben sich als Chimären entpuppt, die sich mit der Ausrufung radikaler Lockdowns in China und anderen Schlüsselländern der Weltwirtschaft in Luft aufgelöst haben.
Produktion im Ausland
In der Folge hat beispielsweise das „Reshoring“, also die Rückverlagerung von ins Ausland verlagerten Produktionsstätten in die Heimatländer der Unternehmen, erheblichen Aufschwung erfahren. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verstärkt in den westlichen Ländern überdies die Tendenz, ihre Abhängigkeit von autokratischen Regimen zu reduzieren. Und die immer stärker spürbaren Folgen des Klimawandels machen eine radikale Veränderung unserer auf dem Verbrauch fossiler Energien basierenden Produktion und Lebenshaltung zu einer zwingenden Notwendigkeit.
Zwar kann und soll nicht einer De-Globalisierung das Wort geredet werden, aber der Trend, wieder in regionale Wirtschaftsstrukturen zu investieren, verspricht in unsicheren Zeiten gewiss sowohl einzelnen Unternehmen und Branchen als auch ganzen Volkswirtschaften mehr Unabhängigkeit und sicher mehr Resilienz. Wie muss aber eine resiliente Wirtschaftsordnung ausgestaltet sein, damit sie auch weiteren Krisen trotzen und die Lebensbedürfnisse der Menschen, denen sie zu dienen hat, nachhaltig befriedigen kann?
Was braucht der Mensch?
In diesem Zusammenhang taucht in den letzten Jahren zunehmend der Begriff der „Suffizienz“ auf. Er steht als Gegenbewegung zur expansiven Moderne mit ihrem Mantra des „Immer schneller, Immer weiter, Immer mehr“. Suffizienz soll eine neue und alternative Form der Effizienz in den sozioökonomischen Diskurs der Gesellschaft implementieren: Statt Fortschritt im Sinne ständiger Beschleunigung und ungebremsten Wachstums des Angebots wird der Blick stärker auf den Bedarf gelegt. Was braucht der Mensch, um gut leben zu können? Auf das, was zu einem besseren Leben nicht notwendig ist, kann man auch verzichten. Mehr noch: Mit dem Kriterium des Genügenden wird ein „frugaler Wohlstand“ (Wolfgang Sachs) auch bei knappen Ressourcen für mehr Menschen möglich sein. Zugleich wird ein Stück Generationengerechtigkeit verwirklicht: Denn wir leben auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder. Mehr ist nicht unbedingt mehr – das ist seit langem eine Überzeugung der katholischen Soziallehre.
Der Suffizienz-Gedanke formuliert diese Position in positiver Diktion: Genug ist genug – wenn es reicht, reicht es!
Der Autor ist Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Renovabis, römisch-katholischer Priester und zudem Honorarprofessor für Wirtschaftsethik an der Universität Augsburg. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach.
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