Bundesregierung

Das Gebot der Stunde

Angesichts des Ukraine-Krieges gilt es, einerseits zu investieren, andererseits Maß zu halten.
Tarifverhandlungen für Erzieher in Kindertagesstätten
Foto: dpa | Nicht nur für den Sozial- und Erziehungsdienst stehen angesichts der vielen politischen und ökonomischen Krisen schwierige Lohnverhandlungen bevor.

Bereits zum Jahreswechsel stand es außer Zweifel, dass aufgrund zahlreicher politischer und ökonomischer Faktoren wie der Corona-Krise sowie hoher Inflationsraten und Energiepreise 2022 die wirtschaftliche Erholung Deutschlands auf tönernen Füßen stehen würde. Insgeheim mochte zwar der eine oder andere gehofft haben, dass es am Ende doch nicht so schlimm kommen würde – doch leider kommt nun alles schlimmer als befürchtet. Denn der Überfall Russlands auf die Ukraine hat vieles über den Haufen geworfen, was bis zum 24. Februar 2022 noch einigermaßen verlässlich prognostizierbar erschien.

Die Börsen fiebern auf und ab und an den Tankstellen können Berufstätige, Pendler und Familien auf den Preisschildern ablesen, was eine schnell ansteigende Inflation bedeutet. Schneller als gedacht und rasant anschwellend steigen auch die Preise für Lebensmittel, Konsumgüter aller Art und Energie fürs Autofahren, Heizen, Duschen mit warmem Wasser oder auch Kochen, Fernsehen und Kommunizieren via Internet. Der Westen und Deutschland im Besonderen hängen von dem Import fossiler Energien, Rohstoffen wie Aluminium oder auch Weizen für Tierfutter und Grundnahrungsmittel aus Russland ab. Mit täglich 600 bis 800 Millionen Euro finanziert auch Deutschland – ob es will oder nicht – Putins Krieg in der Ukraine mit. Würde sich die Bundesrepublik aber dem Ruf nach einem vollkommenen Stopp aller Lieferungen aus Russland anschließen, wären die Folgen für unsere Energieversorgung und Schlüsselindustrien verheerend und kaum noch beherrschbar.

Realitäten der Zeitenwende.

Diese Realitäten der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ zerstören manche Illusion, die Wirkmächtigkeit der Wirklichkeit lässt ideologische Utopien wie Seifenblasen platzen. Ein sichtlich angestrengt und ernüchtert wirkender Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verkündet dem ungläubigen Publikum und seinen verstörten grünen Anhängern, dass „Sicherheit wichtiger als Klima- und Umweltschutz“ ist und die Regierung rafft sich auf, gravierende Fehler der Merkel-Ära auch betreffend die Ausrüstung und den Auftrag der Bundeswehr im Eiltempo zu korrigieren.

Ad hoc sollen 100 Milliarden Euro in einem Sonderbudget für Ersatzbeschaffungen betreffend kaputte Panzer, untaugliches Fluggerät aller Art, die seeuntüchtige Marine und die Munitionsbeschaffung für die vorhandenen Waffensysteme zur Verfügung gestellt werden. Es geht um eine Basis-Aus- und noch keineswegs um eine qualifizierte Aufrüstung, um überhaupt wieder wehr- sowie verteidigungsfähig zu sein. Künftig sollen obendrein die schon vor Jahren der NATO zugesagten zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt im jährlichen Bundeshaushalt als Wehretat ausgewiesen werden, was rund 80 Milliarden Euro per anno ausmachen dürfte.

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Wegen der hohen Spritpreise und dem drohenden Kollaps vieler mittelständischer Transportunternehmen sowie den bevorstehenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NRW will Bundesfinanzminister Christian Lindner mit einem unverzüglich wirkenden Rabattsystem die Preise für Diesel und Benzin für alle Verbraucher auf unter zwei Euro drücken. Ein Rabatt von 20 Cent pro getanktem Liter Treibstoff würde in Summe auf steuerliche Mindereinnahmen beziehungsweise Ausgleichsausgaben in Höhe von rund 1 Milliarde Euro pro Monat hinauslaufen. Spekulanten aller Couleur, große Mineralölkonzerne und das Ölförderkartell OPEC sinnieren aber bereits darüber, wie sich an der Preisschraube weiter drehen und immer neue Mitnahmeeffekte erzielen lassen.

Kosten für die Bewältigung der Corona-Krise

Hinzu kommen die weiter laufenden Kosten für die Bewältigung der Corona-Krise mit Ausgleichszahlungen für Unternehmen, Kurzarbeitergeld und die überlasteten Sozialversicherungen, was sich in toto ebenfalls auf 100 Milliarden Euro belaufen durfte. Dabei werden die gesamtwirtschaftlichen Schäden der Pandemie und der Coronaschutzmaßnahmen inklusive der desaströsen Maskenbeschaffungen über die anfangs chaotischen Testungen bis hin zu den Impfstoffkäufen und die Produktionsausfälle erst noch zu bilanzieren sein. Auch die Kosten für die Unterbringung und Versorgung der aus der Ukraine in zunehmender Zahl nun auch nach Deutschland einströmenden Kriegsflüchtlinge dürften sich alsbald auf mindestens eine weitere Milliarde Euro belaufen.

Noch glaubt man, einigermaßen den Überblick zu haben und mit Nachtragshaushalten und Sonderbudgets alles im Griff zu behalten. Doch ein weiteres Ungeheuer erhebt sich als vielköpfige Hydra: Die Inflation dürfte in diesem Jahr mindestens 5,1 Prozent betragen; führende Ökonomen rechnen damit, dass die Spirale eher in Richtung 10 Prozent tendieren könnte. Für die Einkommens- und Vermögenssituation der abhängig Beschäftigten ist allein dies schon eine ganz schlechte Nachricht. Inflation gekoppelt mit der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank für Sparguthaben, Lebensversicherungs- und Bausparverträge bedeutet de facto eine rapide Enteignung von Sparern, Familien und Rentnern und eine heraufziehende Altersarmut. An den Erwerb von Wohneigentum für die Familienunterkunft oder als Altersvorsorge ist, auch aufgrund der immer noch steigenden Immobilienpreise, für den berühmten Normalverbraucher und Durchschnittsverdiener erst gar nicht zu denken. Denn das Kapital flüchtet wie ein scheues Reh in die Sachwerte, zuvörderst Grund und Boden oder auch Edelmetalle wie Gold und Platin.

Gewerkschaften fordern massive Lohnerhöhungen

In dieser Situation sehen sich die Gewerkschaften fast schon genötigt, bei den im Frühherbst anstehenden Tarifverhandlungen massive Lohnerhöhungen in zweistelliger Höhe zu fordern. Jahrelang hatte man keine sogenannte Tabellenerhöhung der Tarife durchsetzen können und sich bei Tarifverhandlungen mit Einmalzahlungen und Zuschlägen begnügt. Rückblickend stellt man fest, dass auch aufgrund der ständig steigenden Steuer- und Abgabenlast die erzielten Lohnerhöhungen längst abkassiert und von einem ausufernden Steuerstaat wie von der Raupe Nimmersatt aufgefressen worden sind. Sollte es obendrein auch wegen Lieferengpässen und wegbrechenden Märkten in der russischen Föderation oder in China zu Unternehmenspleiten, Betriebsschließungen und Massenentlassungen kommen, käme wohl noch die Forderung nach Einführung einer weiteren Arbeitszeitverkürzung in Form einer Vier-Tage-Woche durch die Gewerkschaften hinzu, um möglichst viele Menschen in Beschäftigung zu halten.

Die Folge von hohen Tarifabschlüssen beispielsweise um 8 Prozent herum in Schlüsselindustrien wie dem Automobil- und Maschinenbau würde eine Lohn-Preisspirale in Gang setzen, die als Brandbeschleuniger par excellence wirken und die Geldentwertung massiv befeuern würde. Die Pläne der rotgrüngelben Berliner und der bunten Brüsseler Etatisten, mit „Great Green Deals“ exorbitante Klimaschutzprojekte anzuschieben, wären kaum noch umsetzbar. Denn als Vorsorge für den kommenden Winter muss ausgerechnet Robert Habeck nun auf den Weltmärkten an Öl und Gas auf- und zusammenkaufen, was, egal zu welchem Preis, überhaupt noch zu bekommen ist – inklusive umweltpolitischem Teufelszeug wie mit Fracking zu Tage gefördertem Gas und Öl. Außerdem muss die marode Infrastruktur dringend an allen Ecken und Kanten erneuert und viel Geld für die notwendige Digitalisierung aufgebracht werden.

„Zur Not frisst der Teufel Fliegen“ lehrt ein Sprichwort und ein anderes verkündet etwas hoffnungsvoller: „Not macht erfinderisch“. Wollen Deutschland und Europa sich in Konkurrenz zu den Ambitionen der despotischen Regime in China und Russland, aber auch im freien Wettbewerb mit den USA behaupten, müssen die Regierungen und Parlamente im Eiltempo erwachsen werden, Verantwortung für das eigene Schicksal übernehmen und alle Pubertätsallüren ablegen. Wie es scheint, hält dieser Bewusstseinswandel peu a peu Einzug bei den Verantwortungsträgern. Nicht nur für den Steuer- und Sozialstaat, auch für Gewerkschaften und Arbeitgeber gilt ab sofort die Maxime von Ludwig Erhard: „Maß halten“, soll doch der „Wohlstand für alle“ gesichert werden.

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