Geld soll dienen

Das Vatikan-Dokument „Oeconomicae et pecuniariae questiones“ geißelt Fehlentwicklungen der heutigen Finanzwirtschaft und steht damit in einer Linie mit Ermahnungen von Papst Franziskus. Von Guido Horst
Kreuz aus Geldmünzen
Foto: KNA | Geld soll nicht regieren: Die Finanzwirtschaft muss sich in den Dienst des Gemeinwohls stellen.

Es ist ein Dokument aus einem Guss. Die jüngste Instruktion der vatikanischen Glaubenskongregation und des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen über die Finanzwirtschaft von heute arbeitet sich nicht an einigen Fehlentwicklungen oder partikulären Krisen der modernen Wirtschaftswelt ab, sondern antwortet auf einen umfassenden Befund mit einem klaren Gegenrezept.

Auch wenn die Überschrift des Schreibens – der lateinische Titel lautet „Oeconomicae et pecuniariae questiones“ – bescheiden von „Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte des gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems“ spricht, geht es von einem zentralen Gebrechen der Welt von heute aus: „Obwohl der wirtschaftliche Wohlstand in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts überall auf der Welt in einem nie gekannten Ausmaß und Tempo zugenommen hat“, heißt es in der Einleitung, „ist zu bedenken, dass im selben Zeitraum die Ungleichheiten zwischen den Ländern und innerhalb der Länder größer geworden sind.“ Auch sei die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, „nach wie vor ungeheuer hoch“. Unverkennbar greift die Instruktion damit eine immer wiederkehrende Mahnung in der Verkündigung von Papst Franziskus auf.

Die Chancen auf ein Umdenken, die die Finanzkrise von 2007 und in den folgenden Jahren geboten hatten, seien nicht genutzt worden, heißt es weiter. Statt größeren Wert auf ethische Prinzipien zu legen und die Finanzgeschäfte neuen Regelungen zu unterwerfen, um ausbeuterischen und spekulativen Absichten einen Riegel vorzuschieben und den Dienst an der Realwirtschaft in den Vordergrund zu stellen, sei alles noch viel schlimmer geworden: Es habe „den Anschein, als wäre ein oberflächlicher, kurzsichtiger Egoismus zurückgekehrt, der das Gemeinwohl missachtet und nicht daran interessiert ist, Wohlstand zu schaffen und zu verbreiten oder stark ausgeprägte Ungerechtigkeiten zu beseitigen“. Die Folgen sind dem Papier zufolge dramatisch: „Was hier auf dem Spiel steht, ist der authentische Wohlstand eines Großteils der Männer und Frauen unseres Planeten, die Gefahr laufen, immer mehr an den Rand gedrängt, ja sogar von Fortschritt und wirklichem Wohlstand ,ausgeschlossen‘ und wie ,Abfall‘ behandelt zu werden. Denn einige wenige beuten wertvolle Ressourcen und Reichtümer aus und beanspruchen diese für sich selbst, ohne auf das Wohl des Großteils ihrer Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.“ Das Geld aber müsse dienen und dürfe nicht regieren!

Das Dokument nennt dann einige Aspekte der weltweiten Systemkrise der Finanzwirtschaft, ausgehend von einer anthropologischen und moralischen Grundlage, die vom christlichen Begriff der Menschenwürde ausgeht. Die Märkte seien nicht in der Lage, sich selbst zu regulieren. Es brauche dazu mehr überstaatliche Kontrolle der Finanzsysteme, ohne in zu viel Bürokratie auszuarten. Außerdem bräuchten die Märkte Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen könnten: sozialen Zusammenhalt, Aufrichtigkeit, Vertrauen, Sicherheit, Gesetze. Das Dokument mahnt solche ethischen und anthropologischen Grundlagen an und geht dann kritisch auf Elemente des gegenwärtigen Finanzsystems ein. Als wesentliches Problem nennt es den schwindenden Gestaltungsraum der Politik gegenüber der Finanzwelt. Gestaltung sei notwendig, damit die Finanzwirtschaft wieder der Realwirtschaft dient.

Damit der „große Organismus“ des Marktes gesund bleibe, müsse das Kapital in seinen Adern in sämtliche Glieder und Organe gelangen und nicht nur in einige wenige. Gleichzeitig sollten Unternehmen eine stärker ethisch ausgerichtete Geschäfts- und Personalkultur entwickeln. So könnten etwa Ethikkommissionen den Verwaltungsräten in den Unternehmen beigestellt werden. Weiterhin spricht der Text Phänomene wie Credit Default Swaps, Fixings, Schattenbanken und Offshore-Geschäfte an. Allzu oft seien diese mit ethisch zweifelhaften oder klar unerlaubten Praktiken verbunden wie Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Intransparenz, Korruption und ungerechten Risikolasten.

„Wir alle“, heißt es am Ende der Instruktion „sind heute mehr denn je gerufen, uns zu Wächtern des guten Lebens und zu Verfechtern eines neuen sozialen Engagements zu machen. Dafür muss unser Handeln auf das Streben nach dem Gemeinwohl ausgerichtet und auf den festen Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität aufgebaut sein.“

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