Energiepolitik

Ethik des Stromzählens

Der Bundestag berät ein neues Gesetz, wie der Stromverbrauch der einzelnen Haushalte künftig erfasst werden soll. Gehen die Pläne zu Lasten des Datenschutzes und der Gesundheit?
KINA - Strom sind bewegte Teilchen
Foto: dpa | Dass der Stromverbrauch in allen Haushalten gezählt werden muss, ist selbstverständlich. Die Frage ist, wie wird gezählt?

Es versteht sich von selbst, dass der Stromverbrauch in allen Häusern und Wohnungen gezählt werden muss. Keineswegs selbstverständlich aber ist, dass die Kommunikation des Gezählten technologisch unbedingt per Mobilfunk erfolgen muss. Und das sagt auch kein Gesetz ausdrücklich. Gleichwohl tendiert die derzeitige Entwicklung in diese Richtung.

Denn alles zielt beim Stromzählen auf sogenannte Smart Meter Gateways. Der Einbau dieser sehr häufig funkenden „intelligenten Messsyteme“ soll in den nächsten Jahren Stück um Stück vorangetrieben werden. So will es das am 11. Januar dieses Jahres vom Bundeskabinett beschlossene und im Parlament inzwischen zur 2. Lesung anstehende Gesetz zum „Neustart der Digitalisierung der Energiewende“. Insgesamt sollen die „Gateways“ als zentrale Kommunikationsschnittstellen etabliert werden und eine viertelstündige Ablesung des Stromverbrauchs digital ermöglichen.

Detailliertes Profiling wird ermöglicht

Zugleich soll noch viel häufigeres Ablesen und Weiterfunken im Grunde dazu dienen, angesichts der mangelnden Lieferzuverlässigkeit von Windrädern und Photovoltaik-Anlagen bessere und zeitnahe Ausgleichs- beziehungsweise Verteilmöglichkeiten im gesamten Netz zu schaffen. Ein Smart Meter Gateway sendet die Daten per Funk weiter über verschiedene Netzwerke an den Messstellenbetreiber und an eine Reihe von „berechtigten externen Marktteilnehmern“. Dieses häufige, ja stete Senden steht allerdings in einem gewissen Widerspruch zum einzufordernden Datenschutz – und auch zum Strahlenschutz.

Was zunächst den Datenschutz anbelangt, so scheint ihn das zu beratende Gesetz auf den ersten Blick angemessen zu berücksichtigen. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt ein Verdacht, es könnte wegen der möglichen Kombination mit anderen Verbraucherdaten zunehmend ein von manchen Datenschützern misstrauisch ins Auge gefasstes, detailliertes Profiling ermöglicht und die Privatsphäre gelöchert, ja ein unbemerktes Überwachungssystem etabliert werden. Zudem fragt es sich, inwieweit der Gesetzestext der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung wirklich gerecht wird, die doch auf Datensparsamkeit zielt statt auf Datenmultiplikation. Für Näheres hierzu sei hier auf die aufschlussreiche Broschüre der Juristin Margit Krug „Lauschangriff durch smarte Zähler“ (2020) verwiesen. Jedenfalls stellt die informationelle Selbstbestimmung nicht nur ein juristisches, sondern auch ein ethisches Problem dar.

Lesen Sie auch:

Mobilfunknetze als Standardanwendung

Was den Strahlenschutz betrifft, so ist die Lage noch komplex. Die erste Lesung des „Neustart“-Gesetzes im Bundestag blieb ohne Anzeichen einer Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte der smarten Stromzähler. Nun könnte man sagen, ein solches Berücksichtigen sei ja auch gar nicht notwendig, weil Funk im Gesetz gar nicht explizit vorgeschrieben sei. Doch die Strahlenschutzfrage ergibt sich indirekt sehr wohl – nämlich insofern, als die Messstellenbetreiber faktisch sehr klar bei den „Gateways“ die Nutzung der kommerziellen Mobilfunknetze als Standardanwendung präferieren.

Dabei gibt es rein technisch gesehen durchaus die Alternative des Betriebs über geschirmte LAN-Kabel (Ethernet) oder über die sogenannte Powerline-Communication (PLC, auch D-LAN genannt). Letztere wird tatsächlich mitunter angeboten; sie ist allerdings ihrerseits baubiologisch umstritten, weil hier die Datenübertragung mittels aufmodulierter Signale über das in der Regel ungeschirmte Stromnetz des Hauses läuft, was eine fragwürdige E-Smog-Belastung bedeutet. Somit kommen in der Praxis fast ausschließlich zwei gesundheitsbedenkliche „Lösungen“ zum Zuge, während Ethernet-Kabellösungen im Privatbereich anscheinend weitestgehend außen vor bleiben. Wäre es nicht ethisch geboten, statt den Verbraucherinnen und Verbrauchern künftig weitere Akzeptanzpflichten aufzuerlegen, Industrie und Konzerne zur Bereitstellung aller drei möglichen Technologie-Alternativen zu verpflichten?

Smartmeter können Krankheiten begünstigen

Zwar sind beim Funk zum Teil nur sehr kleine Dosismengen unterwegs, doch „steter Tropfen höhlt den Stein“: Manche Baubiologen und Wissenschaftler warnen selbst da.

So hat der Biochemie-Professor Martin Pall gezeigt, dass sogar kurze Funkimpulse im Nanosekunden-Bereich den Calzium-stoffwechsel der Zellen negativ beeinflussen könnten, was neurodegenerative Krankheiten begünstige – weshalb er von Smartmetern abrät. Auch berichten Elektrohypersensible von unguten Erfahrungen mit funkenden Zählern. Bekanntlich ist die Funktechnologie hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Auswirkungen in der Forschung von jeher umstritten. 2011 hat die Weltgesundheitsorganisation auf dem Hintergrund eines gründlichen Studienvergleichs die Warnung „Möglicherweise krebserregend“ herausgegeben.

Im Interesse von Industrie, Wirtschaft und auch Teilen der Verbraucherschaft befinden sich heutzutage die Stimmen skeptischer Forscherinnen und Forscher zwar in der Minderheit, aber es gibt sie. Das gerade im Druck befindliche Buch „Bewertungsdilemma Mobilfunk“ von Professor Wilfried Kühling zeigt das exemplarisch.

Keine Rücksicht auf „Elektrosensibele“

Was die sogenannten „Elektrosensiblen“ betrifft, deren Minderheit in den meisten Ländern – außer Schweden – politisch und juristisch nicht ernsthaft berücksichtigt wird, so hätte der vorliegende Gesetzesentwurf schon um ihretwillen die faktische Problematik der Funkstrahlung emittierenden Zähler in den Blick nehmen müssen. Durfte man die internationalen Debatten über die möglicherweise nicht nur thermischen, sondern biologischen Effekte dieser Strahlung – eventuell eben auch in niedrigen Dosen – schlicht ignorieren?

Den im Grundgesetz und in den allgemeinen Menschenrechten unterstrichenen Schutz der eigenen Wohnung einfach nicht näher in den Blick fassen?

Und die Bequemlichkeit der Konzerne, die Funktionalität der modernen Messsysteme sowie das angeheizte Tempo der Durchsetzung rücksichtslos über die Grundrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stellen?

Wäre es nicht angemessen, für das neue Gesetz in den beiden ausstehenden parlamentarischen Lesungen unbedingt noch ein Widerspruchsrecht vozusehen – oder wenigstens eine Härtefallklausel.

Verzweifelt und auswegslos

Diese sollte insbesondere für elektrosensible Mitmenschen gelten, deren ärztlich begründete Sorgen und Schmerzen nicht brutal übergangen werden dürfen. Für sie macht sich in München der eingetragene „Verein für Elektrosensible und Mobilfunkgeschädigte“ stark. Er hat kürzlich in einem Offenen Brief an die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag ein explizites Widerspruchsrecht eingefordert. Elektrosensibiliät sei vergleichbar mit einer Art Allergie auf Funkstrahlung, wobei schon kleinste Dosen weit unterhalb der offiziellen Grenzwerte heftige Symptome auslösen könnten, heißt es da.

„Stellen Sie sich bitte vor, man würde einem Pollenallergiker in seiner Wohnung ununterbrochen verschiedene allergene Stoffe zwangsweise zuführen, Tag und Nacht; und wenn er die Wohnung verlässt, wird er mit weiteren Pollen aus dem öffentlichen Raum unausweichlich konfrontiert, so dass er keine Möglichkeit mehr hat, sich zu erholen. Das würde man zu Recht als eine Art Folter bezeichnen.“ Elektrosensible Menschen seien in einer vergleichbaren Lage; viele seien verzweifelt wegen ihrer ausweglosen Situation.

Tatsächlich zeugen von den Leiden der Elektrosenibelen die Bücher „Elektrosensibel. Strahlenflüchtlinge in der funkvernetzten Gesellschaft“ der Ärztinnen Christine Aschermann und Cornelia Waldmann-Selsam (2018) und „Die unerlaubte Krankheit“ von Renate Haidlauf (2022).

Es darf keinen Zwang geben

Der erwähnte Offene Brief betont, es sei auch in rechtlicher Hinsicht geboten, Menschen im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit nicht gegen ihren Willen für sie möglicherweise schädliche Zähler aufzuzwingen, nur weil sie auf Stromnutzung angewiesen seien: „Der Vertrag mit dem Messstellenbetreiber gehört dem Bürgerlichen Recht an, und insofern sollte eine Vertragsfreiheit prinzipiell garantiert sein. Ein Zwang zu einem nicht einvernehmlichen Vertragsschluss würde hingegen dem Öffentlichen Recht zuzuordnen sein, und es müsste dann wie bei einem Verwaltungsakt einer Behörde ein Widerspruchsrecht des Betroffenen nach den Regeln der Verwaltungsgerichtordnung geben.“

Der im vorliegenden Gesetzentwurf kompromisslos normierte Zwang entspreche nicht der Rechtstaatlichkeit in einer Demokratie. Der neueste Bericht des Ausschusses für Technikfolgenabschätzung vom 14. Februar 2023 stelle diesbezüglich immerhin einen Schritt in die richtige Richtung dar – unter der Überschrift „Mögliche gesundheitliche Auswirkungen verschiedener Frequenzbereiche elektromagnetischer Felder (HF-EMF)“.

Technik nicht über die Menschlichkeit stellen

Der debattierte Gesetzesentwurf folge indessen schwerlich dem grundgesetzlich vorgeschriebenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so der Offene Brief weiter. Denn indem er für vulnerable Gruppen beim Ausbau der digitalen Messsystemen keinerlei Ausnahmen vorsehe, verletze er deren fundamentalste Rechte – und sei insoweit als verfassungswidrig einzustufen. Dieser schwere Vorwurf will bedacht sein. Es darf ethisch nicht durchgehen, dass Technik und Industrieinteressen politisch über die Menschlichkeit gestellt werden und die digitale Transformation rücksichtslos durchgedrückt wird.

Oder herrscht im Parlament bereits der Geist des Transhumanismus vor?

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Werner Thiede Deutscher Bundestag

Weitere Artikel

Amazon, Facebook und Co. müssen erstmals kleinere Brötchen backen.
20.02.2023, 15 Uhr
Marco Fetke
Gedanken zur Bewältigung der kalten Zeit unter den Bedingungen der Klimaerwärmung.
09.11.2022, 13 Uhr
Josef Bordat

Kirche

Der Vatikan schreibt erneut an den DBK-Vorsitzenden Bätzing und erteilt zentralen Synodalforderungen eine Absage. Der Sprecher der Bischöfe betont, im Gespräch bleiben zu wollen.
30.03.2023, 16 Uhr
Meldung
In der 22. Folge des „Katechismus-Podcasts“ der „Tagespost“ befasst sich Theologin Margarete Strauss mit der Bedeutung des Neuen Testaments, insbesondere der Evangelien.
30.03.2023, 14 Uhr
Meldung
Das Prophetische im Denken wie in der Verkündigung von Papst Benedikt XVI. stand im Fokus einer hochkarätigen Fachtagung im Zisterzienserstift Heiligenkreuz.
30.03.2023, 09 Uhr
Stephan Baier