Der Krieg in der Ukraine und die Folgen der Sanktionspolitik gegen Russland führen in verschiedenen Bereichen bekanntermaßen zu einer regelrechten Explosion der Verbraucherpreise. Die erhoffte wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise dürfte so in Gefahr geraten, da die aktuelle Lage das Wachstum erneut schwächen und die Inflation antreiben wird. Umso schwieriger ist es für die Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), hier wirklich gegenzusteuern: Denn einerseits müssen Kosten für die Verbraucher nachhaltig gesenkt, andererseits aber auch möglichst zeitnah Alternativen zu Russland als Deutschlands Energielieferant Nr. 1 gefunden werden.
Gewiss: Die Fahrt zur Tankstelle hat schon vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine keinen Spaß mehr gemacht. Jetzt allerdings sind die Preise erneut explodiert und eine weitere Steigerung erscheint unausweichlich. Wir befinden uns aktuell nahe an dem von den Grünen einst proklamierten Traumziel von „fünf Mark je Liter“. Die Pendler, die nicht nur auf ihren Job, sondern auch auf ihr Auto angewiesen sind, belastet diese Situation ebenso massiv wie viele mittelständischer Betriebe und die gesamte Industrie.
Unabhängig von russischen Energielieferungen werden
Während die USA einen Importstopp für russisches Öl verhängt haben, weigert sich die Bundesregierung, auf Gas, Öl und Kohlelieferungen aus Russland zu verzichten – die Auswirkungen auf die hiesige Wirtschaft sowie die Geldbeutel der Verbraucher wären zu groß, wie Bundeskanzler Scholz am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“ bekräftigte. Dennoch wolle die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende tun, um möglichst schnell unabhängig von russischen Energielieferungen zu werden. Zu den Kohleimporten aus Russland kündigte Scholz an: „Es kann gelingen, dass wir schon dieses Jahr da keine Abhängigkeit mehr haben.“ Auch die Reduzierung der Ölimporte könne „sehr schnell gelingen“.
Und beim Gas: „Wir haben Pläne, die wir lange in der Schublade hatten, und für die ich mich allerdings schon sehr lange eingesetzt hatte, jetzt aktiv geschaltet“, berichtet Scholz und ergänzt: „Wir werden mit dem größten Tempo die technischen Infrastrukturen schaffen, damit wir Gas auch von anderen Lieferanten importieren können, indem wir an den norddeutschen Küsten Terminals für Flüssiggas bauen und sie mit dem deutschen Pipeline-Netz verbinden.“ Um dieses alles wirklich gewährleisten zu können, bedarf es jedoch zunächst der bereits erwähnten Alternativen zu Russlands Energieexporten. Bundeswirtschaftsminister Habeck verhandelte kürzlich unter anderem in Katar mit den dortigen „lupenreinen Demokaten“ über Ersatzlieferungen, die den deutschen Energiebedarf sichern. So schnell werden anscheinend diejenigen, die man noch vor kurzem massiv attackiert hat, zu Freunden (siehe S. 7 in dieser Ausgabe).
Die russische Herausforderung führt zum Umbruch
Und auch auf EU-Ebene wurde man aktiv: Brüssel und Washington haben sich auf zusätzliche Lieferungen von amerikanischem Flüssiggas (LNG) nach Europa verständigt. Auch dieses solle das bisher aus Russland eingeführte LNG ersetzen, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die zusätzliche Menge von 15 Milliarden Kubikmetern LNG für das laufende Jahr mag noch eher bescheiden aussehen, doch bis 2030 sind jährlich Lieferungen von rund 50 Milliarden Kubikmetern vorgesehen. Das entspräche einem Drittel des bis jetzt von Russland bezogenen Erdgases.
Warum nicht schon eher, mag sich manch einer fragen: Die USA wollten schon lange mehr LNG liefern, doch bisher konnten sich die Europäer dafür nur bedingt begeistern. Das verflüssigte Gas war aufgrund des aufwendigen Transports teurer als durch Pipelines transportiertes Erdgas etwa aus Russland, auch Umweltschützer wetterten lange Zeit gegen den Import – doch der Ukrainekrieg bewirkt nun, dass beinahe im Rekordtempo alte Gewissheiten und Denkmuster ad acta gelegt werden müssen. Zudem kündigte von der Leyen an, dass die EU ab 2027 kein Öl und Gas mehr aus Russland beziehen wird. Die Kommission will im Mai in einem neuen Energieplan aufzeigen, wie das gehen kann. Außerdem werde die EU zukünftig für alle Mitgliedsstaaten gemeinsam Gas einkaufen.
Durch die zu erwartende Verknappung der fossilen Rohstoffe auf dem Weltmarkt wird es zu weiteren Preissteigerungen kommen. Doch dies ist nicht einmal die schlimmste Befürchtung, welche die Bundesregierung gegenwärtig umtreibt: Denn die Gefahr, die durch einen sofortigen Ausfall russischer Energieexporte nach Deutschland sowohl für einheimische Unternehmen und unzählige Verbraucher droht, ist real – und erscheint durch Russlands Agieren immer wahrscheinlicher.
Putin will nur noch Rubel
Denn Russlands Diktator Wladimir Putin hatte vergangene Woche angekündigt, Gas-Lieferungen an „unfreundliche Staaten“ nur noch in Rubel abzurechnen. Dies würde die unter Druck geratene russische Währung stützen, weil sich die Importländer Rubel beschaffen und hierdurch möglicherweise gegen die eigenen Sanktionen verstoßen müssten. Zu den betroffenen Ländern gehört auch Deutschland – und bislang wurden die Gas-Lieferungen hierzulande in Euro gezahlt. Doch die Staaten der G-7-Gruppe erteilten Anfang der Woche den russischen Forderungen nach einer Begleichung von Gas-Rechnungen in Rubel eine klare Absage. Die G-7-Minister seien sich einig gewesen, dass die Forderungen nach einer Zahlung in Rubel „ein einseitiger und klarer Bruch der bestehenden Verträge“ sei, sagte Robert Habeck nach einer virtuellen Besprechung mit den G-7-Energieministern. Geschlossene Verträge gälten, betroffene Unternehmen müssten vertragstreu sein. „Das heißt also, dass eine Zahlung in Rubel nicht akzeptabel ist“, sagte Habeck. Und er ergänzt: „Der Versuch von Putin, uns zu spalten, ist offenkundig“. Es gebe aber große Geschlossenheit. „Wir lassen uns nicht spalten, und die Antwort der G7-Staaten ist eindeutig: Die Verträge werden eingehalten“, so der Wirtschafts- und Energieminister, der zudem am Mittwochvormittag aufgrund einer möglichen Verschlechterung der Versorgungslage die Frühwarnstufe des „Notfallplans Gas“ aktivierte. Die erste der drei Krisenstufen sieht noch keine Einschränkungen vor.
Während das Damoklesschwert eines einseitigen Energielieferstopps durch Russland weiterhin über Deutschland und Europa schwebt, hat die Bundesregierung währenddessen in der vergangenen Woche ein Energieentlastungspaket für die einheimischen Verbraucher auf den Weg gebracht: Mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro soll dieses vor allem Berufstätige und Pendler, aber auch Rentner und Familien entlasten.
Energieentlastungspaket erst zum 1. Juni in Kraft?
Zum einen dreht die Ampel an der Energiesteuer: So sollen die Spritpreise für 3 Monate je Liter Benzin um 30 Cent, je Liter Diesel um 14 Cent sinken – dadurch verringert sich auch die Mehrwertsteuer. Je 50-Liter-Füllung sinken die Preise somit um 17 Euro (Benzin) beziehungsweise 8 Euro (Diesel). Dieses entlastet sowohl Pendler als auch Rentner. Für Nutzer von Bussen und Bahnen wiederum sollen rund 90 Tage lang bundesweit ÖPNV-Ticket für 9 Euro pro Monat angeboten werden. Hartz IV-Empfänger erhalten einmalig einen verdoppelten Zuschlag von 200 Euro. Außerdem sollen Familien einmalig 100 Euro pro Kind sowie jeder einkommensteuerpflichtig Beschäftigte einmalig 300 Euro Energiegeld erhalten.
Wann das Paket in Kraft tritt, ist gegenwärtig allerdings noch unklar. Da sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat dem Ampel-Paket jedoch zustimmen müssen, dürfte es nach normalem gesetzgeberischen Prozedere nichts vor dem 1. Juni werden – eine letztendlich viel zu lange Zeitspanne, in der Unternehmen und Verbraucher weiterhin unter hohen Energiepreisen zu leiden haben. Ganz abgesehen davon, dass durch einen möglichen einseitigen Stopp der Energielieferungen Russlands an die EU eh eine vollkommen neue energiepolitische Lage entstehen und das mühsam zwischen den Ampel-Koalitionären ausgehandelte Entlastungspaket schnell zur Makulatur verkommen würde. So oder so kann und darf sich Deutschland in diesem energiepolitischen Zwei-Fronten-Krieg weiterhin keine Atempause leisten.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.