Der Lack ist schon lange ab. Dass die Ära der Kaufhäuser zu Ende geht, konnte man auch schon vor der Pandemie spüren. Galeria Karstadt Kaufhof will nun 52 Häuser schließen - der letzte Akt? Und wie stellen sich die Kunden den Einzelhandel der Zukunft vor?
Die Babyboomer-Generation kennt sie noch aus ihrer Kindheit: Kaufhäuser, die für sie eine Art Paradies waren. Mit einem Angebot, das Herz und Seele berührte, insbesondere in der Spielwarenabteilung. Da stand man in den 60er Jahren mit Mama und Papa oft staunend vor den Auslagen. Dazu gab es Rolltreppen, auf denen es Spaß machte, endlos rauf- und runterzufahren. Fahrstühle wurden gelegentlich sogar noch von Menschen bedient, die immer freundlich grüßten, wenn man dort eintrat. Heute erlebt man solche Gefühlswallungen allenfalls noch in den Großstadt-Kaufhäusern wie im KaDeWe in Berlin. In der Fläche ist das große Gefühl irgendwie im Überfluss des Alltags abhandengekommen.
Anfänge einer großen Kaufhausära
Den Anfang der Kaufhausgeschichte machten die beiden einstmals großen Unternehmen Kaufhof und Karstadt bereits im 19. Jahrhundert im Osten Deutschlands. Von Stralsund und Wismar aus starteten sie ihre Erfolgsgeschichte. Später kamen Konzerne wie Horten und Hertie dazu. Alle als eigenständige Ketten, bei denen es alles unter einem Dach gab. Der Abstieg der Kaufhausimperien begann schleichend bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Mit den ersten Fusionen verleibten sich 1994 die Kaufhof AG den Konkurrenten Horten und die Karstadt AG den Mitbewerber Hertie ein. Weitere Zusammenschlüsse in der Handelsbranche folgten in dem Bestreben, immer größer zu werden. Die verbleibenden Großen dachten sogar darüber nach, sich zu einer Deutschen Warenhaus AG zusammenzuschließen. Irgendwann kam nach vielem Hin und Her dann der Österreicher René Benko ins Spiel. Dabei wird immer wieder der Vorwurf laut, Benko interessiere sich überhaupt nicht für das Kaufhausgeschäft, sondern vor allem für die in bester Innenstadtlage gelegenen Immobilien. Er kaufte zunächst 17 Karstadt-Häuser und wurde später Eigentümer des neuen Zusammenschlusses Galeria Karstadt Kaufhof. Die Mieten für die Warenhäuser steigen, tausende Arbeitsplätze werden abgebaut, mit seiner Holding schüttet er über 500 Millionen Euro Dividenden an die Aktionäre aus. Ein erstes Insolvenzverfahren endete mit einem Schuldenschnitt. Mit 700 Millionen soll der Staat inzwischen einen unterstützenden Rettungsschirm aufgespannt haben. Um im Bild zu bleiben: Es regnet dennoch weiter rein. Im Februar 2023 eröffnete das Amtsgericht Essen erneut das Insolvenzverfahren über den Konzern. Das Sanierungskonzept sieht vor, das Sortiment von Galeria stärker auf die lokalen Bedürfnisse auszurichten. Mehr als 4 000 Menschen werden ihren Arbeitsplatz verlieren.
Totengräber der Einkaufsform
Ist das Konzept der Kaufhäuser überhaupt noch zu retten? Sind wir Konsumenten, nicht erst mit Beginn der Corona-Pandemie, zu Totengräbern dieser Einkaufsform geworden? Nur selten machen wir uns noch die Mühe, unsere Einkäufe in der Stadt zu erledigen. Es ist ja viel bequemer, dies vom Smartphone aus zu tun. Dem wird aus dem stationären Handel oft das Argument entgegengehalten, dass das eine Beratung in einem Kaufhaus nicht ersetzen könne. Die Realität zeigt allerdings, dass es eben gerade dort zunehmend an Fachkräften und Beratern fehlt. Auch führt die Mischung aus Filialbetrieb und Onlinehandel schon mal zu der Empfehlung: „Kaufen sie das lieber in unserem Onlineshop, dann geht das mit der Lieferung viel schneller und einfacher.“ Eine Folge davon: Der Handel mit Waren und Dienstleistungen im Internet boomt und die Umsätze in diesem Segment wachsen seit der Jahrtausendwende stetig. Während im Jahr 2010 der Umsatz mit Waren im E-Commerce-Bereich in Deutschland noch bei 18,3 Milliarden Euro lag, erzielte das Online-Geschäft in unserem Land 2022 einen Warenumsatz von rund 90,4 Milliarden Euro. Die umsatzstärksten Warengruppen im deutschen Onlinehandel sind Bekleidung, Elektronikartikel und Telekommunikation. Der Umsatzriese in diesem Segment ist Amazon.
Die Situation für die Verbraucher ist also vergleichsweise komfortabel, anders als die Lage der Menschen, die in Kaufhäusern arbeiten und nun ihren Job verlieren. Das Sterben der Kaufhäuser trägt daneben zu einer Verödung der Innenstädte bei. Die Konsumlaune sei gedämpft und die Handelsbranche von Unsicherheit geprägt, weiß der Handelsverband Deutschland. „Seit 2019 haben wir rund 41 000 Geschäfte verloren. Das ist eine dramatische Entwicklung, die Spuren in unseren Innenstädten hinterlässt“, erläutert eine Verbandssprecherin gegenüber der „Tagespost“. Meist sei nämlich der Einzelhandel der Grund für den Innenstadtbesuch. Für starke Stadtzentren brauche es daher in Zukunft weiterhin einen starken Einzelhandel. Das sieht man auch in den Kommunen, die jetzt von Kaufhausschließungen bedroht sind, so. Beispielsweise im unterfränkischen Schweinfurt. Die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt, Caroline Trips, beschreibt die Herausforderung: „Damit Schweinfurt attraktiv für Stadtbewohner und Besucher bleibt, muss bereits jetzt ein Nachnutzungskonzept erarbeitet werden, damit die Innenstadt nicht an Vitalität verliert und längerfristig keinen Schaden nimmt.“
Neuausrichtung der Innenstädte
Die aktuelle „Deutschlandstudie Innenstadt“ der CIMA Beratung + Management GmbH zeigt, dass viele Innenstädte dringend eine Neuausrichtung brauchen, um attraktiv zu bleiben oder zu werden. Deren Geschäftsführer Martin Kremming erläutert gegenüber der „Tagespost“, was dazu geschehen muss: „In unseren kommunalen Beratungsfällen vertreten wir die Auffassung, dass die Innenstädte sich zu multifunktionalen Standorten entwickeln müssen, in denen das Einkaufen zwar eine Rolle spielt, aber längst nicht mehr so wie in den vergangenen Jahrzehnten.“ Wenn Innenstädte es vermehrt schaffen würden, Orte des Treffens, des Konsumierens und des Aufenthalts zu werden, dann sei schon viel gewonnen. Dazu müssten allerdings entsprechende Angebote geschaffen werden. „Die Menschen wollen, um sich in der Innenstadt zu treffen, die Auswahl zwischen Aufenthalt in der Außengastronomie oder in gepflegten Grünanlagen oder Parks ohne Konsum haben.“ Die Innenstädte müssten gute Wege finden, um Kunden auf sich aufmerksam zu machen. „Die Besucher wollen wissen, wie sie mit welchem Verkehrsmittel gut und sicher in die Innenstadt kommen, wo sie ihr Fahrrad oder ihren PKW abstellen können, was der Nahverkehr kostet und ob die Fußgängerbereiche sicher und barrierefrei sind.“
Kommende Generationen
Die Standorte der Kaufhäuser könnten Nuklei von wichtigen Entwicklungen in den Innenstädten sein, wo die oft fehlenden Funktionen untergebracht werden könnten. Das umgebaute Core in der Innenstadt von Oldenburg zeige, was man in diesem Sinne aus einer leerstehenden Handelsimmobilie machen könne. „Die Konsumenten wünschen sich in den Innenstädten vermehrt regionale, nachhaltige Waren sowie hochwertige Kaufangebote. Wenn Sie sich in den Shopping-Meilen umsehen, passt das vielerorts nicht gut zusammen“, ergänzt Kremming. Die kommenden Generationen würden offenbar die Trends Regionalität, Individualität und Nachhaltigkeit noch einmal stark forcieren. Dies scheine auch nicht verhandelbar, sondern müsse wirklich gelebt werden.
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