Er gehört zweifellos zu den größten Theologen des vergangenen Jahrhunderts, und mit seiner charismatischen Persönlichkeit hat er Teile einer ganzen Generation geprägt. Die Jugendbewegung Quickborn zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist ohne ihn nicht vorstellbar, heute sind Lehrstühle nach ihm benannt, seine Arbeiten zur christlichen Weltanschauung und zur Liturgie beeinflussen das Zweite Vatikanische Konzil, seine Bedeutung für die Soziale Marktwirtschaft wird erst spät deutlich: Romano Guardini prägt posthum die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus.
Guardini prägte die Jugendbewegung "Quickborn"
1885 im italienischen Verona geboren, wächst Romano Guardini nach dem berufsbedingten Umzug seiner Eltern in Mainz auf, wo er auch das Abitur ablegt. Er studiert zunächst Chemie, dann Volkswirtschaft, bevor er in der Theologie seine bevorzugte Disziplin findet. 1910 wird er zum Priester geweiht; nach einer kurzen seelsorgerischen Tätigkeit erlebt Romano Guardini den Ersten Weltkrieg als Krankenpfleger. Als junger Professor prägt er die katholische Jugendbewegung „Quickborn“; Guardini, der als geistlicher Mentor der Bewegung gilt, erprobt neue Formen der Liturgie, die zu jener Zeit alles andere als unumstritten sind, Jahrzehnte später aber ihren Niederschlag in den Beschlüssen des Zweiten Vatikanums zur Liturgiereform finden.
Über 15 Jahre lehrt er christliche Weltanschauung in Berlin, aber da er in seiner Publikation „Der Heiland“ die besondere Verbindung zwischen Christentum und Judentum unterstreicht, führt dies zum Konflikt mit dem Regime; die Nationalsozialisten betreiben Guardinis Zwangspensionierung. Erst nach der NS-Zeit kann Romano Guardini seine wissenschaftliche Arbeit zunächst in Tübingen und dann in München fortsetzen.
Grenzen des Wachstums
Romano Guardini vertieft in den 1950er Jahren mit Blick auf die wirtschaftliche Ordnung Überlegungen, die er schon mehr als 20 Jahre zuvor erstmals angestellt hatte. Der Fortschrittswille der Menschheit, der Glaube an Wachstum, müssen auf der endlichen Welt unweigerlich irgendwann an seine Grenzen stoßen.
Das nächste Jahrhundert, so folgert er, solle also die Grenzen durch den Willen ersetzen, „sich miteinander einzurichten“. Wenn der „Club of Rome“ zu Beginn der 1970er Jahre laut über die Grenzen des Wachstums nachdenkt, liegen die Ursprünge dieser Debatte bei Romano Guardini. Er geht in seiner 1951 erschienenen Publikation „Die Macht“ noch einen Schritt weiter: Wenn durch die immer wirksamer werdende Technik die Verfügungsgewalt des Menschen über das Gegebene weiter steige, stelle sich andererseits jedoch zunehmend die Frage, ob der Mensch seinem eigenen Werk noch gewachsen sei. Guardini unterstreicht seinen Eindruck, „Werk und Wirkung“ hätten sich selbstständig gemacht und seien über den Menschen hinausgegangen. Die Analogie zu Goethes Zauberlehrling gewinnt heute mit Blick auf die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz eine fast beklemmende Aktualität.
Guardini und Laudato si
Papst Franziskus stellt in seiner 2015 erschienenen Enzyklika „Laudato si“ an mehreren Stellen ausdrücklich auf Romano Guardinis 1965 erschienenes Werk „Das Ende der Neuzeit“ ab.
Er kritisiert die Haltung, jede Zunahme an Macht (gegenüber der Natur, Anm.d. Verf.) sei per se als Fortschritt, Erhöhung von Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt und Lebenskraft zu betrachten (LS 105) und warnt, der Mensch müsse sich darüber klar sein, dass es in der Technik letztlich weder um Nutzen noch um Wohlfahrt geht, sondern um Herrschaft; um eine Herrschaft im äußersten Sinn des Wortes (LS, 108). Diese Herausforderung sei letztlich nur zu bewältigen, wenn nicht nur das Individuum das eigene Verhalten kritisch hinterfrage (LS, 219).
„Die Anforderungen dieses Werkes werden so ungeheuer sein, dass sie aus den Möglichkeiten der individuellen Initiative und des Zusammenschlusses individualistisch geformter Einzelner nicht zu lösen sind. Es wird einer Sammlung der Kräfte und einer Einheit der Leistung bedürfen“, warnt Guardini schon 50 Jahre zuvor.
Dekalog – Grundlage einer freien Gesellschaft
Seine Lösung liegt in einer Rückbesinnung auf die sittlichen Werte, die er letztlich alle als christlich induziert und erst später säkularisiert begreift. Der Ökonom Roland Baader wird später, Romano Guardinis Ansatz würdigend, hierzu zugespitzt formulieren, dass die drei elementaren Bedingungen einer freien Gesellschaft und somit auch deren wirtschaftliche Verfassung, der Marktwirtschaft, allesamt bereits im biblischen Dekalog ihre Manifestation gefunden haben: Unantastbarkeit des Eigentums („Du sollst nicht stehlen“ und „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut“), Ehrlichkeit und Vertragsverlässlichkeit („Du sollst kein falsches Zeugnis geben“), und die hohe Wertschätzung der Familie („Du sollst Vater und Mutter ehren“).
Die Zeit seines Lebens angegriffene Gesundheit hindert Romano Guardini, als Berater am Zweiten Vatikanischen Konzil teilzunehmen, wo er in der Liturgie-Kommission hätte mitarbeiten sollen.
Er stirbt im Oktober 1968 in München, nachdem er dort einige Jahre zuvor seine Lehrtätigkeit beendet hat. Papst Benedikt XVI. würdigt den Universalgelehrten in einer Ansprache vor der Guardini-Stiftung 2010 insbesondere für seine Wahrheitssuche, die er zusammen mit einer umfassenden Bildungsarbeit bereits in seiner Zeit beim„Quickborn“ praktiziert habe.
Seligsprechungsverfahren läuft
2013 wird in dieser Zeitung erstmals bekannt, dass sich mehrere Kreise mit den Vorbereitungen eines Seligsprechungsverfahrens für Guardini befassen. Vier Jahre später wird dann das Verfahren durch den Münchener Erzbischof Reinhard Kardinal Marx auch offiziell eröffnet.
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